Antonio Skármeta: Mit brennender Geduld[44]
V. Aspekte der Darstellung
Skármetas Roman ist in drei Teile untergliedert: die eigentliche Haupthandlung, die Geschichte des Briefträgers Mario Jiménez, ist in eine Rahmenhandlung aus Prolog und Epilog eingebettet.
Im Prolog wird ein Erzähler eingeführt und anhand eigener Charakterisierungen näher vorgestellt.
Er gibt zunächst einmal Aufschluss darüber, wie er dazu kam, die Geschichte des jungen Mario aufzuschreiben: als Kunstredakteur eines „drittklassigen Blattes“ (S. 7) bekommt er den Auftrag, eine „erotische Geographie“ über Pablo Neruda zu schreiben (S. 8).
Im Klartext hieß das, Neruda so anschaulich wie möglich erzählen zu lassen, wie und wie viele Frauen er aufs Kreuz gelegt hatte. (S. 8)
Diesen „niederträchtigen Auftrag“ (S. 8) nimmt er an, um den Aufenthalt im Dorf des Dichters dazu zu nutzen, endlich einen eigenen Roman zu schreiben. Doch jener Roman sei niemals fertiggestellt worden und die Geschichte Marios habe er nur zu Papier gebracht, weil er dies einer gewissen Beatriz González versprochen habe – „ganz gleich, wie lange es dauert und wie viel hinzuerfunden wird“ (S. 11).
Den Prolog nutzt der Erzähler vor allem, um seine Qualitäten als Schriftsteller herabzusetzen: er charakterisiert sich selbst als einen Menschen mit „fehlendem Talent“ (S. 7); die Texte, die er im Zuge seiner Anstellung verfasst habe, seien so maßlos, dass sie sich „jeder Teenager ohne weiteres hätte ausdenken können“ (S. 7).
Dabei unterstreicht er vor allem immer wieder seine Trägheit, die letztlich ein Grund dafür sei, warum er für die Fertigstellung dieses Romans ganze vierzehn Jahre gebraucht habe (S. 10).
Als ein leuchtendes Beispiel schriftstellerischer Produktivität stellt er seiner eigenen Person Mario Vargas Llosa entgegen, der in derselben Zeitspanne vier Romane veröffentlichte.
Zwar bezeichnet sich der Erzähler selbst als „allwissenden Erzähler“ – tatsächlich greift er an einigen Stellen des Romans der Handlung vor[45] - aber sogar das Prädikat der „Allwissenheit“ vermag er abzuwerten:
Während andere Meister der freien Erzählung in der ersten Person, des Romans im Roman, der Metasprache oder der Verzerrung von Zeit und Raum sind, bin ich bei den im Journalismus arg strapazierten Metaphern, den bei gnadenlosen Naturalisten aufgeschnappten Gemeinplätzen, den von Borges falsch übernommenen grellen Adjektiven und besonders hartnäckig das geblieben, was ein Literaturprofessor mir einmal angeekelt gesagt hat: ein allwissender Erzähler. (S. 9)
Auf diese Weise distanziert er sich aber auch von den Autoren des lateinamerikanischen Boom“, die nicht nur durch ihre gesellschaftskritischen Schriften, sondern vor allem durch ihre stilistische Experimentierfreude große Beachtung gefunden haben.
Die Elemente, die seiner Meinung nach die Boomliteratur kennzeichnen – „freie Erzählung in der ersten Person“, „Roman im Roman“, „Metasprache“, „Verzerrung von Zeit und Raum“ (S. 9) schließt er damit für sein eigenes Werk aus.
In der Tat wird die Romanhandlung nicht verschachtelt, die Erzählung erfolgt linear. Die Sprache, die dem Roman zugrunde liegt, ist keinesfalls eine Metasprache, sondern vielmehr die alltägliche Sprache gewöhnlicher Menschen (Neruda mit einbezogen), die insbesondere in emotionalen Momenten einen sehr bildhaften Charakter hat.
Dies wird im weiteren Verlauf der Arbeit genauer herauszustellen sein.
Die konsequente Herabsetzung der eigenen Qualitäten macht den Erzähler in den Augen des Lesers zu einem „normalen“ Menschen, der sich an ein „normales“ Publikum wendet: es handelt sich hier nicht um ein hochpoetisches Werk, das einer hochgebildeten Elite vorgelegt wird[46].
Im Gegenteil: der Erzähler präsentiert sich als ein alltäglicher Mensch, der für ein alltägliches Publikum schreibt. Damit vergrößert er den Wirkungskreis seines Romans, der der Utopie enthoben und dem Alltäglichen zugeführt wird: keine Geschichte übermenschlicher Helden, die in der reinsten Form der Poesie erzählt wird, sondern vielmehr eine Geschichte „normaler“ Menschen, die aber eben dadurch umso heroischer und glorifizierender wirkt[47].
Durch diese Normalität werden auf der anderen Seite aber auch die tragischen Geschehnisse, die der Roman schildert, umso schrecklicher hervorgehoben.
Die Schlichtheit der Erzählung gibt so den Blick auf die eigentliche Tiefe des Romans und seine Botschaft frei.
Dabei entwickelt sich gerade über die Dialoge innerhalb des Romans eine Situationskomik, die den Personen ihre besondere Glaubwürdigkeit und vor allem Liebenswürdigkeit verleiht[48].
Obwohl es sich um einen allwissenden Erzähler handelt, lässt sich feststellen, dass er seinen Figuren emotional sehr nahe steht, fast, als gehöre er zu ihrer Familie.
Darüber hinaus nahm ich mir noch etwas vor, das mich fast besessen machte und mich zudem eine enge Verwandtschaft zu meinem Helden Mario Jiménez spüren ließ: Pablo Neruda sollte zu meinem Roman das Vorwort schreiben. (S. 8)
Innerhalb des Prologs gibt eine Stelle Auskunft darüber, worauf sich diese Nähe möglicherweise gründet. Dort heißt es:
In jenen Tagen, in denen diese Geschichte ihren Anfang nimmt – und die, wie die möglichen Leser bemerken werden, begeistert anhebt und unter den Auswirkungen tiefster Niedergeschlagenheit endet, - [...] (S. 7)
Ein genauer Hinweis darauf, worin der Grund für jene Niedergeschlagenheit besteht, die das Ende des Romans beeinflussen wird, findet sich nicht. Dem Leser drängt sich daher die Vermutung auf, dass das Schreiben selber, bzw. der Prozess der Schilderung, diese Empfindung hervorgerufen hat.
Dem Roman würde dann ein Akt der Erinnerung zugrunde liegen, der auch die emotionale Nähe des Erzählers zu seinen Figuren erklären würde: ihm sind die tragischen Ereignisse, die der Roman schildert, bekannt, weil er sie selber erlebt hat.
Obwohl sich an keiner Stelle des Prologs oder Epilogs feststellen lässt, dass Autor und Erzähler miteinander gleichzusetzen sind - man also davon ausgehen muss, dass es sich um einen fiktiven Erzähler handelt - wird ein Bezug zur Realität immer wieder hergestellt.
Die Autoironie des Erzählers lässt dabei jedoch vermuten, dass Erzähler und Autor sich ebenso nahe stehen, wie der Erzähler selbst seinen Figuren.
Der Realitätsbezug lässt sich auch an den Personen selber feststellen, insbesondere natürlich in Bezug auf Pablo Neruda.
Der Pablo Neruda in Mit brennender Geduld ist zwar eine fiktive Person, jedoch gründen sich viele Stellen auf tatsächliche Aussagen des Dichters[49]. Dadurch erscheinen seine Aussagen und Handlungen umso glaubwürdiger – und mit ihnen der Roman selbst, dessen Protagonist er ist. Ähnliches gilt auch für die übrigen Figuren.
Zwar wird an mehreren Stellen betont, dass sie fiktiv seien, dennoch werden sehr reale Bezüge mit eingeflochten:
In der Hoffnung, mein Buch zu schreiben, blieb ich lange Zeit in Isla Negra, und um der Trägheit, die mich morgens, mittags und abends angesichts der leeren Seiten überfiel, einen Grund zu geben, begann ich, um das Haus des Dichters herumzulungern und so nebenbei auch um jene herumzulungern, die dort herumlungerten. So lernte ich die Personen dieses Romans kennen. (S. 10)
Deutlicher wird dies an bereits genannter Stelle, wo der Erzähler berichtet, er habe einer gewissen „Beatriz González“ versprochen, „daß ich für sie die Geschichte Marios aufschrieb, ‚ganz gleich, wie lange es dauern und wie viel hinzuerfunden wird’.“ (S. 11).
Beatriz González ist eine der Hauptfiguren des Romans.
Prolog und Haupthandlung werden auf diese Weise miteinander verwoben und der Ausdruck „ganz gleich, [...] wie viel hinzuerfunden wird“, suggeriert, dass die Erzählung zumindest in einigen Teilen eine reale Grundlage hat.
Selbiges lässt sich auch vom Epilog sagen, in dem der Erzähler noch einmal in der ersten Person berichtet.
Auch hier werden Fakten der Haupthandlung bestätigt: der Erzähler trifft nach langen Jahren einen Bekannten, der vor dem Putsch als Redakteur bei der Zeitschrift La Quinta Rueda gearbeitet hat. Diese Zeitschrift hatte den Literaturwettbewerb ausgetragen, an dem Mario mit seinem Gedicht Skizze in Blei von Pablo Neftalí Jiménez González teilnahm (S. 129).
Der Erzähler fragt seinen Freund nach diesem Gedicht und suggeriert damit,...