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E-Book

Perspektiven. Aufsätze zur angewandten Psychologie

AutorKathrin Kiss-Elder
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl102 Seiten
ISBN9783656903765
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Psychologie - Sozialpsychologie, , Sprache: Deutsch, Abstract: Im Folgenden finden Sie psychologische Essais der letzten fünfzehn Jahre. Psychologie - unsere wunderbare Wissenschaft der Seele, ein genaueres Hinschauen zu dem, was greifbar ist, um das Ungreifbare zu erforschen. Psychologie, in der Fragen und Erkenntnisbegehren Spielräume aufzeigen und Perspektiven schaffen können - weil ich sie für so wichtig halte, hat dieser Aufsatz der ganzen Sammlung ihren Namen gegeben. Und so beginne ich auch: •Aufsätze zur Methodik der Psychologie; •Aufsätze zur Kreativität, wesentlich aus Anwenderperspektive - Kreativität als Spiel, Disziplin, Methode; •Aufsätze zu Psychologie und Religion - angefangen mit einem Aufsatz über den Zusammenhang von Kreativität und Religion, gefolgt von einem Aufsatz zu Ritualen heute; •Aufsätze zu Fragen der Architekturpsychologie - eher philosophisch-abstrakte Ansätze hin zu einer der ältesten Fragen der Menschheit: Wer schafft den Müll weg?; •schließlich Aufsätze zu allgemeinen gesellschaftlichen Fragen: Zuerst DER gesellschaftlichen Frage überhaupt: Dem Konzept Golf, über Fragen von transgenerationellen Traumata, bis hin zu einer Erörterung der Bedeutung sozialen Kapitals und der Frage, wie alte Menschen zu aktivieren sind. Die Impulse zu diesen Aufsätzen waren sehr unterschiedlich, fast immer standen Gespräche am Anfang, eine geteilte Faszination, eine Neugierde, die im Dialog mit anderen zum tieferen Erkenntnisbegehren reifen konnte. In manchen dieser Aufsätzen spiele ich eine Art sozialpsychologisches Street Ball mit Ihnen - Ziel ist, so viel wie möglich komplizierte Wörter in einem Satz unterzubringen - könnte man meinen. Aber das hat einen Grund: Bei sehr sensiblen Themen war es mir ein Anliegen, möglichst genau zu denken - der Aufsatz zu transgenerationellen Traumata gehört für mich dazu. Bei anderen Aufsätzen verzichte ich mehr oder minder auf das Denken innerhalb unseres Klettergerüstes von Verweisen und Fußnoten, es ist eine Art Denken am leeren Tisch, einen Ansatz, den ich sehr liebe. Und genau darum geht es mir: Aus Zuneigung zum Menschen weiter zu denken.

Jg. 1967 Prof. Dr. Dipl. Psych. Studiengangsdekanin Psychologie bei der DIPLOMA Studium der Psychologie, Neueren Deutschen Literatur, Praktischen Theologie in Berlin und München, Lyrikerin, Fotografin, internationale Ausstellungen drei Töchter

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Leseprobe

AUFSÄTZE ZUR METHODIK DER SOZIALWISSENSCHAFTEN


 

ERKENNTNISGEWINN: AUF DER SUCHE NACH DER RICHTIGEN METHODE


 

Street-Ball-Index:

 

 

Zusammenfassung in einem Satz: Der Artikel bietet einen Einstieg in verschiedene Erkenntnisstrategien psychologischer Methodik – verständlich und aus der Perspektive der Anwendbarkeit und des zugrundeliegenden Menschenbildes erklärt.

 

Zahlen. Figuren. Etablierte Erkenntnisstrategien

 

Immer, ob ich das Wirkliche im Ganzen oder als die einzelne Tatsache ergreifen will, - am Ende ist das Wirkliche die unerreichbare Grenze der methodischen Forschung.“

 

Karl Jaspers, 1956, 58

 

Nach welchen Orientierungsregeln komme ich zu welchen Erkenntnissen? In der Grundfrage nach dem „richtigen“ Weg zu Erkenntnis kann man zwei Strategien isolieren (s.a. zur Lippe in Maturana, 1994, 11):

 

 Erkenntnis durch Abstraktion - Versuch objektiver Erkenntnis

 

(Rationalität, Quantifizierung, Idealisierung – s.a. Waldenfels, 1985, 28)

 

 Erkenntnis durch Konkretion - Versuch „lebender“ Erkenntnis

 

(qualitative, fallbezogene Methodik unter Einbezug von Fallstudien und Erfahrungsberichten, subjektiven Theorien, qualitativer Hermeneutik, Dichtung)

 

Zwischen diesen beiden Strategien toben bekanntlich arge Rechtfertigungskämpfe, die schon Diderot (1713 - 1784), selbst Autodidakt, wunderschön karikierte (s.a. Diderot, 1920, 28ff) . Was an tatsächlicher Erkenntnis bleibt und durch welche Prozesse diese tatsächlich erzeugt wird, bleibt im Kreuzfeuer von Macht- und Rechtfertigungskämpfen für den Normalsterblichen meist im Dunkel.

 

Novalis sanfte und doch in ihrem Sinn so herausfordernde Worte von dem Streit zwischen den „Zahlen und Figuren“ und den „wahren Weltgeschichten“ (Novalis, 1978, 395) sind immer noch aktuell.

 

Wissen dient der Auflösung von Inkonsistenzen.

 

Es dient der Steuerung von Bewährtem.

 

Und es zielt auf die Erschließung neuer Möglichkeiten.

 

Wie kommen unsere Ergebnisse zustande?

 

Wie entsteht und funktioniert Wissen?

 

Welche Überprüfungsnormen setzen wir ein und lassen wir zu?

 

Wo verbergen sich möglicherweise Denkverbote?

 

Wissen muss bestimmten Kriterien genügen, um Qualität zu „haben“ - aber diese Qualitäten sind flexibel und verschiebbar.

 

Wissenschaft:

 

Eine Welt ohne Bilder?

 

Ohne Gedichte, ohne Poesie?

 

Ohne Träume, ohne Gefühle?

 

Ohne Visionen, ohne eigene Vergangenheit?

 

Materie ohne Transzendenz? Transzendenz.

 

Vielleicht ist es Zeit, sich darauf zu besinnen, dass unsere Theorien nichts weiter sind, als Arten, die Welt zu sehen (s.a. Isaacs, 1999, 73) , nicht mehr, nichts weniger. Sie können an ihrer Sorgfalt und ihrem Einfallsreichtum, ihrer Trendbezogenheit oder ihrer Weite beurteilt werden. Aber sie werden sich immer an der Knautschzone zwischen Immanenz und Transzendenz reiben:

 

Wissenschaft zwischen Immanenz und Transzendenz

 

Der Streit der Zahlen und Figuren symbolisiert sich auch in den Fehden zwischen Natur- und Geisteswissenschaft. Abstraktes oder praktisches Denken - poetisches oder konkretes Wort - reden oder singen - was ist die rechte Art, die Welt zu erkennen - und wo beginnt das, was der Sozialwissenschaftler Isaacs die „Pathologien des Denkens“ genannt hat?

 

Zwei Erlebnisse aus meiner eigenen Geschichte sind mir hier prägnant: Einmal die Werbung eines Trierer Psychologie-Professors, man könne hier in der Psychologie den Dr. rer nat machen. Dann die Worte eines Bochumer Psychologie-Professors, man wäre hier doch naturwissenschaftlich orientiert.

 

Die Psychologie - eine Naturwissenschaft?

 

Was kann die Psychologie leisten, was einer Naturwissenschaft nahe käme? Vorerst gefragt - und diese Frage ist so alt wie gefährlich: Was ist eine Naturwissenschaft?

 

Die Naturwissenschaft zeichnet sich durch eine gewisse Vergleichbarkeit aus. Diese ist eine Voraussetzung für eine effektive Normierung von Meß- und vor allem Interventionsinstrumenten. Wäre das Herz eines jeden Menschen anders gebaut, würde etwa niemand daran denken, einen Herzkatheter zu bauen. Es wäre zu risikoreich.

 

Diese Vergleichbarkeit ist objektiv, reliabel, also zuverlässig, und gültig - damit erfüllt sie alle statistischen Gütekriterien - der Traum jedes Testpsychologen. In der Intervention, wenn es um die Frage von Ursachenforschung geht, fehlen allerdings auch den Naturwissenschaftlern oft Beweise. Hier geht es gerade darum, wenn man sich nicht um punktuelle Erkenntnis und punktuelle Intervention bemüht, sondern komplexere Zusammenhänge zu fassen sucht. Ziehen wir uns aus irgendeinem Grunde nicht mehr in die Welt unserer „sauberen kleinen Untersuchungen“ zurück, geraten beide Wissenschaften in den Nebel.

 

Auch Naturwissenschaftler begnügen sich bei komplexeren Sachverhalten mit dem üblichen Beweis-Suggorat der quantitativ orientierten Geisteswissenschaften: Nämlich dem Versuch, statistische Wahrscheinlichkeiten als Ersatz für Beweise zu nehmen - was in der Populärstatistik ja dann auch gelingt. X klappt unter der Bedingung Y, also stimmt es.

 

Ein ernsthafter, neugieriger Methodiker allerdings kann damit nicht zufrieden sein: Denn dass X klappt, kann viele Ursachen haben, die nicht unbedingt auf Y zurückzuführen sind. Wir müssen also mit intermittierenden „Stör“variablen rechnen, auch wenn unser Versuch vielleicht ganz gut aussah. Vielleicht ist es eben doch eher die hübsche Krankenschwester, die den Patienten auf den Damm brachte, und nicht etwa das Mittel.

 

Aber nicht nur das: Auch dass Versuche gescheitert sind, kann an Gründen liegen, die sogar in unserem um Objektivität bemühten Untersucher, wenn auch verborgen, liegen - etwa in seiner unterschwelligen Ablehnung des Experimentes.

 

Das sind eigentlich statistische Dönekens, die jedem bekannt sind. Dies also nur um es noch einmal präsent zu machen.

 

Schließlich: Wenn X geht - vielleicht geht dann Z (+8) aber besser? Wir wissen es nicht. Und in diesem Punkt behält die naturwissenschaftliche Erkenntnis jene schmerzliche Ambivalenz und jene demütigende Offenheit, die uns oft genug in den Geisteswissenschaften aufstößt.

 

Nochmal zu den Vergleichbarkeiten: Die Naturwissenschaften, das skizzierte ich vorhin, leben von Vergleichbarkeiten. Es macht ihr System durchschaubar und steuerbar. Im einfachsten angefangen, ist es doch stets eine beruhigende Gewissheit, dass 1 + 1 2 ist. Unser ganzer kaufmännischer Wagemut beruht darauf. Nur: Gerade Kaufleute wissen sehr genau, dass 1 + 1 oft eben nicht 2 ist, sondern 3 oder auch einmal 0,1 - je nach Marktsituation, indem jener „Mehrwert“ eigentlich entstand. Solche Prozesse sind Teil der Marktdynamik, und sicher auch ein Grund dafür, dass diesen Bereich noch Spinner und Visionäre besiedeln - Künstler, auf eine Art. Offenheit und Ambivalenz gehört hier zum Geschäft und gerade die Öffnung hin zu unterschiedlichsten Realitätsarrangements erlaubt einen Zugriff auf Zielgruppen und damit Märkte.

 

Strukturell geschieht folgendes: Da die naturwissenschaftlichen Konzepte etwa der Finanzmathematik nicht ausreichen, wird die Struktur ergänzt und angereichert durch geisteswissenschaftliche Konzepte. Das ist effektiv und wird deshalb nicht groß in Zweifel gezogen. Es macht eine Zusammenarbeit von Banker und Philosoph neben dem üblichen netten Mäntelchen auch im Sinne der Ziele eines Wirtschaftlers sinnvoll.

 

Wo immer es weg von der Materie um Transzendenzgeschehen geht, ist also die Geisteswissenschaft gefragt, d.h. bei jedem Mehr- oder Minderwert, der durch das Interagieren materieller Konstellationen nicht erklär- nicht steuerbar oder in seinen zentralen Eigenschaften nicht beschreibbar ist.

 

„Dinge“ mögen materiell fassbar sein - wie die Farbe Rot. Etwa in Form eines neuronalen Musters oder errechenbaren Beliebtheitsskalen einer Farbe. Aber das materielle Korrelat ist nicht das Wesentliche. Es sagt nichts oder nichts Signifikantes über die Qualitäten des Materiellen - hier der Farbe Rot - aus. Die Beliebtheitsskale erklärt mir vielleicht, post festum, warum im Moment so viele rote Autos gekauft werden. Aber warum die Farbe beliebt ist, wann sich das ändern wird und wie ich das steuern kann - diese Frage wird dadurch nicht beantwortet.

 

Dann also ist die Geisteswissenschaft gefragt. Wir werden keine Beweise bringen können - aber Näherungen, Hinweise. Wir können hinweisen auf die Bedeutung des Nichtmateriellen und versuchen, diese Qualitäten in Sprache zu fassen - also Begriffe erzeugen oder verdichten.

 

...
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