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E-Book

Pädagogisches Wissen

Erziehungswissenschaft in Grundbegriffen

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783170228399
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Der Band gibt eine grundlegende Einführung in die Erziehungswissenschaft. Auf dem aktuellen Wissensstand werden die zentralen Themen und Problemkreise pädagogischen Wissens und Könnens, zentriert auf pädagogische Aufgaben, Kontexte, Orte und Praktiken, umfassend und systematisch diskutiert. Erörtert werden Erziehung, Bildung, Sozialisation, Wissenskommunikation, Prävention und Selektion; Generation, Geschlecht und Migration; Pädagogische Felder, Organisation, Unterricht, Medien und Lebenslanges Lernen; Lehren, Lernen, Helfen, Beraten, Üben und Evaluation, Didaktik, Methodik, Disziplin und Aufmerksamkeit; Pädagogisches Ethos, Profession, Erziehungssystem, Bildungspolitik, Forschung, Praxisreflexion und das Instrumentarium und die Methoden wissenschaftlichen Arbeitens. In jedem der 30 Beiträge werden die thematisch jeweils zentralen Fragestellungen vor ihrem historischen Hintergrund aufgehellt. Es werden die wichtigsten theoretischen Konzepte dargestellt, das dazu vorhandene empirische Wissen übersichtlich referiert sowie ein Ausblick auf aktuelle Problemlagen gegeben.

Die Herausgeber lehren und forschen an den Universitäten Frankfurt a. M., Halle-Wittenberg, Kassel sowie am Deutschen Jugendinstitut in München.

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Leseprobe

Generation


Jutta Ecarius

Generation umfasst das Spannungsverhältnis von Kontinuität und Wandel in vielfältiger Hinsicht: als gesellschaftlicher Generationenwechsel über Epochen hinweg, als familiale Generationsbeziehungen und private Erziehung, als die Weitergabe und Transformation von kulturellen Mustern und Gestaltung von pädagogischen Generationsbeziehungen. Semantisch weist Generation verschiedene Deutungen auf, so „generatio“, womit Zeugung, Entstehung gemeint ist, und „genus“, was Gattung oder Geschlecht bedeutet. Michel Foucault hat sich mit der Bedeutung von Genealogie, der „Analyse der Herkunft“, auseinandergesetzt. Danach sind Leib und Geschichte voneinander durchdrungen, die Historisierung von Natur ist mit der Naturalisierung von Geschichte verwoben. Dies führt zu der Frage, wie Gesellschaften sich im Spannungsverhältnis von Tod (ältere Generation) und Geburt (jüngere Generation) organisieren und welche Bedeutung Bildung, Erziehung und Fürsorge haben sollen.

In einem ersten Schritt werden, zurückgehend bis ins Mittelalter, die unterschiedlichen Begriffslinien nachgezeichnet, die die gegenwärtige Vielschichtigkeit des Begriffes ausmachen. Aufzeigen lässt sich damit zugleich, welche Bedeutungsgehalte verloren gegangen oder in andere Bedeutungen übergegangen sind. Die historisch-semantische Bedeutung von Generation wird dabei in den Kontext von Erziehung und Bildung gestellt. Daran schließt eine Darstellung gegenwärtiger Generationsansätze an.

1 Historische Dimensionen


Die Etymologie des Wortes Generation ist im Deutschen nicht sehr alt, denn erst im 19. Jahrhundert taucht Generation als Begriff auf und zwar als Fremdwort. In Fremdwörterbüchern bekommt Generation erst im 18. Jahrhundert eine Bedeutung zugesprochen. So hält 1794 Moritz in dem von Johann Ernst Stutz herausgegebenen zweiten Band des Grammatischen Wörterbuchs der deutschen Sprache fest: „Generation. Die von einem Stamme zunächst entsprungenen Menschen, auch die Zeit, durch welche sie dauern, nennt man eine Generation. Die deutschen Wörter Geschlecht, Menschenalter, werden in dieser Bedeutung gebraucht, passen aber nicht recht auf den Begriff. Zeugung könnte den Begriff so gut ausdrücken als Generation, es kommt nur darauf an, ob man ihm diese Bestimmung geben will. Ein besserer Ausdruck fehlet uns bis jetzt“ (Moritz 1793/1996, 204). Hier schon enthält Generation die Semantiken Geschlecht, Menschenalter und Zeugung. Empfängnis meint einen biologischen Vorgang wie auch die Weiterentwicklung von Gesellschaft durch Generationen.

Da Generation im 18. Jahrhundert als Fremdwort verwendet wird und keinen germanischen Ursprung hat, gibt weiteren Aufschluss das Lateinische und Französische (Parnes, Vedder, Willer 2008, S. 26 ff.). Im Französischen findet man Generation ab dem 12. Jahrhundert in der Bedeutung von Zeugung und Abstammung. Im Französischen Etymologischen Wörterbuch (FEW) von Walther von Wartburg (1952) wird darauf hingewiesen, dass Generation einen religiösen Ursprung hat und sich im 13. Jahrhundert verorten lässt. In den christlichen Texten der Vulgata findet sich der Hinweis, dass mit Generation alle gleichzeitig lebenden Menschen gemeint sind, zugleich aber auch spezifische nachfolgende Generationen, die von einer Person abstammen. Die semantische Auslegung enthält hier schon Zeugung und Abstammung, Generativität und Gattung sowie Synchronie und Diachronie.

Eine weitere bedeutsame Begriffsbestimmung findet sich in der christlichen Mythologie über die Genealogie Jesu. Das Lukas-Evangelium weist beginnend mit Jesus auf eine Generationenkette hin: genannt werden der Sohn Josef, der Sohn Elis, der Sohn Mattat, der Sohn Levis, der Sohn Melchis, der Sohn Jannais und der Sohn Josef. Auch im Matthäus-Evangelium finden sich genealogische Verknüpfungen, mit denen ausgehend von Gott und dann Jesus Abstammungsfolgen präsentiert werden, die das Göttliche mit dem Irdischen verbinden. Auf diese Weise wird das Mächtige des Göttlichen über Generationenabfolgen immer wieder transzendiert. Präsentiert werden „Spitzen-Ahnen“ (Parnes u. a. 2008, 46) über Herkunfts- und Abstammungserzählungen, in denen sich das Vergangene im Gegenwärtigen widerspiegelt und Sterblichkeit als göttlich Unsterbliches aufgehoben wird. Durch die Naturalisierung von verwandtschaftlichen Generationenlinien wird das Christentum gesichert und zugleich legitimiert.

Aber auch in Adelsgeschlechtern dienen Genealogien dazu, Natur – als Abfolge von Geburten – zu kulturalisieren. Wichtig ist hierbei der lückenlose Eintritt des Nachfolgers an die Stelle des abgetretenen Vorgängers. Adelsgeschlechter erhalten in Form von Herrschergenealogien eine Unsterblichkeit, die mit politisch-theologischen Begründungsmustern legitimiert werden. Kontinuität wird auf der Grundlage der gebürtlichen Abfolge von Verwandtschaftslinien institutionell konstruiert (z. B. als Monarchie oder Fürstentum) (vgl. Melville u. a. 2004).

Im Mittelalter ist das Gegenwärtige das Vergangene, es ist die Wiederholung des Vergangenen. Die berufenen Vorfahren werden „in mittelalterlichen Genealogien … als real gegenwärtig gedacht und empfunden“ (Parnes, Vedder, Willer 2008, 51). Die gegenwärtige Anwesenheit der Ahnen macht sie lebendig, sie dienen im Mittelalter des 10. und 11. Jahrhunderts in Form einer Mythologisierung und Mystifikation der Vergegenwärtigung eines kulturellen Programms.

2 Deutungsmuster und Diskurse über Generation


Im Übergang zur Aufklärung findet man verschiedene Interpretationsmuster, die bis ins 19. Jahrhundert hinein Bestand haben. Erste Assoziationen von Gesellschaft und Generation kommen im 18. Jahrhundert auf. Johann Peter Süßmilch (1707–1767) deutet in seinen Auseinandersetzungen mit der Bevölkerungswissenschaft Generation als das „Heer des menschlichen Geschlechts … vor dem Auge des Herrn“, das in „verschiedene Züge abgeteilt“ (Süßmilch 1745: Teil I, 53) ist, womit das Alter gemeint ist.

Aber auch angesehene und adelige Familien nutzen das vormoderne genealogische Deutungsmuster von Generation zur Betonung von Kontinuität, mit der Ansehen, Prestige und die Vorrangstellung von Herrschaft legitimiert werden. Mit Beginn der Neuzeit machen sich auch das Bürgertum und großherrschaftliche Bauernschaften dieses Deutungsmuster zu eigen, um über Stammbäume oder Familienbücher familiale Traditionen in die Kette von Ahnen zu stellen. Dabei gilt zu bedenken, dass die hohe Sterblichkeitsrate, Kriege und ökonomische Krisen eine tatsächliche genealogische Abfolge unwahrscheinlich werden lassen, ging es doch eher darum, die Beständigkeit von herausragenden Leistungen in ihren ökonomischen und kulturellen Dimensionen zu symbolisieren.

In dieser Zeit kommt dann auch das Wort Glied auf, das den Verwandtschaftsgrad ausdrückt. Der juristische Begriff „Usque ad tertiam generationem“ (Zedler, Band 10, 1735, 892) wird in Universallexikon von Zedler als Glied ausgelegt. Im 18. und auch 19. Jahrhundert wird „Glied“ als gängige Bezeichnung für familiale Generationen verwendet. So steht im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm: „Gleichfalls auf eine menschliche collectiveinheit bezieht sich glied zunächst in der bedeutung ‚generation‘ = gesamtheit der von den gleichen eltern geborenen; doch neigt dieser begriff früh zu der abgeschwächten abstracten bedeutung ‚verwandtschaftsgrad‘“ (Grimm/Grimm 1854 ff., Band 8).

Im 18. Jahrhundert entwickelt sich zudem eine semantische Bedeutung von Generation, die auch heute noch Verwendung findet. Generation wird gedeutet als ein Verhältnis von Gleichzeitigkeit in Bezug auf Gruppen von Altersgleichen, die Gemeinsamkeiten aufweisen und sich damit von anderen Generationen unterscheiden. Mit dieser Semantik erhält Bildung eine eigene Bedeutung, auch wenn anfangs noch Bezüge zu epigenetischen Auslegungen zu finden sind. Besonders mit dem Gedanken der Zukunft unterscheidet sich diese Semantik grundlegend von der des Mittelalters, denn im 18. Jahrhundert verschwindet die Vorstellung, dass die historische Vergangenheit die Gestalterin der Gegenwart ist.

Bedeutsam wird die Vorstellung einer kontinuierlichen Entwicklung von Neuem und Anderem mit dem Kollektivsingular „Geschichte“, es ist die kontinuierliche singuläre Weiterentwicklung des geschichtlich Besonderen. Zeitgleich erhält Bildung, die des Einzelnen sowie der folgenden Generationen, an Bedeutung. Lessing verfolgt mit der „Erziehung des Menschengeschlechts“ (Lessing 1780) die Idee, über die individuelle Erziehung eine moderne Gesellschaft als singuläres Kollektiv hervorzubringen.

Im 18. Jahrhundert wird dann auch „generatio“ (Zedler, Band 10, 1735, 848 f.) in das damals umfangreichste Lexikon von Johann Heinrich Zedler mit 68 Bänden aufgenommen. Generation bedeutet nun Zeugung und Fortpflanzung sowie gesellschaftliche Fortführung über Generationenverhältnisse. In eben diesem Lexikon schreibt ein anonymer Autor: „eigentlich wird nun zwar unter dem worte generationis nichts anderes, als der beyschlaff jetzt verstanden, doch rechnen einige dazu nicht nur die empfängniß, die erhaltung und bildung des kindes im mutter-leibe und die geburt selbst, sondern auch die ernährung des kindes nach der geburt …“ (ebd. im Lexikon des Verlegers Zedler). Eine Verbindung wird hergestellt von biologischer Reproduktion und kultureller Überlieferung im Kontext von Gesellschaft und Bildung, versteht man Ernährung auch als eine geistige.

Erziehung erhält die Bedeutung einer intergenerationellen Vermittlungsaufgabe im Geiste der Aufklärung und der Fortentwicklung von Gesellschaft. Jean Paul formuliert in seinem pädagogisch-literarischen Werk...

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