I.
DER FREIGEIST – LIBERTÄRE WELTSICHT
I remain committed to the faith of my teenage years: to authentic human freedom as a precondition for the highest good. I stand against confiscatory taxes, totalitarian collectives, and the ideology of the inevitability of the death of every individual. For all these reasons, I still call myself »libertarian«.
Peter Thiel1
Das Libertäre Manifest
Für Peter Thiel ist die persönliche Freiheit das höchste Gut überhaupt. Die Politik und ihre Gesetze sieht er als Bevormundung aufgeklärter, freiheits- und fortschrittsliebender Menschen an. In seinem viel beachteten Essay ›The Education of a Libertarian‹ legte er im Frühjahr 2009 seine ungeschminkte Sichtweise auf die Politik und seine Weltsicht dar.
Er sei, so beginnt der Essay, seinen Ansichten seit seiner Zeit als Teenager treu geblieben. Er stemmt sich gegen Steuererhebungen, die »beschlagnahmenden« Charakter haben, und lehnt totalitäre Systeme, aber auch die »Ideologie von der Unausweichlichkeit des Todes jedes Einzelnen«, ab.
Thiel berichtet von seiner Zeit als Philosophiestudent Ende der 1980er-Jahre, als er sich zu den »Geben-und-Nehmen«-Debatten hingezogen fühlte, mit dem Verlangen, Freiheit durch politische Mittel zu erreichen. Die Gründung der studentischen Stanford Review sollte die vorherrschende Rechtgläubigkeit auf dem Campus herausfordern. Doch selbstkritisch merkt Thiel an, dass er und seine Mitstreiter angesichts des geleisteten Aufwands wenig erreicht hätten. »Viele der Auseinandersetzungen fühlten sich an wie der Grabenkrieg an der Westfront des Ersten Weltkriegs; es gab zahlreiche Gemetzel, aber wir gelangten nicht zum Zentrum der Debatte.«
Während seiner Zeit als Anwalt und Hedgefondsmanager in Manhattan in den 1990er-Jahren begann Thiel zu verstehen, »warum so viele nach dem Studium desillusioniert wurden.« Die Welt erschien vielen als ein »viel zu großer Ort«. »Anstatt gegen die unbarmherzigen Unterschiede des Universums anzukämpfen, haben sich viele meiner gescheiten Gleichgesinnten auf die Pflege ihres kleinen Gartens konzentriert.« Thiel beobachtete, dass mit höherem Intelligenzquotienten die Vorbehalte gegenüber einer freien Marktwirtschaftspolitik wuchsen. Laut seinem Essay manifestierte sich dies bei den gebildetsten Konservativen in Trinksucht, während sich die klügsten Libertäre über den Alkohol hinaus nach Möglichkeiten von Ausflüchten Gedanken machten.
Thiel, der sich selbst als Optimist sieht, zeichnet unter dem Eindruck der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 ein düsteres Bild der Aussichten einer libertären Politik. Das Platzen der Immobilienblase, der Bankrott von Lehman Brothers und die anschließende temporäre Verstaatlichung von Unternehmens-Ikonen wie dem Autobauer General Motors und dem Versicherungsgiganten AIG sind schwer zu schluckende Pillen für jeden libertär Denkenden. Es war die größte Wirtschafts- und Finanzkrise nach 1929 und sie stürzte die Finanzmärkte in den Abgrund. Nur durch massive staatliche Eingriffe just der Parteien, die laut Thiel hauptverantwortlich für die Blase waren, konnte erfolgreich gegengesteuert werden. Allerdings musste dem durch eine massive Ausweitung der Staatsverschuldung und neuen Regularien insbesondere im Banken- und Versicherungssegment Rechnung getragen werden. Verantwortlich für die Krise waren überbordende Schuldenlasten, die noch dazu von Regierungen gestützt und gegen hohe Risiken versichert wurden. Und nun sollte das Problem mittels neuer Schulden und noch mehr staatlicher Eingriffe gelöst werden! »Für diejenigen, die im Jahr 2009 Libertäre sind, kulminiert unsere Ausbildung in der Erkenntnis, dass die breitere Ausbildung des Organs Politik vergebliche Mühe ist.«
Doch noch schlimmer, so Thiel, ist die Erkenntnis, »dass der Trend schon für eine lange Zeit in die falsche Richtung geht.« Immer stärker interveniert der Staat mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik und manipuliert damit auch die Finanzmärkte. Unter dem Eindruck der massiven staatlichen Eingriffe und Hilfsmaßnahmen des Winters 2008/09 erwähnt Thiel in seinem Essay die Wirtschaftskrise 1920/21. Damals hat die US-Regierung nicht interveniert, was zu einer kurzen und heftigen Krise im Stile des »Schumpeterschen kreativen Akts der Zerstörung« führte, aber letztlich in ein prosperierendes Jahrzehnt mit den »Roaring 1920s« mündete. Thiel glaubt nicht mehr daran, »dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind.« Hauptverantwortlich für den Widerspruch aus Kapitalismus und Demokratie ist für Thiel das seit 1920 zu beobachtende Anwachsen des Wohlfahrtstaats gepaart mit dem Frauenwahlrecht.
Thiel kommt zu dem für ihn resignierenden Schluss, dass im Moment die Politik der Königsweg für die Zukunft unserer Welt ist. »In unserer Zeit besteht die große Aufgabe der Libertären darin, einen Ausweg aus der Politik in all ihren Formen zu finden.« Doch damit ist es nicht genug. Die »Flucht« muss über die Politik hinaus erfolgen, so Thiel. Dazu müssen »unentdeckte Gebiete« erschlossen werden, in denen neue Formen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ausprobiert werden können. Doch weil praktisch jeder Zentimeter der Erde bereits kartografiert und bekannt ist, konzentriert er seine Anstrengungen auf neue Technologien, die »einen neuen Raum für Freiheit« schaffen sollen.2
Die drei bedeutendsten sind für ihn:
Der Cyberspace
Als Unternehmer und Investor, so Thiel, habe er seine »Anstrengungen auf das Internet fokussiert«. Mit PayPal wollte er eine neue Weltwährung schaffen, die frei von »Regierungskontrolle und Verwässerung ist«, um die bestehende Währungssouveränität der Staaten aufzuheben. Mit dem Facebook-Investment in den 2000er Jahren wurde der Raum geschaffen für neue Formen von Gemeinschaften, die »nicht an Nationalstaaten gebunden« waren. Die neuen virtuellen Welten werden die soziale und politische Ordnung verwandeln. So wurde der US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 bereits maßgeblich durch die sozialen Medien und im Wesentlichen durch den geschickten Einsatz von Facebook und Twitter entschieden. Das vorliegende Buch geht darauf noch ausführlich ein. Festzuhalten bliebt, dass Face-book mit seinen rund zwei Milliarden Mitgliedern inzwischen über eine so große Reichweite verfügt, dass es die von Thiel angesprochene soziale und politische Ordnung erheblich beeinflussen kann. Zwar hat PayPal es nicht geschafft, eine eigenständige Währung einzuführen, doch mit dem Aufkommen der Bitcoins und der damit verbundenen weltweiten Euphorie um das Computergeld zeichnet sich auch hier eine disruptive Veränderung ab, die herkömmliche staatliche Strukturen der Geldpolitik verändern kann.
Der Weltraum
Der Weltraum bietet für Thiel eine »grenzenlose Fluchtmöglichkeit vor der Weltpolitik«. Aber dafür gibt es eine starke Eintrittsbarriere. Die Raketentechnologie hat seit den 1960er-Jahren bis zum Jahr 2009 wenig Fortschritte gemacht, sodass eine Zukunft im All »fast unerreichbar weit weg ist.« Notwendig ist eine »Verdoppelung der Anstrengungen für die kommerzielle Raumfahrt, aber wir müssen auch realistisch sein hinsichtlich der damit verbundenen Zeithorizonte.« Thiel schlussfolgert, dass eine libertäre Zukunft im All, wie sie von dem bekannten amerikanischen Science-Fiction-Autor Robert A. Heinlein skizziert wurde, »nicht vor der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts Realität« würde. Thiel gehört inzwischen mit seinen Risikokapitalfonds zu den großen Finanziers der kommerziellen Raumfahrt. Er hat u. a. massiv in das von seinem PayPal-Kompagnon Elon Musk gegründete Raumfahrtunternehmen SpaceX investiert. SpaceX wurde als Start-up zunächst belächelt, macht aber in der Zwischenzeit den bisherigen Platzhirschen NASA und ESA das Leben schwer, indem es auf ganz neue Technologien und Verfahrensweisen setzt. 2017 gelang es SpaceX als erstem Raumfahrtunternehmen, Bestandteile einer Trägerrakete wiederzuverwenden. Die Kosten für den Transport ins All dramatisch zu drücken und den Mars zu erobern, das ist das erklärte Ziel von SpaceX.3
Das Seasteading
Auf der Achse zwischen den Extremen Cyberspace und dem Weltall liegt für Thiel die Möglichkeit der Besiedelung der Ozeane. Seasteading bedeutet die Schaffung von Stätten mit dauerhaftem Lebensraum auf dem Meer, ohne dass Länder einen Einfluss auf diese Gebiete nehmen können. Bereits im Jahr 2009 hielt Thiel die Technik für ausgereift genug, dass es wirtschaftlich Sinn macht, aber spätestens in naher Zukunft würde es seiner Meinung nach so weit sein. »Es ist ein realistisches Risiko und deshalb unterstütze ich diese Initiative mit großen Erwartungen.« Doch in den letzten Jahren wurde es im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Investments Facebook und...