1 Patientensicherheit im Krankenhaus (S. 1-2)
1.1 Ein Aufsehen erregen der Bericht und seine Folgen
Vielen Publikationen aus Medizin, Pflege und Gesundheitswesen wird kaum Beachtung geschenkt. Im Jahr 1999 löste eine besondere Arbeit aus den USA jedoch ein weltweites Echo aus. Das Institute of Medicine (IOM) veröffentlichte unter dem bezeichnenden Titel »To Err Is Human – Building a Safer Health System« einen Bericht, der die Patientensicherheit im amerikanischen Gesundheitswesenkritisch unter die Lupe nahm. Das Komitee führte eine Analyse einer Vielzahl von existierenden Studien durch und kam da bei zu dem Schluss, dass bei 2,9-3,7 Prozent aller Patienten so genannte »Adverse Events« zu verzeichnen waren. Mit diesem Begriff werden Schädigungen umschrieben, die eher auf die Behandlung als auf die Grunderkrankung des Patienten zurückzuführen sind. Diese Zahlen basieren hauptsächlich auf 1984 in New York bzw. 1992 in Colorado und Utah durchgeführten Untersuchungen (Abb. 1.1)( nicht in der Leseprobe enthalten). Für besonders großes Aufsehen erregte hierbei die hochgerechnete Zahl der Todesfälle. Die Schätzung ergab, dass jährlich mindestens 44.000 Amerikaner durch Fehler bei der Behandlung ums Leben kamen.
Damit lägen Behandlungsfehler noch vor Verkehrsunfällen, Brustkrebs oder AIDS an achter Stelle der Todesursachen in den USA. Diese Zahlen sind seither immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Im Trend wurden sie durch Untersuchungen aus anderen Ländern weitgehend bestätigt. Eine vom Aktionsbündnis Patientensicherheit durch geführte Analyse von 151 Studien ergab beispielsweise, dass in Industrienationen mit vergleichbarem Gesundheitswesen bis zu 10 Prozent der in Krankenhäusern behandelten Patienten zusätzliche Schädigungen erleiden. Man wird der eigentlichen Bedeutung des IOM-Reports allerdings nicht gerecht, wenn man sich ausschließlich auf Zahlenangaben über Patientenschädigungen konzentriert. Viel mehr werden auf den über 280 Seiten auch mögliche Ursachen und daraus resultierende Lösungsvorschläge für ein sicheres Gesundheitswesen dargestellt. Unabhängig von der Relevanz der aufgeführten Zahlen hat der Bericht die erhoffte Wirkung erreicht: die Thematik Patientensicherheit wurde zum Diskussionsgegenstand.
In Deutschland werden, mangels vergleichbarer Studien, häufig Daten von stattgefundenen oder angestrebten Schlichtungs- und Gerichtsverfahren herangezogen, um auf die Zahl der Behandlungsfehler zu schließen. Jährlich werden in Deutschland ca. 40.000 Behandlungsfehler-Vorwürfe erhoben, ca. 60% da von betreffen den Krankenhausbereich. Da bei ist zu berücksichtigen, dass nicht bekannt ist, welches quantitative Verhältnis hierbei anzulegen ist. Einerseits wird vielfach nicht geklagt, ob wohl es zu Fehlern gekommen ist, während andererseits auch zahlreiche ungerechtfertige Klagen zu verzeichnen sind. Auffällig ist außerdem die prozentuale Verteilung der Fehlervorwürfe. Die Verteilung der Fehlervorwürfe auf die einzelnen Fachdisziplinen zeigt deutliche Schwerpunkte bei den operativen Fächern und der Geburtshilfe. Fachleute gehen davon aus, dass diese Prozentzahlen nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen, was u. a. ihrer Meinung nach an der Wahrnehmung durch Patienten und Angehörige liegen könnte.
Vermeintliche oder tatsächliche Behandlungsfehler werden möglicherweise in diesen Disziplinen eher wahrgenommen, als dies bei den konservativen Fächern der Fall ist. Eine Studie der Chefärztevereinigung der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin zeigt eine interessante Besonderheit. Bei der Untersuchung von mehr als 40.000 Fällen wurde eine Rate von 3,7% Adverse Events ermittelt. Dies entspricht exakt der Quote, die schon bei der New Yorker Studie im IOM-Bericht errechnet wurde.
Die Verteilung der Fehlervorwürfe gibt also nicht unbedingt ein realistisches Bild wieder. Der Versuch, anhand solcher Statistiken die tatsächliche Zahl der geschädigten Patienten zu ermitteln, bleibt also eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Ähnlich verhält es sich mit den Daten, die durch diverse gesetzliche Vorgaben (z. B. Meldung von Vorkommnissen und Beinahevorkommnissen mit Medizinprodukten an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukten) gewonnen werden. Auch sie erfassen nur einen relativ geringen Teil des möglichen Spektrums. Hinzu kommt die nicht ganz unbegründete Vermutung, dass der Meldepflicht nicht immer in vollem Umfang nachgekommen wird.