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Personen

Versuche über den Unterschied zwischen »etwas« und »jemand«

AutorRobert Spaemann
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783608115475
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Moderne Gesellschaften verfügen über den Wert des Lebens. Schon längst ist die Würde des menschlichen Lebens antastbar geworden. Ein Buch, das über wesentliche Werte nachdenken lässt, was es heißt, eine Person zu sein. Der Unterschied zwischen »etwas« und »jemand« besteht in einen »persönlichen Akt der Anerkennung«, den man einem Anderen zukommen lässt. Robert Spaemann entfaltet diese Überlegung und vermittelt beeindruckend, dass Personen erst dann zu Personen werden, weil wir es ihnen zuschreiben. »Spaemanns Philosophie ist ein eindringlicher und imposanter Versuch, jeder Form der Verdinglichung von lebendigen Menschen, die für ihn sämtlich als Personen zu gelten haben, entgegenzuwirken... Gerade weil Spaemann jedoch in den Auftreten von Peter Singer von Anfang an nicht allein eine ärgerliche Provokation, sondern ein zeittypisches Phänomen erblickte, hat er sich ... dem argumentativen Disput nicht entzogen. In welchem Ausmaß Spaemann diese Kontroverse als geradezu epochale Herausforderung empfand, kann man jetzt bei der Lektüre seiner großen Abhandlung über Personen nachvollziehen.« Andreas Kuhlmann im Merkur

Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg. Von 1962 bis 1992 lehrte er Philosophie an den Universitäten in Stuttgart, Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde. Robert Spaemann hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und war 2001 der Träger des Karl-Jaspers-Preises der Stadt und der Universität Heidelberg. Robert Spaemann, einer der führenden konservativen Philosophen im deutschsprachigen Raum, starb am 10. Dezember 2018.

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Leseprobe

Einleitung


Unter allem, was existiert, haben Personen eine Sonderstellung. Personen bilden nicht miteinander eine natürliche Art. Wir müssen schon wissen, um welche Art von Wesen es sich handelt, um zu wissen, ob wir es mit »etwas« oder mit »jemandem« zu tun haben. Was meinen wir, wenn wir von »jemandem«, also von einer Person, sprechen und ihm damit den Anspruch auf einen einzigartigen Status einräumen? Seit der berühmten Definition des Boethius, nach der eine Person »das individuelle Dasein einer vernünftigen Natur« ist,[1] hat die Philosophie die Merkmale zu differenzieren versucht, aufgrund derer wir bestimmte Wesen »Personen« nennen.

Diese Versuche gehen in zwei Richtungen. Einmal zielen sieauf eine Präzisierung dessen, was bei Boethius »rationabilis«, »vernünftig« heißt. Vor allem das angelsächsische Denken von Locke bis zur sprachanalytischen Philosophie der Gegenwart hat eine Reihe von Prädikaten herausgearbeitet, durch die Personen definiert werden sollen. Strawson sieht es als wesentlich an, dass Personen Träger mentaler und physischer Prädikate zugleich sind, also nicht bloß »denkende Dinge« im Sinne Descartes’.[2] Zur Unterscheidung einer Philosophie der Person von Theorien der Subjektivität oder des Bewusstseins ist das zweifellos wichtig. Aber wenn der Ausdruck »mentale Prädikate« jede Art von subjektivem Erleben bezeichnet, dann ist Strawsons Definition zu weit. Auch Rotkehlchen haben vermutlich eine »Innenseite«. Andere Autoren haben deshalb personale Merkmale dieser Innenseite zu bestimmen gesucht: Selbstbewusstsein, Erinnerung, ein Verhältnis zum eigenen Leben als Ganzem, ein Interesse an diesem Leben. Schon früher hat Max Scheler Personen als Subjekte verschiedener Arten intentionaler Akte definiert.[3]

In der anderen Richtung der Verständigung über den Personbegriff wird der soziale Charakter des Personseins in den Mittelpunkt gestellt. Personen gibt es nur im Plural. Das gegenseitige Anerkennungsverhältnis ist für Personen konstitutiv. Personen sind nicht aufgrund bloßer Artmerkmale Personen, Personsein ist ein Status, der sich einem Kommunikationsgeschehen verdankt. Es ist leicht, Fichte und Hegel als Väter dieses Gedankens zu erkennen. Da aber Hegel diesen Status schließlich in einem übergreifenden vernünftigen Allgemeinen wieder aufhob, gewann der sogenannte Personalismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst in der Abkehr von Hegel sein eigenes Profil.

Die gedanklichen Bemühungen um den Personbegriff schienen bisher von einem eher theoretisch-akademischen Interesse zu sein. Das hat sich im Lauf der letzten Jahre auf unerwartete Weise geändert. Seit Boethius hatte »Person« als ein nomen dignitatis, also als ein Begriff mit axiologischen Konnotationen gegolten. Seit Kant wurde er zum zentralen Begriff bei der Begründung von Menschenrechten.

In den letzten Jahren aber hat sich seine Funktion umgekehrt. Der Personbegriff spielt plötzlich eine Schlüsselrolle bei der Destruktion des Gedankens, Menschen hätten, weil sie Menschen sind, gegenüber ihresgleichen so etwas wie Rechte. Nicht als Menschen sollen Menschen Rechte haben, sondern nur, soweit sie Personen sind. Nicht alle Menschen aber und nicht Menschen in jedem Stadium ihres Lebens und in jeder Verfassung ihres Bewusstseins sind, so wird uns gesagt, Personen. Sie sind es zum Beispiel nicht, wenn ihnen von Anfang an die Aufnahme in die Anerkennungsgemeinschaft verweigert wurde, durch die Menschen erst zu Personen werden. Und sie sind es nicht, wenn ihnen als Individuen die Merkmale fehlen, derentwegen wir Menschen im allgemeinen Personen nennen, das heißt, wenn sie noch nicht, nicht mehr, vorübergehend oder lebenslänglich nicht über diese Merkmale verfügen. Kleine Kinder zum Beispiel, schwer Debile, auch Altersdebile, sind keine Personen, und nach Derek Parfit, dem bei weitem gründlichsten Denker dieser Richtung, sind es auch Schlafende und vorübergehend Bewusstlose nicht.[4] Es gibt keinen Grund, diesen Menschen einen Rechtsanspruch etwa auf Leben zuzugestehen; dies wäre sogar eine unmoralische Parteilichkeit zugunsten der eigenen Spezies, »Speziesismus«, wie der diskriminierende Ausdruck des australischen Tierschutzphilosophen und Ethikers Peter Singer lautet.[5]

Ein gewisses öffentliches Erschrecken, das durch diese Thesen ausgelöst wurde, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine theoretische Verlegenheit entstand. Das ist nicht ungewöhnlich in Fällen, wo kulturelle Selbstverständlichkeiten, die bisher keiner Erklärung zu bedürfen schienen, plötzlich infrage gestellt werden. Verblüffungsresistenz (Hermann Lübbe) ist zwar das erste, was man in solchen Fällen braucht. Aber Verblüffungsresistenz kann nicht das Nachdenken ersetzen. Auch das Selbstverständliche bedarf, auf die Länge, der Begründung, wenn es bestritten wird. Aristoteles, der Hermeneutiker des griechischen way of life, meinte zwar, dass jemand, der sagt, man dürfe die eigene Mutter töten, nicht Argumente, sondern Zurechtweisung verdiene. Sokrates aber wusste denen Dank, die durch ihre Provokation eine tiefere Begründung intuitiver Gewissheiten erzwangen. Manche Selbstverständlichkeiten erweisen sich in solchen Situationen als unbegründet und büßen dann ihren Status ein.

Sind alle Menschen Personen? Es zeigt sich, dass die bejahende Antwort Voraussetzungen hat. Sie setzt voraus, dass Personen zwar a priori in einer auf Anerkennung basierenden wechselseitigen Beziehung stehen, aber dass diese Anerkennung nicht dem Personsein als dessen Bedingung vorausgeht, sondern auf einen Anspruch antwortet, der von jemandem ausgeht. Sie setzt ferner voraus, dass wir diesen Anspruch zwar aufgrund gewisser Artmerkmale zuerkennen, dass es aber für die Anerkennung als Person nicht auf das tatsächliche Vorhandensein dieser Merkmale ankommt, sondern nur auf die Zugehörigkeit zu einer Art, deren typische Exemplare über diese Merkmale verfügen. Und dies, obwohl oder weil Personen sich zu der Art, der sie angehören, auf andere Weise verhalten als Exemplare anderer Spezies. Personen sind in einem unvergleichlichen Sinn Individuen. Gerade deshalb kommt es für ihre Anerkennung als Personen nicht auf das individuelle Auftreten bestimmter Artmerkmale an, sondern nur auf die Zugehörigkeit zur Art. Dieses Paradox ist eines der Resultate der Überlegungen, die in diesem Buch entwickelt werden. Wenn sie auch angeregt wurden durch die genannte Herausforderung unserer kulturellen Tradition mit ihrem gewachsenen Verständnis von Humanität und Menschenrechten, so sind sie doch nicht als Apologetik dieser Tradition zu verstehen. Gerade diese Tradition nämlich hat auch die Voraussetzung für ihre eigene Destruktion ausgebildet, besonders dadurch, dass sie Bewusstsein und Subjektivität vom Begriff des Lebens ablöste und isolierte. Nun ist Leben nicht ein Merkmal oder eine Eigenschaft, die einem Seienden fallweise zukommen oder nicht zukommen. Leben ist vielmehr, wie Aristoteles schrieb, »das Sein des Lebendigen«.[6]

Personen sind Lebewesen. Ihr Sein und ihre Identitätsbedingungen sind die von Lebewesen jeweils einer bestimmten Art. Wir ordnen sie aber nicht nur einer Art oder Gattung, sondern einer Gemeinschaft zu, die nicht prinzipiell auf die Angehörigen einer einzigen Art beschränkt ist, in der aber jeder, der ihr angehört, einen einmaligen, einzigartigen und genau durch ihn definierten Platz einnimmt. Wer ihn einnimmt, ist nicht »etwas«, sondern »jemand«. Was meinen wir, wenn wir von »jemandem« sprechen? Wie entstand die Rede von »Personen«? Was setzt sie voraus, was impliziert sie, und was schließt sie aus?

Um diese Fragen sollen die folgenden Überlegungen kreisen. Personen sind nicht etwas, was es gibt. Was es gibt, sind Dinge, Pflanzen, Tiere, Menschen. Dass Menschen mit allem, was es gibt, auf eine tiefere Weise verbunden sind als alles andere, was es gibt, untereinander verbunden ist, das heißt,...

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