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E-Book

Pocket Guide to Germany - Handbuch für amerikanische Soldaten in Deutschland 1944

AutorSven Felix Kellerhoff
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783864139567
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Als die amerikanischen Soldaten 1944 im Zuge ihres Kriegseintritts europäischen Boden betraten und auf Deutschland vorrückten, hatten sie dieses Buch im Gepäck: den Pocket Guide to Germany, ausgegeben vom US- Kriegsministerium. Darin wurden ihnen unmissverständliche Verhaltensregeln für den Umgang mit den Deutschen ('Ihr seid nicht in Deutschland, um Vergeltung zu üben oder die Einwohner wie Tiere zu behandeln. Wir sind nicht wie die Nazis.'), eine umfassende Darstellung des deutschen Charakters ('Traut niemandem außer euresgleichen. Nehmt euch besonders vor jungen Deutschen zwischen 14 und 18 Jahren in Acht.') sowie Tipps für den Alltag vermittelt. Dieses Zeitzeugnis liegt hier in einer zweisprachigen Ausgabe vor, eingeleitet und erläutert von Sven Felix Kellerhoff, Geschichtsredakteur der WELT und der Berliner Morgenpost. Eine Lektüre zum Schmunzeln, Kopfschütteln und Nachdenken.

Der Herausgeber Sven Felix Kellerhoff ist Geschichtsredakteur der WELT und der Berliner Morgenpost.

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Leseprobe

Vorwort

Zwischen Besatzung und Befriedung

DER POCKET GUIDE TO GERMANY DER US-ARMY

»Ihr seid nicht in Deutschland, um Vergeltung zu üben oder die Einwohner wie Tiere zu behandeln. Wir sind nicht wie die Nazis.«1 Eine einfache Botschaft – doch sie verlangte enorm viel von jenen jungen Männern, an die sie gerichtet war: War etwa nicht der Kampf gegen Nazideutschland, das halb Europa brutal unter seine Knute gezwungen hatte, das wichtigste Motiv für die hunderttausenden Amerikaner, die im Zweiten Weltkrieg Hitlers Wehrmacht entgegentraten? Waren nicht »die« Deutschen der Grund für all die Zerstörungen in Europa, den massenhaften Tod von Zivilisten und eigenen Kameraden, die unschätzbaren Leiden? Im US-Kriegsministerium in Washington wusste man 1944 genau, dass gerade junge, aus ihrem bisherigen Leben herausgerissene Wehrpflichtige unmissverständliche Verhaltensregeln brauchen. Nur so waren Exzesse gegen geschlagene Feinde oder gar Zivilisten zu vermeiden, die in der Heimat eine verheerende öffentliche Wirkung entwickeln konnten. Andererseits galt es, jede Verbrüderung mit dem Feind zu vermeiden. Um den eigenen GIs sowohl die Besetzung des geschlagenen Kriegsgegners wie die Befriedung Mitteleuropas zugunsten der Zukunft möglichst zu erleichtern, gab die Morale Service Division unter Leitung des US-Deutschland-Experten John J. McCloy den Pocket Guide to Germany heraus. Dieses zentrale Dokument für die deutsch-amerikanischen Beziehungen liegt hier in einer zweisprachigen Ausgabe vor.

Als einige Monate nach dem D-Day die ersten US-Truppen deutschen Boden betraten, waren rund zwei Millionen Exemplare des nur 48 Seiten starken, kleinformatigen Hefts verteilt: »Es hat wohl kein GI gegen Hitler gekämpft, der den Guide nicht irgendwann einmal in Händen gehalten hätte«, schreibt Klaus-Dietmar Henke.2 Genau das macht den zeithistorischen Wert des Pocket Guide aus: Das darin gezeichnete Deutschlandbild war als Basis für die Besatzungstruppen gedacht, als verallgemeinerbar. Doch so gewiss die Aufgabe der Besatzungstruppen dadurch erleichtert wurde, so wenig enthielt der Pocket Guide direkt anwendbare Lösungen. Die »New York Times« fasste das tastende Vorgehen der Besatzungsmacht Ende März 1945 treffend zusammen: »Schritt für Schritt, durch Versuch und Irrtum, entwickelt sich hier im besetzten Rheinland die amerikanische Politik gegenüber dem besetzten Deutschland.«3

Besonders in der Phase der unmittelbaren Besetzung nach der Eroberung, also je nach geographischer Länge zwischen September 1944 und April 1945, gab es heftige Ausschläge in Richtung beider Extreme, also sowohl hin zu möglicherweise zu nachsichtiger Politik gegenüber den nun ehemaligen Kriegsgegnern wie hin zu übertriebener Härte: In Aachen zum Beispiel, der ersten deutschen Großstadt unter US-Besatzung, etablierte der Kommandeur vor Ort eine deutsche Übergangsregierung, die der von teilweise berechtigtem, teilweise aber auch überschießendem Zorn getriebene Nachrichtendienst-Offizier Saul K. Padover als »faschistisch« bezeichnete – eine Bewertung, die er geschickt in einigen US-Zeitungen lancierte.4 Padovers Bericht sorgte in höheren Stäben der US-Army geradezu für Panik, schien er doch das Unterlaufen der regierungsamtlich angeordneten Politik der Nicht-Verbrüderung (»Non-Fraternization«) zu beweisen. Doch wie sollten die besetzten Gebiete ohne Rückgriff auf einheimische Fachleute wieder lebensfähig gemacht werden? In die entgegengesetzte Richtung kam es gerade nach der zunehmenden Befreiung von KZ-Lagern und abgemergelten, oft mehr toten als lebendigen Gefangenen im April 1945, die in den USA zu heftigen emotionalen Reaktionen5 führten, zu Übergriffen gegen deutsche Soldaten und wohl auch gegen Zivilisten. Geahndet wurden solche Aktionen offenbar nur selten, weil sie meist im Rahmen von oder direkt im Anschluss an Kampfhandlungen stattfanden. In einem Fall, der praktisch vor den Augen eines höheren Offiziers stattfand, der spontanen Ermordung von mindestens 39, maximal 50 SS-Leuten des KZ Dachau am 29. April 1945, gab es eine förmliche Untersuchung, allerdings keine kriegsrechtliche Anklage gegen die beteiligten GIs.6 Nach diesem rechtswidrigen Gewaltexzess wahrte die US-Besatzungsverwaltung jedoch peinlich genau die rechtlichen Vorschriften bei der Aburteilung von mehreren hundert SS-Leuten, die in Dachau tätig gewesen waren.

Der Pocket Guide illustriert die alltäglichen Schwierigkeiten, mit denen eine auf Demokratisierung ihres vormaligen Kriegsgegners zielende Armee zwangsläufig konfrontiert wird. Dabei waren Verständigungsschwierigkeiten noch die kleinsten Probleme, denen der kleine und teilweise geradezu komische Sprachführer im letzten Drittel des Heftchens abhelfen sollte. Besatzungstruppen zu vorsichtig-zurückhaltendem Verhalten gegenüber den Menschen im eroberten Land anzuhalten und sie gleichzeitig zu motivieren, eine andere, bessere Form des Zusammenlebens zu demonstrieren, ist zwangsläufig eine Gratwanderung. Sie versucht der Pocket Guide zu bewältigen, indem relativ ausführlich der »Hintergrund« beschrieben wird, der zum Krieg geführt hatte. Diese Passagen sind gewiss der spannendste Teil in dem Heftchen.

Eine genaue Lektüre zeigt allerdings auch die tiefe Zerrissenheit in der Wahrnehmung der Autoren, unter denen verschiedene US-Deutschlandexperten und einige Emigran­ten waren. So wies der Pocket Guide die Soldaten einerseits darauf hin, dass »die Deutschen« seit Jahren nur ideologisch gefärbte und gesiebte Informationen bekamen, dass sie »in einem Vakuum in Sachen Wahrheit und echten Nachrichten« lebten, so dass man ihnen ihr Unverständnis für die Realität nicht vorwerfen könne.7 »Die Reglementierung war unter den Nazis lückenlos«, stellten die Autoren fest: »Trotz dieser ungeheuren Repressionen hat ein kleiner Prozentsatz Deutscher durch Hören ausländischer Kurzwellensendungen, die von England oder den Vereinigten Staaten ausgestrahlt wurden, den Tod riskiert.«8 Überraschend versöhnlich heißt es schließlich in der Schlussbemerkung: »Eine der Tragödien in Deutschlands jüngster Geschichte ist der eigene Verrat an den früheren Beiträgen zur Zivilisation. Das Land brachte große Schriftsteller, Philosophen, Wissenschaftler, Künstler und Musiker hervor. Die Menschen besitzen enorme Tatkraft, die bisweilen der Menschheit eher gedient denn sie zerstört hat. In zukünftigen Friedenszeiten kann diese Tatkraft hoffentlich beständiger zum Wohl der Welt eingesetzt werden, beständiger als dies in der Vergangenheit der Fall war.«9

Daneben finden sich aus den Umständen verständliche Irrtümer, die jedoch bereits 1944 den Deutschlandexperten als unzutreffend erkennbar gewesen wären: »Denkt daran, dass vor elf Jahren die Mehrheit der Deutschen durch Wahl den Nazis zur Macht verholfen hat. Das gesamte deutsche Volk hatte Hitlers ›Mein Kampf‹ gelesen.«10 Auch die Einleitung zum Kapitel »Was die Deutschen von den USA halten« war kein Muster differenzierter Argumentation: »Ihr werdet feststellen, dass viele Deutsche mit der Meinung aufgewachsen sind, dass Amerika überwiegend von Cowboys, Indianern und reichen Onkeln bevölkert ist.«11

Doch fast im selben Atemzug stehen im Pocket Guide sachlich schlicht unzutreffende Pauschalurteile, zum Beispiel über junge Deutsche: »Er wird sich nicht über Nacht nach Unterzeichnung des Waffenstillstands und dem Ende der Kämpfe ändern. Er wird in den Städten und Dörfern, die ihr beim Vormarsch in Deutschland hinter den Linien besetzt, nicht sofort bekehrt werden. Der deutsche Jugendliche ist ein nett aussehender Kerl, genauso wie der ganz normale Bursche, mit dem ihr daheim aufgewachsen seid. Ihr fragt euch vielleicht, wie ein Kerl, der so ziemlich genauso aussieht wie einer von uns, all die Dinge glauben und tun konnte, die er – wie wir wissen – tatsächlich glaubte und tat. Der Unterschied ist in seinem Inneren zu finden – seinem Charakter.«12

Diese Diskrepanz wäre wohl nur aufzuklären, wenn man den Entstehungsprozess des Pocket Guide bis ins Detail ausleuchten würde – was nach mehr als sieben Jahrzehnten und dem Tod sämtlicher an dem Text beteiligter Autoren jedoch unmöglich ist. Offenbar deutet sich in diesem Text der massive Gegensatz innerhalb des US-Regierungsapparates an, der 1944 bis 1947 zeitweise die Besatzungspolitik zu lähmen drohte: Die Verfechter eines »harten« oder »Karthago-Friedens« standen unversöhnlich den Anhängern eines »weichen« oder »realpolitischen« Vorgehens gegenüber. Die einen wollten Deutschland so sehr schwächen, dass es nie wieder einen Krieg vom Zaune brechen würde – sie schlugen also einen machtpolitischen Weg vor. Dieser Kurs war in der engeren Führungsmannschaft von Franklin D. Roosevelt lange populär gewesen, doch just als sein Freund und Finanzminister Henry Morgenthau ihm...

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