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E-Book

Pestalozzi

Sein Leben und seine Ideen

AutorPaul Natorp
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl188 Seiten
ISBN9783837055825
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Paul Natorp (24.1.1854 - 17.8.1924) war ein deutscher Philosoph und Pädagoge, der als Mitbegründer der Marburger Schule des Neukantianismus Bekanntheit erlangte.

Paul Natorp (24.1.1854 - 17.8.1924) war ein deutscher Philosoph und Pädagoge, der als Mitbegründer der Marburger Schule des Neukantianismus Bekanntheit erlangte.

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Zweites Kapitel


Die Prinzipien der Pestalozzischen Pädagogik.

§ 1.
Die Ausgabe eines Systems der Pestalozzischen Pädagogik

Gibt es ein System der Pädagogik Pestalozzis? In dem Sinne freilich nicht, dass er selbst seine Gedanken über Erziehung zu einem System ausgebaut und ein solches in seinen Schriften vorgelegt hätte. Seine Denkrichtung war von Haus aus nichts weniger als systematisch. Oft hat er ausgesprochen, dass seine Ideen ihm stets aus den Erfahrungen seiner Erziehungsarbeit hervorwuchsen, und dass er nur darum ihnen etwas zutraute, weil sie das unmittelbare Resultat seiner Erfahrungen und somit als »Tatsache« ihm bewährt waren. Zu ihrer abstrakt logischen Verarbeitung mangelte ihm, wie er selbst am besten wusste und oft bis zur Übertreibung ausgesprochen hat, die genügende theoretische Schulung; dazu hielt er beinahe jeden andern, hielt er namentlich seinen Niederer für viel geschickter als sich selbst, dem das Theoretisieren stets sauer fiel, der nur mühsam sich zu einiger begrifflicher Klarheit über seine eigenen Grundsätze durchzuringen vermochte.

Aber das hindert nicht, dass in Pestalozzi eine natürliche Philosophie arbeitet, wie überhaupt in jedem echten Genie. Denn schöpferisch ist nur der Geist, der zu den Ursprüngen der Wahrheit herabsteigt. Das aber und nichts anderes ist Philosophie. Versteht man darunter gemeinhin mehr die analytische Arbeit, welche den Zusammenhang aller abgeleiteten Gestaltungen des Menschengeistes mit den letzten erreichbaren Ursprüngen derselben in logischen Formen darzustellen bemüht ist, so wäre doch all solches analytische Treiben leer und unfruchtbar, wenn nicht die Analyse ihr sicheres Fundament hätte in den ursprünglichen, schöpferischen Synthesen, in denen die menschliche Erkenntnis, in denen das, was man kurz zusammenfassend den Menschengeist nennt, allein lebendig wirksam ist.

Dass das letzte Schöpferische im Menschen eben der »Geist«, das heißt der Gedanke ist oder die Idee, dessen ist sich Pestalozzi wahrlich bewusst gewesen. Die Rechenschaft aber von dem Gedanken, der Idee, als den Schöpfern ihrer Gegenstände, heißt Philosophie. Und so hat Pestalozzi die Aufgabe, die durch die Eigenart seiner Anlage und seines Interesses am Menschen, besonders am werdenden Menschen ihm gestellt war, als philosophische stets anerkannt und ausdrücklich bezeichnet. Schon in dem ersten bedeutenden Dokument seiner Forschung, der »Abendstunde«, fragt er nach der Wahrheit, die, aus dem »Innersten unseres Wesens« geschöpft, »allgemeine Menschenwahrheit« sei; nach einer wahren, beruhigenden Weisheit, die »einfach und allgemein anwendbar« sei. Nach einem Briefe des Jahres 1785 ist er bemüht, die »allgemeine Theorie der echten Menschenführung« in helleres Licht zu setzen. Er arbeitete damals an dem Abschluss seines Romans; an dessen Ende aber, wie dann auch in der zweiten Bearbeitung, sehen wir ihn bestrebt, über die »Philosophie« (das heißt, den theoretischen Ertrag) seines Buches sich klar zu werden. In den »Nachforschungen« sodann will er zwar »weder von der Philosophie der Vorzeit noch von derjenigen der Vergangenheit irgendeine Kunde nehmen«; aber doch bezeichnet er eben dies Buch brieflich schon vor der Veröffentlichung als die »Philosophie seiner Politik«; er freut sich, durch Fichte überzeugt zu sein, »sein Erfahrungsgang habe ihn im wesentlichen den Resultaten der Kantischen Philosophie nahegebracht«; und Herder als Rezensent nennt das Buch, indem er auf seine ja offenkundigen Beziehungen zu Rousseau hinweist, doch seinem Grundcharakter nach »die Geburt des deutschen philosophischen Genius«. Dass es den Charakter einer Philosophie – und zwar einer »Philosophie der Politik« im höchsten Sinne: der Gemeinschaft als Erziehung und der Erziehung als Gemeinschaft – wirklich hat, dass es eine abstraktive Methode, nächst verwandt der Platos im »Staat«, befolgt, ist unbestreitbar. Dass es aber eine höchst unklare Philosophie, ein »Galimatias« sei, haben nur Nichtphilosophen behauptet; gerade die am meisten philosophischen Leser haben, von Herder und Fichte an, das Gegenteil gefunden. Nur analytische Deutlichkeit ist es, die ihm mangelt; die Synthese ist von großer Tiefe und bis auf weniges auch, wie alles wahrhaft Tiefe, von einfacher Klarheit. Immerhin hatte dieser direkt philosophische Anlauf für ihn nur die Bedeutung einer Episode; er wäre schwerlich dazu gekommen ohne die lange unfreiwillige Unterbrechung seines praktischen Wirkens. Aber auch auf der Höhe der von Stanz ab mit verdoppelter Energie wieder aufgenommenen Erzieherarbeit vermisst und sucht er (nach einem Briefe an Wieland 1801) im Gegensatz zu jeder zerstückten Behandlung der Erziehungsfragen »Fundamente für den ganzen Menschen«; er strebt und glaubt (in der »Gertrud«) die »unwandelbare Urform der menschlichen Geistesentwicklung« zu entdecken; er möchte die Gesetze des Unterrichts aus der »Natur unseres Geistes« herleiten usf. Er hat dann die Aufgabe der philosophischen Rechtfertigung seiner »Methode« zwar dem gründlich philosophisch geschulten Niederer anheimstellen wollen, dem er geradeswegs zutraute, dass er ihn sogar besser verstehe, als er sich selbst verstand. Auch wäre es irrig zu behaupten, dass dieser die Ideen seines schwärmerisch verehrten Meisters nicht auch im wesentlichen zutreffend aufgefasst hätte, wenngleich er hernach durch Hineintragung neu-idealistischer, besonders Schellingscher Gedanken sie einigermaßen aus ihrer ursprünglichen Richtung gebracht hat. Pestalozzi hat dies, nachdem er eine Zeitlang ihm beinahe blind vertraut hatte, später selbst stark empfunden und nun, zumal unter der Einwirkung Schmids, sich schroffer, als in der Sache begründet war, von ihm losgesagt. Aber selbst jetzt, z.B. in der Geburtstagsrede von 1818, behauptet er mit größtem Nachdruck den Wissenschaftscharakter der von ihm angestrebten Erziehungsmethode, wenn er auch fern ist von dem Anspruch, im Besitz dieser gesuchten Wissenschaft zu sein. Ja selbst aus der bitteren Stimmung heraus, in der das schließliche Scheitern seiner praktischen Unternehmungen ihn zurückließ, selbst in der Zeit seines tiefsten Misstrauens nicht nur gegen Niederer, sondern gegen seine eigene philosophischere Periode, im »Schwanengesang«, vermag er dennoch den philosophischen Grundzug seines Bestrebens nicht zu verleugnen. Auch jetzt noch, ein Jahr vor seinem Tode, hofft er die Erziehungslehre auf »tiefgreifende psychologische Grundsätze«, auf die »ewigen Gesetze der Menschennatur« gegründet zu haben, und verspricht sich alles von einer »immer wachsenden Klarheit der Theorie« der Erziehung, ohne welche alle einzelnen Bemühungen um diese »durchaus kein Fundament eines inneren, sich untereinander gegenseitig unterstützenden und belebenden Zusammenhanges« haben würden. Und wenn er in der Vorrede der Cotta-Ausgabe der »Gertrud« gegen die »der praktischen Ausführung vorgeschrittene und sie weit überflügelnde und hinter sich zurücklassende Deduktionsansicht« Niederers sich allerdings verwahrt und im Gegensatz dazu erklärt, den Weg seiner »Empirik«, der der Weg seines Lebens sei, fortwandeln zu wollen, so betont er doch unmittelbar in demselben Zusammenhang, dass sein Tun »doch nicht völlig nur ein blindes Tappen nach wirklich nicht begriffenen Erfahrungen war«; er hofft vielmehr, es werde auch in seinem empirischen Gang in Rücksicht auf seinen Gegenstand »einiges (als) philosophisch begründet klar« geworden sein, was auf irgendeinem anderen Gang nicht leicht zu der gleichen Klarheit hätte gebracht werden können. Auch die analytische Form der Deduktion hat er damit schwerlich überhaupt und grundsätzlich ablehnen wollen. Wenn er z. B. in der Denkschrift von 1802 seine »endlichen Schlusssätze gänzlich, nur auf vollständige Überzeugung oder wenigstens auf vollkommen eingestandene Vordersätze gründen« will, so strebt er unleugbar eine deduktive Begründung der Erziehungslehre an. Die geradezu wegwerfenden Selbsturteile Pestalozzis über seine philosophische Begabung aber (er sei für das eigentliche Philosophieren seit seinen zwanziger Jahren zugrunde gerichtet u. dgl.) sind nicht zu buchstäblich zu nehmen und dürfen für unser Urteil nicht maßgebend sein. Das »eigentliche«, nämlich analytische Philosophieren war allerdings nicht seine Sache, er hat es darin nie zu irgendeiner routinemäßigen Gewandtheit gebracht; aber fast in allen seinen Schriften finden sich Ausführungen, die auch strengeren Anforderungen in dieser Hinsicht genügen. Es haben doch die philosophisch Höchstgebildeten seines Zeitalters – wie Herder, Fichte, Schelling, Herbart, Fröbel, Nicolovius, Süvern, Fischer, Stapfer, Ith, Grüner u. v. a. – keine geringe Aufgabe darin gesehen, seine Ideen gründlich zu durchdenken, allerdings auch sie zu größerer analytischer Klarheit erst durchzuarbeiten. Es haben schöpferische Gelehrte wie Karl Ritter und Jakob Steiner aus seinen in philosophischer Tiefe begriffenen Ideen die Anregung zu Forschungen geschöpft, die ganzen Wissenschaften neue Bahnen gewiesen haben. Überhaupt sein ganzes Zeitalter hat ihn philosophisch genommen; gewiss, weil es ein philosophisches Zeitalter war; aber eben ein solches hätte der Unphilosoph, den manche aus ihm haben machen wollen, unmöglich anziehen, es hätte nicht in ihm sich wiederfinden können, wenn nicht etwas von Philosophie in ihm selbst lag. Nur eine unphilosophische Zeit hat das Philosophische in ihm verkennen können; seitdem aber Interesse und Verständnis für Philosophie bei uns wieder im Aufsteigen ist, findet auch der Philosoph in Pestalozzi mehr und mehr wieder die Beachtung, die er beanspruchen darf.

Liegt aber eine Philosophie in Pestalozzis Erziehungslehre, so ist es eine unabweisbare Aufgabe, sie auch so rein als möglich herauszuarbeiten; selbst auf die Gefahr eines...

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