Kraftvolle Sanftheit
Dwight und ich waren noch nicht lange zu Pferd unterwegs, als wir den Gipfel eines kleinen Tafelbergs erreichten und ins Tal hinabblickten, das grün von frischem Frühlingsgras und gelb vom Schein des Sonnenaufgangs unter uns lag. Es war vielleicht einen Kilometer lang und zweihundert Meter breit und in ihm war eine Handvoll Pferde auszumachen. Eines sah schwarz oder zumindest sehr dunkelbraun aus, eines war ein Appaloosa, dann noch zwei Schimmel und drei Füchse. Und einer der Füchse hatte ein offensichtlich gerade geborenes Fohlen bei sich.
„Ist sie das?“ fragte ich.
Dwight neigte sich im Sattel. „Ich glaube nicht.“
„Nein?“ fragte ich, „Sie hat ein Fohlen und ich glaube sonst sind keine tragenden Stuten hier draußen.“
Sein Zeigefinger schob seinen verwitterten Cowboyhut ein wenig nach hinten, sodass er sich an der Stirn kratzen konnte. „Nein“. Er rutschte den Hut abermals zurecht. „Ich glaube, sie war eine Braune.“
„Eine Braune?“
„Oder dunkelbraun.“
„Du hast keine Ahnung, welche Farbe sie hatte?“
„Es war dunkel.“
„Das Pferd?“
„Ich glaub’ schon, aber als wir sie gekauft haben, war es auch schon dunkel draußen.“
Er blinzelte ins Tal und besah sich die Fuchsstute mit ihrem Baby. „Und das ist jetzt mehr als eine Woche her. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie kein Fuchs war.“
„Ziemlich sicher?“
„Naja, ich hab zwei Füchse gekauft“, sagte er, während er weiterhin die kleine Herde unter uns beobachtete. „Aber das waren Wallache. Die Stute war braun… oder dunkelbraun… glaube ich.“
Zumindest einigermaßen davon überzeugt, dass die Stute, die wir suchten (und, Dwights Vorschlag folgend, von der zweitausend Hektar großen Weide holen sollten, auf der unsere Pferde überwinterten), nicht Teil der Gruppe war, auf die wir gerade hinunterblickten, wendeten wir unsere Pferde und setzten unseren Weg fort.
Die Angelegenheit, mit der wir uns an diesem Morgen beschäftigten, hatte bereits einige Tage zuvor begonnen, als ich einen Anruf von Dwight bekam, einige Pferde betreffend, die er am vergangenen Wochenende gekauft hatte. Dwight war an diesem Wochenende rauf nach Minnesota gefahren, um Freunde und Verwandte zu besuchen, und nachdem er schon mal dort war, machte er einen Abstecher zu einer Pferdeverkaufsshow. Reitpferde bekam man gerade recht günstig, also hatte er sich entschlossen, einige zu kaufen, die ich auf der Gästeranch, auf der ich Vormann war, gut würde gebrauchen können.
Als lebenslanger Viehzüchter hatte Dwight ein ausgezeichnetes Auge sowohl für Rinder als auch für Pferde. Und nebenbei war sein Herz so groß wie Montana; sobald es darum ging, jemandem zu helfen, insbesondere einem Freund, tat er das ohne zu zögern. In diesem Fall wusste er, dass mir einige Pferde für die kommende Saison fehlen würden und so hatte er beschlossen, mir zu „helfen“ und ein paar für mich zu organisieren. Details – wo die Pferde hinsollten, nachdem er sie gekauft hatte, ob sie reitbar waren, ob sie irgendeine ansteckende Krankheit hatten, die möglicherweise den ganzen Bestand befallen könnte – das war alles nicht so wichtig.
Und als er mich anrief, um mir zu sagen, dass er ein paar Pferde gekauft hatte und mir dann erzählte, sie seien alle gesund und er habe sie zur Herde auf unsere Weide gebracht, war ich auch nicht allzu besorgt. Natürlich, ich hatte ihn nicht darum gebeten, auch nur irgendein Pferd für uns zu kaufen und ich hatte keine Ahnung wie sie aussahen. Die Tatsache, dass er zudem Probleme hatte, sich daran zu erinnern, wie sie aussahen, war allerdings ein wenig bedenklich, nachdem nicht alle Pferde auf der Weide der Ranch gehörten.
Etwa fünfzehn oder so gehörten anderen Leuten aus der Gegend, die ihre Pferde auch über den Winter auf dieser Weide hatten. Also konnte es durchaus sein, dass wir versehentlich das falsche Pferd nehmen würden, was natürlich einen Rattenschwanz von Problemen nach sich zöge.
Jedenfalls, als Dwight anrief, sagte er mir, er sei ziemlich sicher, dass eines der gekauften Pferde (die einzige Stute) trächtig sei, und er sei genau so sicher, dass sie nicht mehr als vielleicht eine Woche bis zur Geburt gehabt hatte, als er sie und die anderen auf die Weide gebracht hatte.
„Jetzt habe ich mir gedacht“, sagte er „wir sollten uns aufmachen und sie holen. Sie vielleicht rauf zur Ranch bringen, sodass sie dort abfohlen kann.“
„Du hast uns eine trächtige Stute gekauft?“
„Sie war ziemlich billig.“ antwortete er fröhlich. „Und außerdem kriegst du zwei zum Preis von einem!“
„Aber wir haben keinen Platz für eine Stute und ein…“
„Und wenn wir schon mal da sind, versuche ich, auch die anderen, die ich dir gekauft habe, rauszusuchen. Ich glaube, sie werden sich wirklich gut machen in deinem Betrieb.“
„Du wirst versuchen, sie rauszusuchen?“ erinnere ich mich gefragt zu haben, bemüht, die Müdigkeit zu verbergen, die ich beim Gedanken an all die zusätzliche Arbeit, die seine Großzügigkeit mit sich bringen würde, zu verspüren begann.
„Jawohl“, sagte er bester Laune, „es war dunkel, als ich sie auf die Weide brachte, also bin ich nicht wirklich sicher wie sie aussehen.“
Da standen wir nun also und hatten den Großteil des Tages damit zugebracht, auf zweitausend Hektar im Kreis zu reiten, um nach einer Stute Ausschau zu halten, die ich nie gesehen hatte, die braun oder dunkelbraun und außerdem noch schwanger sein könnte.
Um halb vier an diesem Nachmittag, etwa neun Stunden, nachdem Dwight und ich uns in den Sattel geschwungen hatten, fanden wir uns auf demselben Tafelberg wieder, von dem aus wir gestartet waren und blickten hinunter auf die selbe kleine Gruppe von Pferden in dem langen, engen Tal. Wir hatten mittlerweile alle anderen Pferde ausgeschlossen – ich wusste, welche bereits unsere waren, erkannte die Brandzeichen von denen, die uns nicht gehörten, oder schloss aus den Fellfarben, dass es nicht die Pferde waren, die Dwight gekauft hatte.
Als wir diesmal ins Tal blickten, sahen wir allerdings, dass das Fohlen nicht mehr wie noch vorher neben dem Fuchs herlief, sondern sich neben einem Pferd aufhielt, das schwarz zu sein schien.
„Naja“, sagte Dwight achselzuckend, „das muss sie dann wohl sein.“
Wir wendeten unsere Pferde in eine kleine Schlucht und arbeiteten uns zur Talsohle hinab. Es dauerte nicht lange, bis wir zu der kleinen Gruppe gelangt waren. Die Stute war eine gut aussehende, sehr dunkle Braune mit feinen Zügen und etwas, das wie eine Spur Morgan wirkte. Sie hatte einen liebevollen Blick und war vollauf damit beschäftigt, ihr Baby, ein Hengstfohlen, ebenso dunkel wie sie, von zwei Fuchswallachen fernzuhalten.
Einer der Wallache, einssechzig, mager, nach Mustang aussehend, mit Ramsnase und weißer Blesse, schien vollkommen fixiert auf das Fohlen. Der andere, deutlich kleiner, untersetzt und ohne irgendein Abzeichen, konzentrierte sich hingegen eher darauf, dem anderen Wallach zu folgen als der Stute oder dem Baby nachzustellen.
Das Baby war vermutlich an diesem Morgen, knapp vor unserer Ankunft, auf die Welt gekommen, und sah erschöpft aus. Das unablässige Interesse des Wallachs hatte die Stute das Baby unentwegt auf Trab halten lassen. Es war nicht festzustellen, wie viel Ruhe das Fohlen bekommen hatte, seit wir es heute Morgen an der Seite des Wallachs hatten laufen sehen, oder ob es hatte säugen können.
„Sieht ganz danach aus, dass dieser Wallach versucht, an das Baby ranzukommen.“ sagte Dwight, als er sein Pferd in die richtige Position brachte, um dem Wallach den Weg abzuschneiden.
Ich bewegte mich auf die Stute zu und begann, sie und das Baby in die Richtung des Pfades zu wenden, den Dwight und ich genommen hatten, um ins Tal herunterzugelangen. Einmal oben angekommen könnten wir dann weiter zu dem großen Sammelpferch, bei dem wir das Auto und den Hänger geparkt hatten, weniger als einen Kilometer entfernt.
Für die Stute war der Aufstieg ein Leichtes, aber es wurde uns beinahe sofort klar, dass das Baby die Kletterei nicht schaffen würde. Sobald der Pfad an Steigung zulegte, und das war so ziemlich von Anfang an der Fall, verließen das Baby die Kräfte und dann blieb es stehen. Das wiederum brachte natürlich die Stute zum Anhalten, die sich umdrehte und dem Baby zuwieherte. Aber das erschöpfte Junge wollte oder konnte sich nicht bewegen.
„Wir müssen sie außen herum über den langen Weg führen.“ sagte ich, als ich die Stute weg vom Pfad und zurück ins Tal brachte. „Der Kleine schafft den Anstieg nicht.“
Der „lange Weg“ war ein enger Pfad, der zunächst dem Fuß des Berges folgte und sich dann entlang seiner Flanke in südlicher Richtung sanft emporschlängelte, um schließlich den Sammelpferch zu erreichen. Dieser Weg war etwa einen Kilometer länger, als der, der geradewegs über den Berggipfel führte, aber nachdem das Baby und unsere Reitpferde schon müde waren, erschien uns die Route unten entlang sicherer.
Ich manövrierte die Stute aus dem Gipfelpfad heraus und führte sie vorwärts den unteren Pfad entlang, während das Baby mühevoll neben ihr herging. Dwight bildete die Nachhut, wobei ihm die beiden Füchse unmittelbar folgten. Immer wieder einmal wandte Dwight sein Pferd herum und trieb die beiden Wallache zurück den Pfad ins Tal hinunter, doch sobald er kehrt machte, um wieder zu uns zu stoßen, tauchten die Wallache bald auch schon wieder hinter ihm auf.
Mehrfach versuchte der...