Prolog
Pep verließ Barcelona und alles, was er dort ins Werk gesetzt hatte, weil er, verehrter Sir Alex, anders als die meisten anderen Trainer ist. Er ging weg, weil er schlicht und einfach nicht der typische Fußballer ist.
Sie konnten das bereits bei Ihrer ersten Begegnung mit ihm feststellen, auf der Trainerbank im Champions-League-Endspiel in Rom 2009. Guardiola hatte für dieses Finale ein Kompendium seiner Gedanken erstellt und seine Klubphilosophie auf alles übertragen, was mit diesem Spiel zusammenhing, von der Vorbereitung bis zur Taktik, von der letzten taktischen Besprechung bis zur Art und Weise, in der sie diesen Sieg feierten. Pep hatte die ganze Welt eingeladen, die Freude über die Teilnahme an einem großen europäischen Pokalfinale mit ihm und seiner Mannschaft zu teilen.
Er war zuversichtlich, die Mannschaft so gut vorbereitet zu haben, dass sie Sie besiegen konnte, und falls dies nicht gelang, sollten die Fans den Stolz mit nach Hause nehmen, es auf die BarÇa-Art versucht und im Verlauf dieses Prozesses eine düstere Phase der eigenen Geschichte überwunden zu haben. Er hatte nicht nur einen Negativtrend innerhalb des Klubs umgekehrt, sondern auch in den erst zwölf Monaten seit seinem Amtsantritt einige ungeschriebene, aber gängige Gebote beerdigt, die sehr wirkungsmächtig waren. Da war davon die Rede, dass das Gewinnen über allem anderen stehe, dass es unmöglich sei, die höchsten Ziele zu erreichen und dabei gut zu spielen und ein Spektakel zu bieten. Oder davon, dass die grundlegenden Werte der Fairness und des Respekts nicht mehr zeitgemäß seien. Wer hat diese Regeln formuliert, wer hat diese Mode in Gang gebracht? Pep war seit seinem ersten Tag auf Barcelonas Trainerbank entschlossen, gegen den Strom zu schwimmen, weil er nur daran und an nichts anderes glaubte.
Aber das war vor einigen Jahren.
Am Ende seiner Zeit in Barcelona war er nicht mehr der jugendlich wirkende, ambitionierte, begeisterte Trainer, den Sie an jenem Abend in Rom oder, im darauffolgenden Jahr, am UEFA-Hauptsitz in Nyon in einem seltenen Augenblick der Geselligkeit erlebt hatten.
An jenem Tag, an dem er vor Medienvertretern aus aller Welt ankündigte, dass er den Klub, dem er seit seiner Kindheit angehörte, nach vier Jahren als Trainer der ersten Mannschaft verlassen werde, konnte man sehen, welchen Tribut diese Zeit gefordert hatte. Es war abzulesen an den Augen und am zurückweichenden, inzwischen auch grau durchwirkten Haaransatz. Ja, die Augen – besonders gut sichtbar war die Entwicklung, wenn man ihm in die Augen sah. Er war nicht mehr so lebhaft und beeinflussbar wie an jenem Morgen in der Schweiz, als Sie ihm ein paar weise Worte und väterlichen Rat mit auf den Weg gaben. Wussten Sie schon, dass er dieses Gespräch, diese 15 Minuten mit Ihnen, immer noch als einen der Höhepunkte seiner Laufbahn bezeichnet? Er klang wie ein vom Starruhm geblendeter Teenager, der danach noch tagelang wiederholte: »Ich begegnete Sir Alex, ich unterhielt mich mit Sir Alex Ferguson!« Damals war das alles neu und aufregend. Hindernisse waren eher Herausforderungen als unüberwindliche Hürden.
Die moderne, rechteckige UEFA-Zentrale am Ufer des Genfer Sees war an jenem sonnigen Morgen im September 2010 bei der jährlichen Trainerkonferenz der Schauplatz für die erste gesellige Begegnung zwischen Ihnen und Pep Guardiola, seit Sie beide Trainer geworden waren. Vor diesem Termin war Ihnen in Rom kaum Zeit geblieben, mehr als bloße Höflichkeitsfloskeln auszutauschen, und Pep hatte sich darauf gefreut, etwas Zeit in Ihrer Gesellschaft verbringen zu können, weit weg vom Druck des Wettkampfgeschehens. Die Konferenz bot den Trainern die Gelegenheit für Klatsch, die Erörterung von Trends, für Kritik und Konsens im Rahmen einer Elitegruppe von Führungspersönlichkeiten, die den Rest des Jahres im Zustand fortwährender Einsamkeit verbringen sollten, intensiv beschäftigt mit der Betreuung von 20 oder mehr Egos, samt deren Familien und Beratern.
Unter den Gästen war auch ein gewisser José Mourinho, der schillernde neue Trainer von Real Madrid und aktuelle Champions-League-Sieger mit Inter Mailand, der Mannschaft, die Peps FC Barcelona in der vorhergehenden Saison im Halbfinale aus dem Wettbewerb geworfen hatte. Am mittleren Vormittag, am ersten von zwei Konferenztagen, trafen Sie mit einem von zwei Minibussen in der UEFA-Zentrale ein. Im ersten Bus saßen unter anderem der portugiesische Trainer, der damalige Chelsea-Coach Carlo Ancelotti und Claudio Ranieri vom AS Rom. Guardiola und Sie kamen mit dem zweiten Bus. Als Sie das Gebäude betraten, kam Mourinho auf die Gruppe zu, die sich um Sie herum gebildet hatte, während Guardiola ein Stückchen beiseitetrat, um diese Szene in sein Gedächtnis aufzunehmen: Er fotografierte den Augenblick, im stetigen Wissen um die Bedeutung dieser Ereignisse für seine eigene Lebensgeschichte. Schließlich war er von einigen der bedeutendsten Köpfe der Fußballwelt umgeben, er war hier, um zuzuhören, zu beobachten und zu lernen. So wie er das immer gehalten hat.
Pep blieb eine Weile für sich und hielt sich von den Gesprächen fern, die sich umgehend entwickelten. Mourinho nahm ihn aus den Augenwinkeln heraus wahr und löste sich aus der Gruppe, bei der er stand. Er begrüßte Guardiola und schüttelte ihm überschwänglich die Hand. Die beiden lächelten sich an. Einige Minuten lang führten sie ein angeregtes Gespräch, dann gesellte sich Thomas Schaaf, der Trainer von Werder Bremen, hinzu und fand gelegentlich die Aufmerksamkeit seiner Kollegen.
Es war das letzte Mal, dass Pep Guardiola und José Mourinho ein freundschaftliches Gespräch dieser Art führten.
Die gesamte Gruppe begab sich zur ersten von zwei Sitzungen an jenem Tag in den großen Konferenzsaal, wo Sie über taktische Trends sprachen, die in der zurückliegenden Champions-League-Saison zu beobachten gewesen waren. Ein weiterer Punkt waren die Themen, die mit der Weltmeisterschafts-Endrunde in Südafrika zu tun hatten, bei der Spanien kurz zuvor den Titel gewonnen hatte. Alle Teilnehmer posierten am Ende der ersten Sitzung für ein Gruppenfoto. Didier Deschamps saß in der Mitte der ersten Reihe zwischen Guardiola und Mourinho. Auf der linken Seite saßen Sie neben Ancelotti. Es wurde gescherzt und gelacht, die Veranstaltung entwickelte sich zu einem recht unterhaltsamen Tag.
Kurz vor der zweiten Sitzung blieb Zeit für einen Kaffee, und Sie und Guardiola fanden sich gemeinsam in einer Sitzecke wieder. Von dort hatte man eine atemberaubende Aussicht auf das klare, blaue Wasser des Genfer Sees und die Luxusvillen auf dem gegenüberliegenden Ufer.
Pep wurde in Ihrer Gegenwart ganz demütig. In seinen Augen sind Sie ein Riese der Trainerzunft, aber an jenem Morgen waren Sie ein freundlicher Schotte, der entspannt lächelte – so wie Sie das fernab des Rampenlichts oft halten. Sie bewunderten die Bescheidenheit, die der junge Trainer an den Tag legte, trotz der Tatsache, dass Pep bis zu diesem Zeitpunkt sieben von neun möglichen Titeln gewonnen und außerdem die Fußballwelt in Diskussionen darüber gestürzt hatte, ob er beim FC Barcelona eine Evolution oder eine Revolution in Gang gesetzt hatte. Ein Konsens bestand damals in der Feststellung, dass Pep mit seiner Jugend und positiven Einstellung zumindest für frischen Wind gesorgt hatte.
Der Kaffeeplausch verwandelte sich rasch in eine improvisierte Unterrichtsstunde zwischen dem Lehrer und seinem Schüler. Pep genießt es, zu beobachten und die Neuerungen aufzunehmen, die die Fußballlegenden zum Spiel beigetragen haben. Mit großem Detailreichtum erinnert er sich an Louis van Gaals Ajax Amsterdam und die Erfolge des AC Mailand mit Arrigo Sacchi. Über beide Themen könnte er eine halbe Ewigkeit reden. Ein Sieg in der Champions League ist ihm fast so viel wert wie ein Autogramm von Michel Platini auf seinem Trikot. Auch Sie gehören zu Peps persönlicher Hall of Fame.
Der Respekt des Schülers, der jedes Wort begierig aufnahm, verwandelte sich beim Zuhören in Verehrung, und zwar nicht nur wegen des symbolischen Gehalts dieses Gesprächs und Ihrer Vorstellung vom Berufsbild des Trainers. Es waren nicht nur die Einsichten, es war die Statur des Mannes, der hier das Wort führte.
Er bewundert Sie für die Länge Ihrer Amtszeit bei Manchester United, für die Zähigkeit und innere Stärke, die man braucht, um dieser Tätigkeit so lange nachgehen zu können. Pep hat immer gedacht, der Druck in Barcelona und der in Manchester müssten von unterschiedlicher Art sein. Er möchte unbedingt verstehen, wie man sich den Erfolgshunger bewahrt und dabei den Appetitverlust vermeidet, der unweigerlich auf eine Siegesserie folgt. Er glaubt, dass eine Mannschaft, die immer nur gewinnt, auch einmal verlieren muss, um die Lehren zu ziehen, die nur eine Niederlage bereit hält. Pep möchte entdecken, wie Sie das handhaben, Sir Alex. Wie Sie den Kopf wieder frei bekommen. Wie Sie mit einer Niederlage umgehen. Sie hatten nicht die Zeit, über all dies zu sprechen, aber diese Themen werden bei Ihrer nächsten Begegnung angesprochen werden, da können Sie sicher sein.
Pep verehrt Ihre Beherrschung in Sieg und Niederlage und die Art und Weise, in der Sie Ihre eigene Auffassung von Fußball mit Zähnen und Klauen verteidigen – und Sie rieten ihm außerdem, seinem eigenen Stil treu zu bleiben, seinen Überzeugungen und seinem Ich.
»Pepe«, sagten Sie zu ihm – und er hatte zu viel Respekt, um Sie wegen dieses Namensirrtums zu korrigieren –, »Sie müssen darauf achten, dass Sie sich selbst nicht aus dem Blick verlieren. Viele junge Trainer verändern...