Es gibt verschiedene Arten etwas zu dokumentieren. Auch die Marktfrau, die beim Verkauf von Gemüse und Obst einer anderen in schillernden (manchmal übertreibenden) Worten und mit weitreichender Ausschmückung etwas erzählt, dokumentiert ihre Erkenntnis, ihr Wissen von einer Situation und zeigt ihre gefühlsmäßige Einstellung zum Inhalt. Sie berichtet aber nur scheinbar etwas, denn in Wirklichkeit zeigt sie sich als »Märchenerzählerin«, als »Unterhalterin«. Ziel ihres Berichts ist es nicht, das Gegenüber in einem möglichst sachlichen und genauen Umfang zu informieren. Ihr Ziel ist es, die Gesprächspartnerin zu interessieren, die eigene Wichtigkeit zu zeigen und zu demonstrieren, dass »sie Bescheid weiß«. Sie ist wer, sie ist wichtig.
Abb. 1: Unterschiede zwischen Berichterstattung und erzählender Informationsweitergabe.
Um einen derartigen Bericht geht es beim Pflege- und Betreuungsbericht nicht. Weder der Berichterstattende noch der Lesende ist die Hauptperson, um die es sich dreht. Der Bewohner ist der Mittelpunkt, der Bericht das Hilfsinstrument, um Informationen zu vermitteln. So unterscheidet sich der Pflegebericht in vielerlei Hinsicht von dem Bericht der Marktfrau. An einen professionellen Pflege- und Betreuungsbericht werden verschiedene Erwartungen gestellt.
Der Begriff »professionell« ist an die jeweilige Berufsgruppe gebunden. Profession hängt mit der Erfüllung einer kompetenten, qualifizierten Rolle in einem bestimmten Beruf zusammen. »Professionell dokumentieren bedeutet: die richtigen Informationen mit den geeigneten Mitteln an den richtigen Kommunikationspartner verständlich und leserlich zu übermitteln« (Weiß 2000:7).
Ziel der professionellen Dokumentation ist es:
• Handlungsweisen, Verhaltensweisen und Entscheidungen transparent zu machen und zu begründen,
• Absprachen, Anweisungen, Vereinbarungen, Empfehlungen und Verpflichtungen in ihrer Ausführung und in ihrer nachfolgenden Wirkung zu überprüfen,
• Zustände, Abläufe und Vorgehensweisen nachvollziehbar darzustellen,
• den Informationsaustausch zwischen den einzelnen Mitarbeitern des Pflege- und Betreuungsteams und des interdisziplinären Teams zu fördern und zu ermöglichen,
• durch Erfüllung der Anforderungen an eine gute Dokumentation den gesetzlichen und pflegewissenschaftlichen Anforderungen an eine professionelle Pflege und soziale Betreuung nachzukommen und
• Zusammenhänge zwischen einer Ursache und einer Wirkung erkennen zu können.
Beispiel
»Anforderungen an eine gute Dokumentation: Lesbarkeit, Verständlichkeit, Orientierung am Pflege- und Betreuungsprozess, datiert, signiert, mit Tinte geschrieben, nicht verfälscht, kontinuierlich geführt, übersichtlich, wertneutral, aktuell.«*
* Flumeri et. al 2003:5
Abb. 2: Ziele von Berichten.
Neben der mündlichen Weitergabe von Kurzinformationen kann ein geeigneter Bericht nur schriftlich erfolgen. Der Zeitdruck in den Einrichtungen, die Tatsache, dass immer wieder Tätigkeiten unterbrochen werden müssen, weil andere Bewohner kurzfristig und dringlich der Hilfe bedürfen, die Unfähigkeit des menschlichen Gehirns, komplexe Zusammenhänge dauerhaft, sachlich und differenziert zu speichern, ohne diese der eigenen Bewertung und Interpretation (damit der Veränderung) zuzuführen, bedingen die Notwendigkeit der schriftlichen Berichterstattung. »Mit geschriebener Sprache lässt sich Wissen organisieren und zuverlässig transportieren. Gesprochenes ist »Schall und Rauch«. Geschriebenes aber bleibt und weist nach, welche Gedanken, Aussagen, Sachverhalte und Ereignisse in welchem Zusammenhang wichtig genug waren, um festgehalten zu werden.« (Weiß 2000:11) Der Pflege- und Betreuungsbericht ermöglicht den schriftlichen Nachweis, der auch einer kontinuierlichen oder retrospektiven Prüfung standhält. Mündliche Informationsweitergaben wären hier zu flüchtig; nach wenigen Tagen wären wesentliche Informationen nicht mehr auffindbar oder nachweisbar.
Damit haben schriftliche Berichte gegenüber den mündlichen folgende Vorteile:
1. Wissen kann dauerhaft und nachvollziehbar an Andere weitergegeben werden.
2. Informationen werden gesammelt, aufeinander bezogen, gegenübergestellt und ausgewertet.
3. Informationen dienen als Gedankenstütze.
4. Geschriebene Informationen lassen sich dauerhaft nachlesen, sind damit beweisbar und nachvollziehbar.
5. Schriftliche Informationen werden vor der Niederschrift eher reflektiert als mündliche. (So sollte es jedenfalls sein.)
6. Schriftliche Informationen dienen der juristischen Absicherung (Nachweis).
7. Daten sind auch nach einem längeren Zeitraum abrufbar.
8. Erst bei der retrospektiven (rückwärts blickenden) Auswertung können Zusammenhänge erkannt werden.
9. Eine Evaluation nach dem Tod eines Bewohners könnte bei der Suche nach der Best Practice helfen. Hierzu sind schriftliche Informationen zum Befinden des Sterbenden, zum Verlauf der Sterbesituation und zu den diesen bedingenden Faktoren erforderlich.
10. Berichtseinträge können Rückschlüssen auf den geäußerten oder mutmaßlichen Willen eines Betroffenen geben (Wichtig für die ACP, die Versorgungsplanung am Lebensende).
11. Berichtseinträge können nachweislich den Beleg erbringen, ab wann eine höherer Pflegebedarf entstand und wie umfangreich dieser ist (Wichtig für die Begutachtung des Pflegegrades, insbesondere wenn der Bewohner eine gute Fassade oder Tagesform zeigt).
Beim Lesen von Literatur zu diesem Thema entsteht leicht der Eindruck, dass schriftliche Informationen gegenüber der mündlichen Informationsweitergabe nur Vorteile aufweisen. Dies ist in der Realität nicht so. Folgende Nachteile bestehen bei der schriftlichen Pflegeberichterstattung:
1. Schreiber und Leser beschäftigen sich nicht zur gleichen Zeit mit der Materie. Fehlinterpretationen und Missverständnisse können beim Lesen auftreten.
2. Der Schreiber weiß nicht im Voraus, welche Fragen der Leser haben wird. Er kann die Reaktionen im Vorfeld nicht erkennen. Er muss sich gewissermaßen schon beim Schreiben seiner Informationen in den Leser hineinversetzen und überlegen, welche Inhalte für den anderen wichtig sein können: »Kann er meine Ausführungen verstehen? Kann er erkennen, welche Ziele ich mit meinem Eintrag verfolge? Versteht er meine Empfehlungen? Benötigt er weitere Informationen?«
3. Der Schreiber weiß nicht, ob oder wann seine Informationen gelesen werden. Er kann sich somit nicht sicher sein, ob das, was er weitergeben will, dort, wo es ankommen soll, zu einem angemessenen Zeitpunkt ankommt. Hier ist der am Dokumentationssystem befindliche Reiter sinnvoll. Er wird gezogen, damit bei der Übergabe z. B. erkennbar wird, dass in dieser Dokumentationsmappe und bei diesem Bewohner wichtige Informationen im Pflegebericht verzeichnet sind. (Viele EDV-Systeme haben eine elektronische Reiterfunktion.)
4. Sprache ist häufig mehrdeutig. Bei der schriftlichen Darlegung können Sachverhalte häufig nicht so eindeutig und damit nicht so differenziert beschrieben werden, wie bei einer mündlichen Erläuterung. Der Schreiber glaubt zuweilen, dass sein Satz alle erforderlichen Informationen bereithält, dabei hat sein Gehirn sozusagen beim Denken die Botschaft weitergehend gedacht (= Konstruktivismus: Das Gehirn konstruiert ein Gesamtbild, geschrieben wird ggf. nur ein Teil).
5. Oft beschränkt sich der Schreibende nicht auf wesentliche Informationen, sondern führt seinen Eintrag in Prosaform aus. Folglich muss der Leser zu viele Details aufnehmen und kann das Wesentliche ggf. nicht sofort erkennen. Bei einem mündlichen Beitrag könnte er nachfragen und den Berichtenden gezielt auf den Kern der Botschaft führen.
Allein die Begriffswahl zeigt schon auf, dass es sich bei einem Bericht um die reine, möglichst ungefärbte Darstellung von Sachinformationen handelt. Nicht ohne Grund bezeichnet man diesen Teil des Pflegeprozesses als Pflegebericht und nicht als Pflegeerzählung.
Es ist die sachliche Wiedergabe eines Vorgangs. Demnach ist es die kommunikative Hauptaufgabe eines Berichts, wertfrei und sachlich zu informieren. »Häufig werden Berichte nicht nur dazu genutzt, um Informationen einzuholen. Vielmehr kann auch mithilfe der Informationen fehlendes Wissen eingeholt werden. Entscheidungen lassen sich so leichter...