1. Admiral Yamamoto und die «Operation Hawaii»
Nachdem am 5. November 1941 für den Fall, dass keine diplomatische Einigung zwischen Washington und Tōkyō erfolgen sollte, die Entscheidung der japanischen Regierung zum Angriff auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor gefallen war, stachen am 26. November mehrere Kriegsschiffe von den im Norden Japans gelegenen Kurilen in See:[1] Es handelte sich um die von Vizeadmiral Nagumo Chūichi kommandierte «Mobile Einsatztruppe» (Kidō Butai). Die Kidō Butai war durch die Gründung der 1. Marineluftflotte der kaiserlichen japanischen Marine am 10. April 1941 zusammengestellt worden und umfasste ursprünglich fünf Flugzeugträger.[2] Im Winter 1941 wurde sie auf sechs Flugzeugträger erweitert. Als Flaggschiff führte der Flugzeugträger Akagi («rotes Schloss») die Trägerflotte an, allerdings eher aus traditionellen Gründen als etwa aufgrund größerer Leistungsstärke: Was ihre militärische Kampfkraft anbelangte, war die nach einem japanischen Vulkan benannte Akagi wegen ihrer veralteten Flak, einer kleineren Zahl an Flughangars und ihrer geringeren Seeausdauer nämlich der schwächste Flugzeugträger der Flotte. An Deck dieses 1925 vom Stapel gelaufenen Flugzeugträgers befanden sich 63 Flugzeuge, darunter 18 Jagdflugzeuge des Typs Mitsubishi A6M2, die als «Modell 0» (reisen) bezeichnet wurden und unter dem englischen Namen «Zero» zu großer Bekanntheit gelangen sollten. Überwiegend transportierte die Akagi aber Bomberflugzeuge: 18 wendige Sturzkampfbomber des Typs Aichi D3A sollten nach Abwurf ihrer zerstörerischen Fracht die «Zero»-Fighter in einem möglichen Luftkampf über Hawaii gegen amerikanische Jäger unterstützen. Die 27 Torpedo- und Horizontalbomber des Typs Nakajima B5N – die größte Gruppe an Bord der Akagi – sollten unter dem Begleitschutz von neun «Zero»-Jägern zur ersten Angriffswelle gehören. Gemeinsam mit dem Flugzeugträger Kaga, der nach der gleichnamigen japanischen Provinz benannt war und über eine Kapazität von 70 Flugzeugen verfügte, bildete die Akagi mit weiteren Schiffen als Geleitschutz die 1. Trägerdivision.
Der 2. Trägerdivision der Kidō Butai gehörten die zwar kleineren, aber technisch avancierteren und aufgrund einer vergleichsweise hohen Flugzeugkapazität und Panzerung deutlich kampfkräftigeren «Drachen»-Flugzeugträger Sōryū («saphirblauer Drache») und Hiryū («fliegender Drache») an. Die Flugzeugträger Nummer fünf und sechs der «Mobilen Einsatztruppe» waren die beiden «Kraniche» – die Shōkaku («fliegender Kranich») und ihr baugleiches Schwesternschiff Zuikaku («glücklicher Kranich») –, die nach dem japanischen Symbol für Glück und Langlebigkeit benannt worden waren. Die beiden neuartigen Flugzeugträgermodelle der Shōkaku-Klasse waren erst im August beziehungsweise September 1941 fertiggestellt worden. Beide Trägerschiffe konnten jeweils bis zu 84 Flugzeuge transportieren und bildeten gemeinsam die sogenannte 5. Trägerdivision der Kidō Butai.[3] Neben den drei Trägerdivisionen à zwei Flugzeugträgern mit insgesamt über 350 Flugzeugen an Bord gehörten der Flotte noch zwei Schlachtschiffe, zwei Schwere und ein Leichter Kreuzer, neun Zerstörer sowie fünf U-Boote an.
Die Kidō Butai war in dieser Form zusammengestellt worden, um ihren militärischen Auftrag zu erfüllen und die «Operation Hawaii» durchzuführen, die ein wesentlicher Bestandteil des großangelegten japanischen Kriegsplans im asiatisch-pazifischen Raum war: Mit dem überfallartig auszuführenden Angriff auf den Flottenstützpunkt Pearl Harbor wollte Tōkyō die US-Pazifikflotte ausschalten, die dort seit Mai 1940 permanent stationiert war. Parallel und im Anschluss zum Angriff auf Pearl Harbor sollten Japans Armee und Marine im Dezember 1941 zur Eroberung weiterer Gebiete Südostasiens und mehrerer Inseln im Pazifik vorrücken. Ziel des japanischen Kriegsplans war es, sich die rohstoffreichen Gebiete Südostasiens zu sichern und im Westen bis an die Ostgrenze Indiens vorzustoßen, um damit das Britische Empire unter Druck zu setzen. Mit Burma, Malaya, Borneo und den Stützpunkten Hongkong und Singapur sollten geo- und militärstrategisch wichtige Gebiete des Empires in Asien annektiert werden. In südlicher Richtung sollte Neuguinea eingenommen und auch Australien unmittelbar bedroht werden. Mit Guam, den Philippinen und dem Atoll Wake wollte Japan außerdem wichtige amerikanische Stützpunkte im Pazifik erobern. Sollte es jedoch nicht gelingen, die bei Pearl Harbor vor Anker liegende US-Pazifikflotte mit dem Luftangriff zu überraschen und weitgehend auszuschalten, wäre die großangelegte japanische Eroberungskampagne in Südostasien zum Scheitern verurteilt, da dann mit einem sofortigen massiven Gegenschlag der US-Navy zu rechnen wäre.
Kopf und Vordenker dieser «Operation Hawaii» war Admiral Yamamoto Isoroku.[4] 1884 in der Stadt Nagaoka in der Präfektur Niigata als Sohn einer ehemaligen Samuraifamilie in ärmliche Verhältnisse geboren, erhielt er den Namen Takano Isoroku – nach dem Alter des Vaters bei seiner Geburt (Isoroku = «sechsundfünfzig»). Nach seinem Eintritt in die japanische Marine diente er als junger Kadett auf dem Panzerkreuzer Nisshin und wurde bei der Schlacht von Tsushima, bei der er zwei Finger der linken Hand verlor, schwer verwundet. Nachdem er sich durch besondere Leistungen in der Marineakademie ausgezeichnet hatte, adoptierte ihn der in Nagaoka ansässige, altehrwürdige Yamamoto-Clan: Von nun an nannte er sich Yamamoto Isoroku. Als junger Marineoffizier studierte er in den USA, lernte dabei das Land kennen und unternahm von hier aus ausgedehnte Reisen nach Mexiko und Kuba. Wegen seiner ausgezeichneten Englischkenntnisse konnte er 1930 als Amerikaexperte und Teil der japanischen Delegation an der Londoner Flottenkonferenz teilnehmen. Aufgrund seiner Biographie war Yamamoto ein großer Amerikafreund, der keinen Krieg gegen die USA wünschte.[5] Neben seiner anglophilen Haltung charakterisierte Yamamoto, der strategische Spiele wie Go, Poker oder Bridge liebte, eine besondere militäroperative Denkweise, die ihn zu einem japanischen «Strategos» werden ließ: Im Gegensatz zum dreigliedrigen System des Deutschen Reichs – bestehend aus Heer, Marine und Luftwaffe – basierte Japans Militär auf den beiden Säulen Heer und Marine mit jeweils eigenen Luftstreitkräften. Schon früh erkannte Yamamoto die bedeutende Rolle von Luftstreitkräften in der modernen Kriegführung allgemein, insbesondere aber auch von Marineluftstreitkräften und Flugzeugträgern im Seekrieg. Über diverse Ämter im Bereich der Marineluftwaffe – zwischenzeitlich war er unter anderem Kommandant des Flugzeugträgers Akagi – kletterte Yamamoto die militärische Karriereleiter bis auf die allerhöchste Ebene hinauf. 1937 wurde er zum stellvertretenden Marineminister ernannt und in der Folgezeit zu einem Wortführer des politisch linken Flügels der Marine: Der vom Heer vorangetriebenen Expansionspolitik stand er kritisch gegenüber, ebenso der Annäherung an das nationalsozialistische Deutsche Reich. Yamamoto sah voraus, dass ein derartiges Bündnis zwangsläufig einen Krieg mit den USA im Pazifik heraufbeschwören würde, den Japan aufgrund seiner geringeren militärischen und wirtschaftlichen Potenz nicht gewinnen könne. Da politische Attentate in den späten 1930er Jahren in Japan keine Seltenheit waren und Yamamoto als Politiker – etwa als potentieller zukünftiger Marineminister – besonders gefährdet war, Opfer eines Anschlags ultranationalistischer Kräfte zu werden, machte ihn der ebenfalls amerikafreundliche Premierminister Yonai Mitsumasa 1939 zum Oberbefehlshaber der Vereinigten Flotte. Während die Kriegsvorbereitungen gegen die USA im Gange waren, hatte der am 15. November 1940 zum Admiral ernannte Oberbefehlshaber der Vereinigten Japanischen Flotte also im Dezember 1941 den Gipfel seiner Karriere erreicht: Moderate Kräfte in...