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E-Book

Philosophie für Hunde- und Katzenfreunde

Tiere verstehen

AutorLars Fredrik Händler Svendsen
VerlagBerlin University Press
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783843806190
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Lars Svendsen, der norwegische Philosoph und Bestsellerautor, stellt sich in seinem neuen Buch auf philosophischen Wegen den bekannten Fragen vieler Tierfreunde: Welche Möglichkeiten haben wir - die wir Menschen sind -, Tiere zu verstehen, die keine Menschen sind? Haben Tiere eigentlich die gleichen Gefühle wie wir Menschen? Tun wir Tieren nicht ständig unrecht, in dem wir ihnen menschliche Eigenschaften, Empfindungen und Absichten zuschreiben? Auf höchst unterhaltsame Weise erzählt Svendsen von den seit Jahrhunderten andauernden Bemühungen, die Kommunikation zwischen Mensch und Tier philosophisch zu deuten, Möglichkeiten und Grenzen dieser Kommunikation zu erkennen. Nicht zuletzt verhilft Svendsen manchem Haustierbesitzer zu einem gelasseneren und natürlicheren Umgang mit seinen geliebten Vierbeinern.

Lars Fredrik Händler Svendsen (geb.1970) ist Philosoph und Professor für Philosophie an der Universität Bergen. Seine Werke, darunter auch die 'Kleine Philosophie der Langeweile' (2002), wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Gert Scobel kürte 2019 Svendsens 'Philosophie der Einsamkeit' (2016 bei Berlin Universtity Press) zum 'derzeit wohl besten philosophischen Überblick über dieses Thema, (...); gut geschrieben, flüssig zu lesen und überaus anregend'.

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Leseprobe

Wittgensteins Löwe und Kafkas Affe


»Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen.«4 Das Diktum des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein erscheint erst einmal seltsam. Die meisten von uns denken vermutlich: Würde ein Tier sprechen können, könnten wir verstehen, was es sagt. Dann könnte der Löwe uns erzählen, wie es ist, Löwe zu sein, anstatt, dass wir unsere Schlüsse diesbezüglich aus dem Verhalten des Löwen ziehen müssen. Doch was meint Wittgenstein eigentlich mit dieser Aussage? Welche Art von Sprache hätte dieser Löwe seiner Ansicht nach sprechen sollen? Deutsch? Englisch? ›Löwisch‹? Wenn seine Absicht darin bestand zu sagen, dass der Löwe spricht, er jedoch ›Löwisch‹ spricht, eine Sprache, die wir nicht verstehen, folgt daraus doch ohne weiteres, dass wir ihn nicht verstehen. Wittgenstein scheint darauf aus zu sein, mehr zu sagen, als die triviale Behauptung, dass man Sprachen, die man nicht gelernt hat, nicht versteht.

Vielmehr ist denkbar, dass er auf einen Abgrund zwischen der Welt des Menschen und der des Tieres hinweisen möchte – einen Abgrund, so tief, dass das Verständnis selbst dann nicht möglich wäre, wenn wir annehmen würden, dass das Tier eine Sprache spricht, die aus den gleichen Wörtern und der gleichen Grammatik wie beispielsweise Norwegisch oder Deutsch besteht. Ich bin noch nie einem Tier begegnet, das spricht, wenn damit gemeint ist, wie wir Menschen zu sprechen, aus dem einfachen Grund, weil kein anderes Tier als der Mensch wie ein Mensch spricht. Auf der anderen Seite sprechen alle Tiere, wenn ich versuche sie zu verstehen, da aber spreche selbstverständlich ich zu ihnen. Für uns Menschen ist der Versuch, das Verständnis sprachlich zu artikulieren, unumgänglich. Auch ich spreche zu den Tieren. Nicht, weil ich unter irgendeiner Illusion leide, dass das Tier meine Sätze so versteht, wie Menschen sie verstehen, sondern weil ich so kommuniziere, und es hat den Anschein, als wäre ich in der Lage, mit diesen Sätzen etwas zu kommunizieren, wenn auch nur eine etwas undefinierte Gemütslage oder ein primitives Kommando.

Wenn Wittgenstein mit seiner Formulierung den Wunsch hatte, eine prinzipielle Grenze zwischen Mensch und Tier zu ziehen, müssen wir die Frage nach der Grundlage für diese Grenze stellen und danach, wann diese entstand. Was, wenn ich sage: »Hätte ein Neandertaler sprechen können, hätten wir ihn nicht verstanden«? Hier wären die meisten wohl der Meinung, dass ein sprechender Neandertaler ein Wesen wäre, das wir verstanden hätten. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätten wir dieses Wesen als ›einen Menschen‹ kategorisiert. Indessen unterschieden sich die Neandertaler sehr von uns modernen Menschen, unter anderem hatten sie größere Gehirne als wir. Ihr Sehvermögen war vermutlich besser, weil ihm größere Anteile des Gehirns gewidmet waren, während ihre soziale Intelligenz, im Vergleich zu unserer, vermutlich nicht so stark ausgeprägt war. Wann wurde der Mensch ein Mensch? Zu welchem Zeitpunkt der Evolutionsgeschichte des Menschen wären wir berechtigt, kategorisch das Urteil zu fällen: »Wenn X sprechen könnte, könnten wir ihn nicht verstehen.«?

Wenn wir uns die geometrischen Zeichen anschauen, die unsere Vorfahren während der letzten Eiszeit gefertigt haben, müssen wir einräumen, dass wir, wenn überhaupt etwas, nicht viel davon verstehen.5 Eine Sache sind die fantastischen Zeichnungen von Ochsen und anderen Tieren, von denen wir meinen, ein Verständnis zu haben, weil wir erkennen können, was sie darstellen. Allerdings verstehen wir eigentlich nur wenig vom Sinn der Zeichnungen, weil wir so wenig darüber wissen, welche Rolle sie im Leben dieser Menschen spielten. Bei den 32 dokumentierten geometrischen Zeichen wissen wir nicht einmal, was sie darstellen sollen. Wir erleben sie unmittelbar als Ausdruck von Sinn, aber von welchem Sinn? Wir wissen wenig über die Menschen, die diese Zeichnungen angefertigt haben, wie sie gekleidet waren, wie sie auf die Jagd gingen, wie sie Musikinstrumente gebrauchten und ihre Toten beerdigten, nichts wissen wir hingegen über das Verhalten in Verbindung mit dem Einsatz der geometrischen Zeichen. Könnten wir eine Reise mit einer Zeitmaschine unternehmen, nehmen wir an, dass wir sie nach und nach verstehen würden, indem wir mit ihnen zusammen sein würden und ihre Lebensweise kennenlernten. Dann könnten wir auch sehen, welche Rolle diese Zeichen in ihrer Kultur gespielt haben.

Wenn Wittgenstein erklären soll, wie Menschen, auch aus ganz unterschiedlichen Kulturen, einander verstehen können, weist er auf eine »gemeinsame menschliche Handlungsweise«6 hin. Indessen gibt es auch Handlungsweisen, die Menschen und Tieren gemein sind und die eine Form von Kommunikation ermöglichen. Wittgenstein unterstreicht jedoch auch, wie Menschen, gerade aufgrund kultureller Unterschiede, füreinander unbegreiflich sein können und dass es nicht unbedingt helfen würde, wenn sie dieselbe Sprache sprechen würden. Kurz vor der Bemerkung über den Löwen schreibt Wittgenstein nämlich:

Wir sagen auch von einem Menschen, er sei uns durchsichtig. Aber es ist für diese Betrachtung wichtig, daß ein Mensch für einen andern ein völliges Rätsel sein kann. Das erfährt man, wenn man in ein fremdes Land mit gänzlich fremden Traditionen kommt; und zwar auch dann, wenn man die Sprache des Landes beherrscht. Man versteht die Menschen nicht. (Und nicht darum, weil man nicht weiß, was sie zu sich selber sprechen.) Wir können uns nicht in sie finden.7

Etwas von diesen Menschen wird man doch verstehen, vor allem die Aktivitäten, die uns gemein sind, jedoch wird es Seiten an ihrer Lebensweise geben, in die einzudringen uns nicht gelingt. Warum sollte das bei Tieren nicht genauso sein? Es gibt eine Reihe von Aktivitäten, die wir mit Löwen teilen, wie essen und entspannen, und wir verstehen diese Aktivitäten. Ebenso verstehen wir einige der Aktivitäten, die wir nicht mit Löwen teilen. Ich habe mich noch nie an eine Gazelle herangeschlichen, um sie zu reißen, jedoch fällt es mir nicht sonderlich schwer, diese Aktivität zu verstehen. Vielleicht sollten wir deshalb eher sagen: »Wenn ein Löwe sprechen könnte, würden wir nicht alles verstehen, was er sagt.« Oder: »Wenn ein Löwe sprechen könnte, würden wir nur etwas von dem verstehen, was er sagt.« Keine dieser Umformulierungen scheint indessen Wittgensteins Aussage einzufangen.

Ist es am Ende die Sprache, die uns von allen anderen Tieren unterscheidet? Dass eine Sprache zu haben alles verändert, sodass ein Löwe, der genauso wie ein Mensch sprechen könnte, kein Löwenbewusstsein hätte? So gesehen wäre er dann auch kein Löwe mehr. Vielleicht sollen wir vielmehr sagen: Wenn ein Löwe sprechen könnte, würde er sich selbst nicht verstehen. Oder besser gesagt: Wenn ein Löwe sprechen könnte, würde er nicht verstehen, wie es ist, ein gewöhnlicher Löwe zu sein, der nicht sprechen kann.

Das ist bei Rotpeter der Fall, der Hauptfigur in Franz Kafkas Erzählung »Ein Bericht für eine Akademie« (1919).8 Rotpeter ist ein Affe mit der Fähigkeit, die Sprache der Menschen zu sprechen, weshalb eine deutsche Akademie ihn bittet, von seinem Leben zu erzählen. Die Akademiker sind nicht zuletzt darauf gespannt, von Rotpeter zu erfahren, wie es ist, Affe im Naturzustand zu sein, vor dem Erwerb der Sprache. Indessen muss Rotpeter bedauern, dass er ihnen einen solchen Bericht nicht liefern kann, weil seine Erinnerung, wie es ist, Affe zu sein, vom Prozess, die Sprache und Manieren der Menschen zu lernen, ausradiert wurde. Er hat schlichtweg vergessen, wie es ist, Affe zu sein. Alles, was er tun kann, ist, den Prozess zu beschreiben von dem Zeitpunkt an, als er eingefangen wurde, bis zu seinem aktuellen Erfolg als Unterhaltungskünstler, der wie ein Durchschnittseuropäer raucht, Rotwein trinkt und spricht.

Vor Kafka hatten mehrere Philosophen darüber spekuliert, inwieweit Affen lernen könnten zu sprechen. Immanuel Kant war der Meinung, dass Menschen die einzigen Wesen seien, die faktisch über die Fähigkeit zur Sprache verfügen, allerdings ließ er die Tür einen Spalt offen, indem er sagte, dass eine »Naturrevolution« stattfinden könne, in deren Folge die Menschen hinsichtlich der Fähigkeit zur Sprache und des Einsatzes des Verstandes nicht mehr alleine wären und auch Schimpansen und Orang-Utans solche Fähigkeiten erhielten.9 In seinem bekannten Werk aus dem Jahr 1748, L’homme machine (Der Mensch als Maschine), behauptet Julien Offray de La Mettrie, dass ein Affe, der trainiert wird, lernen kann, eine Sprache zu sprechen, und dann wäre dieser Affe weder ein »wilder« noch ein minderwertiger Mensch, sondern vielmehr ein allen anderen Menschen ebenbürtiger Mensch.10 Die Sprache macht den ganzen Unterschied.

Als Rotpeter der Akademie seinen Bericht abstattet, sind...

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