– EINFÜHRUNG –
EINE UNGLAUBLICHE KARRIERE
Als Enea Silvio Piccolomini am 19. August 1458 zum Papst gewählt wurde und den Namen Pius II. annahm, ging ein Raunen durch Europa. Wie konnte ein Mann, der so viele anstößige Schriften verfasst hatte, der Nachfolger des Petrus und der Stellvertreter Christi auf Erden werden?
Für die Liebhaber witziger und erotischer, sprich heidnischer Texte in geschliffenem Latein war der Name Enea Silvio Piccolomini ein Markenzeichen. Eine bittersüße Liebesnovelle aus seiner Feder ließ an reizvoller Anschaulichkeit wie an zynischer Psychologie nichts zu wünschen übrig. Eine schöne junge, nur eben leider mit einem reichen alten Mann verheiratete Frau trifft einen stattlichen Ritter in den besten Jahren. Die beiden lernen sich kennen, testen ihren Marktwert, kommen sich näher und schließlich sehr nahe. Dann zieht er weiter, sie bleibt zurück und stirbt kurz darauf, doch nicht an gebrochenem Herzen, sondern an der Ödnis des Lebens. Ertragen lässt sich das Leben nur, wenn man es in vollen Zügen – und das heißt: ohne Rücksicht auf die Moral der Kirche – genießt. Diese höchst unmoralische und unchristliche Lehre verkünden in einem Lustspiel Piccolominis Alt und Jung, Frauen und Männer unisono. Bezeichnenderweise spielt diese Komödie in einem Bordell, und zwar aus gutem Grund: Letztlich ist die ganze Welt ein Freudenhaus. Allein für die Lust lohnt es sich zu leben, darin sind sich Geistliche, Zuhälter und Prostituierte in diesem Stück einig. Und im Kampf um den maximalen Lebensgenuss sind alle Tricks und Täuschungen erlaubt – diese Botschaft nimmt der Zuschauer als Handlungsanweisung auf den eigenen Lebensweg mit. Parallelen zur Yuppie- und Ellenbogen-Gesellschaft der Gegenwart drängen sich auf.
Nochmals: Wie konnte ein Autor so «weltlicher» Bestseller zum Haupt der Kirche, zum Mittler zwischen Gott und Mensch und zum Richter über alle Herrscher und Herren dieser Welt aufsteigen? Es war nicht die einzige Frage, die sich der verblüfften Christenheit förmlich aufdrängte. Piccolomini hatte sich nicht nur als Humanist, das heißt als Verfasser von Belletristik sowie philosophischen, sprachtheoretischen und historischen Werken, sondern auch als Kirchenpolitiker einen Namen gemacht, und zwar nach einhelliger Einschätzung der maßgeblichen Theologen und Kirchenfürsten keinen guten. Allzu lange Zeit stand er für sie auf der falschen, ja geradezu feindlichen Seite. Im Kampf zwischen dem Papst und dem Konzil von Basel um die Hoheit und Verfügungsgewalt über die Kirche hatte er unermüdlich für das höhere Recht der Kirchenversammlung gestritten, und zwar auch dann noch, als diese von Rom für aufgelöst und ketzerisch erklärt worden war. Schlimmer noch: Er hatte dem vom Konzil gewählten Gegen-Papst sogar als Sekretär gedient. Erschwerend hinzu kamen auch noch polemische Texte, in denen der Laien-Theologe Piccolomini mit dem Papsttum und seinem Anspruch auf uneingeschränkte Führungskompetenz über die Kirche hart ins Gericht ging, und zwar auf seine Art: witzig und ironisch. Das Sündenregister, das im Vatikan über ihn geführt wurde, fiel somit ellenlang aus.
Trotzdem wurde der Sünder gut ein Jahrzehnt nach seiner feierlichen Abbitte selbst Papst. Und in dieser Funktion tat er alles dafür, den Einfluss künftiger Konzilien zurückzudrängen und die uneingeschränkte Hegemonie des Papsttums über die Kirche zu sichern.
Aber dies waren nicht die einzigen Ungeraden, Schieflagen und Brüche, die gesinnungsfeste Zeitgenossen in diesem Leben aufrechnen durften. Nach dem Dienst für den falschen Papst von Konzils Gnaden war Piccolomini als Diplomat des Kaisers, also aus päpstlicher Sicht abermals auf der falschen Seite, tätig geworden. Sein neuer Dienstherr Friedrich III. von Habsburg blieb im Streit zwischen Kurie und Konzil lange Zeit neutral und versuchte, den Streit in der Kirche wie alle weltlichen Herrscher für seine Zwecke, das heißt: auf Kosten des Papsttums, auszunutzen. Zudem war Friedrich ein Deutscher und damit in römischen Augen ein Barbar. Wer wie Piccolomini jahrelang in Deutschland, bei den zivilisationsfernen Hinterwäldlern, gelebt hatte, verleugnete nicht nur seine italianità, sondern lief selbst Gefahr, intellektuell und sittlich zu verrohen. Wie konnte eine so kompromittierte und verdächtige Gestalt Papst werden?
Piccolominis Feinde waren mit eingängigen Erklärungen schnell bei der Hand. Für sie war sein Aufstieg der Triumph des Opportunismus schlechthin. Es wurde ihnen ein Leichtes und eine beliebte Übung, ihm seine alten Texte und abgelegten Gesinnungen vor Augen zu führen, und zwar so, dass es richtig peinlich wurde, nämlich bei feierlichen Anlässen wie Kongresseröffnungen und Kreuzzugsaufrufen. Hinter all dieser Polemik verbargen sich jedoch nicht nur erbitterte Feindschaften, sondern oft genug auch ernste Befürchtungen: Wie würde dieser Papst regieren? Würde der ehemalige Diplomat des Kaisers den Sitz des Papsttums von Rom nach Deutschland verlegen, so wie anderthalb Jahrhunderte zuvor die dem französischen König hörigen Päpste nach Avignon übergesiedelt waren? Würde der bekennende Verehrer des schönen Geschlechts den Zölibat abschaffen? Würde der Humanist auf dem Papstthron die Kurie zum Tummelplatz leichtlebiger Literaten umgestalten?
So wurde der knapp sechsjährige Piccolomini-Pontifikat eine der ungewöhnlichsten Regierungszeiten in der langen Geschichte des Papsttums, und zwar bis heute. Mit Pius II. hielt eine neue Zeit, die Renaissance, mit ihren neuen Werten Einzug. Der Kontrast konnte kaum schroffer ausfallen. Pius’ Vorgänger Kalixtus III. war ein achtzigjähriger Spanier, im Vorleben Jurist, konservativ in seiner Lebensführung und kulturell ganz und gar «mittelalterlich» geprägt. Mit dem Piccolomini-Papst aber kam die Wende: ein völlig neuer Regierungsstil, der ganz von den Vorlieben und den alles beherrschenden Selbstdarstellungs-Bedürfnissen des Herrschers bestimmt war, und damit eine Herrschaftsinszenierung, die alle Medien der Zeit konsequent nutzte, mit dem Papst als Regisseur und Hauptdarsteller des Schauspiels zugleich. Dieser Pontifex maximus – das fiel schon den scharfblickenden Zeitgenossen auf – agierte permanent auf Bühnen, die er selbst schuf und einrichtete. Zu diesen Kulissen gehörten nicht nur ländliche Idyllen an murmelnden Bächen, sondern auch eine neue Kathedrale, ein neuer Palast und ein neuer Platz im neu gestalteten Zentrum einer neu, nämlich nach dem Papst selbst, benannten Stadt. So viel umstürzend Neues verband sich – typisch für die Renaissance – mit ältesten Traditionen.
Am Ende plante der erste Renaissance-Papst einen Kreuzzug, auf dem er nach menschlichem Ermessen das Martyrium erleiden würde. Der Renaissancemensch Piccolimini-Pius inszenierte sich nicht nur lebenslang, sondern erfand sich sogar gleichsam selbst. Als Papst beschrieb er in seinen Commentarii nicht nur seinen Werdegang vor der Thronbesteigung, sondern auch seine Herrschaft als Papst, und zwar mit größter Ausführlichkeit. Diese «Autobiographie» ist keine nüchterne Aneinanderreihung von Fakten, sondern ein literarisches Kunstwerk, das seinesgleichen sucht. Es sollte zeigen, dass hinter den Irrungen und Wirrungen dieses scheinbar so wendungsreichen Lebens ein großer Plan der Vorsehung stand. Ihr Walten glättet und begradigt den angeblich so krummen Lebensweg. Um diese Einsicht eingängig zu vermitteln, erzählte Pius II. sein Leben wie eine Legende:
Der Bettelstudent besteigt nach mancherlei abenteuerlichen Verwicklungen und überstandenen Fährnissen den Thron Petri und regiert als Papst die Christenheit wie ein gütiger, doch notfalls auch strenger Vater. Der Herr – so seine Selbstdarstellung – hat von Anfang an seine schützende Hand über ihn gehalten; er hat ihn immer wieder auf die Probe gestellt und stets der nächsten Erhöhung für würdig befunden. Dass die Vorsehung auf seiner Seite ist, zeigen die vielen glücklich überwundenen Hindernisse. Wütende Seestürme verschlagen den kühnen Reisenden bis in die unmittelbare Nähe feindlicher Gestade, um ihn schließlich doch ans Ziel zu bringen. Seuchen, die ganze Landstriche entvölkern, werfen ihn aufs Krankenlager, von dem er sich nach wochenlangem Fieberdelirium wie Phönix aus der Asche tatkräftiger denn je erhebt. Im Land der trunk- und raufsüchtigen Deutschen wird der feinsinnige Gelehrte zuerst verspottet und verachtet, doch steigt er auch unter den neidischen Barbaren rasch zu hohen Ehren empor. Gott hilft dem Starken, der sich selbst zu helfen weiß.
Stark ist er, Enea Silvio Piccolomini aus ältester Adelsfamilie Sienas, durch die Gaben des Geistes und der Gelehrsamkeit. Er kommt, spricht und siegt. Seiner Beredsamkeit stellen sich viele mächtige Neider und Konkurrenten in den Weg, doch mit der Macht seiner Rede bezwingt er sie alle. Das gilt auch für die letzte Hürde auf dem Weg zum Papsttum. Im August 1458 ist die Wahl des neuen Papstes bereits abgesprochen und scheint entschieden. Hinter den Kulissen haben einflussreiche ängstliche und käufliche Kardinäle den falschen Kandidaten...