|24|3 Leistungsfähigkeit
Angesichts alternder Belegschaften und einer fortschreitenden Dynamisierung menschlicher Arbeit (Digitalisierung, Globalisierung) ist die Frage nach dem Einfluss altersbedingter Veränderungen auf die berufliche – sowohl kognitive als auch physische – Leistungsfähigkeit für Forschung und Praxis essenziell. Insbesondere die ausgeprägten interindividuellen Unterschiede erschweren dabei die Generalisierbarkeit der Befunde.
Im Folgenden werden zunächst Veränderungen in den biologischen und physiologischen Grundfunktionen berichtet. Anschließend werden altersbedingte Entwicklungen verschiedener kognitiver Leistungsbereiche (wie Intelligenz- und Gedächtnisleistungen, Planungs- und Problemlöseleistungen, Expertise, Entscheidungsverhalten und Lernleistungen) ausführlich dargestellt. Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit der Stabilität und Veränderlichkeit von Persönlichkeitsmerkmalen.
3.1 Biologische und physiologische Grundfunktionen
Sich mit der Leistungsfähigkeit älterer Erwerbstätiger zu befassen (hier: 55- bis 70-Jährige), heißt notwendigerweise auch altersbedingte Veränderungen in den biologischen und physiologischen Grundfunktionen zu thematisieren. Es ist unstrittig, dass im Verlauf des Alterns ein Leistungswandel zu verzeichnen ist.
Veränderungen gegenüber jüngeren Erwachsenen zeigen sich aufgrund vielfältiger epidemiologischer, medizinischer, gerontologischer oder neurowissenschaftlicher Studien im physiologischen, sensorischen und motorischen Bereich, aber auch in Bezug auf Gehirnfunktionen und -strukturen sowie neurologische Funktionen:
Physiologischer Bereich (vgl. bspw. Maertens, Putter, Chen, Diehl & Huang, 2012)
Verringerte oder zeitlich verzögerte Wiederherstellung der Homöostase (dies zeigt sich bspw. in längeren Erholungszeiten nach Belastungssituationen) sowie Veränderungen im Hormonhaushalt und Schwächung des Immunsystems.
Abnahme der Muskelkraft und Sauerstoffaufnahme (vgl. Kenny, Yardley, Martineaux & Jay, 2008). In Messreihen an Männern und Frauen zeigen Voorbij und Steenbekkers (2001) eindrucksvoll, wie sich Körperkräfte über das Alter abschwächen, so z. B. Dreh- und Druckkraft der rechten und linken Hand. Biomechanische Analysen von Ganzkörperkräften belegen altersbedingte Reduktionen beim Heben und Tragen von Lasten.
|25|In einer arbeitswissenschaftlichen Studie berichteten Landau et al. (2007), dass arbeitsbedingte Körperhaltungen (wie Überkopfarbeit, kniende, gebückte, verdrehte, liegende Körperhaltungen, Stehen auf Podesten usw.) im Alter (55+) die körperliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit teilweise erheblich beeinträchtigen.
Sensorischer und motorischer Bereich (vgl. bspw. Lindenberger & Ghisletta, 2009)
Seh- und Höreinbußen (vgl. Tesch-Römer & Wahl, 2012): Altersbedingte Defizite im optischen Wahrnehmungsapparat setzen verstärkt um das 45. Lebensjahr ein (vgl. Verillo & Verillo, 1985). Das betrifft die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Akkommodation (Fähigkeit des Auges, unterschiedlich entfernte Gegenstände deutlich abzubilden), ebenso wie die Leistungsfähigkeit beim Tag- und Nachtsehen oder bei Farbunterscheidung (Schieber, 2006).
Untersuchungen zur Altersabhängigkeit der otoakustischen Emission bestätigen Befunde, dass das Hörvermögen mit zunehmendem Alter eingeschränkt wird (vgl. Hoth & Gudmundsdottir, 2007). Organische Funktionsdefizite des Innenohrs und funktionelle Leistungsverluste der beteiligten Gehirnregionen werden als Begründung genannt. Über eine Beeinträchtigung der Sinneswahrnehmung (Hören und Sehen) bei einer größeren Stichprobe von Berufstätigen (65+) in den USA berichten Davila et al. (2009).
Sensumotorische Einbußen: Ältere Mitarbeiter benötigen am Beispiel komplexer Montagearbeiten – so eine japanische Studie – mehr Zeit als jüngere, verursacht durch verminderte Bewegungsgeschwindigkeit, begrenztes Blickfeld sowie eingeschränkte Beweglichkeit im Greifraum (vgl. Kawakami, Inoue, Ohkubo & Ueno, 2000). Auch verlangsamen sich mit dem Alter – wie Untersuchungen des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung gezeigt haben – präzise Zielbewegungen (vgl. Hegele & Heuer, 2010).
Bereich der Gehirnfunktionen und -strukturen (vgl. bspw. Raz & Rodrigue, 2006) oder bei neurologischen Funktionen
Die Studien zu den biologischen und physiologischen Grundfunktionen machen aber auch deutlich, dass
starke altersdifferenzierte Effekte sich in der Regel erst im höheren Alter zeigen.
bei den festgestellten Effekten eine wesentlich größere interindividuelle Varianz innerhalb der Alterskohorte auftritt, als bei den jüngeren Altersgruppen; d. h. vielfältige Gründe, die in der jeweiligen Person selbst (z. B. Gesundheitsbewusstsein) oder in der Situation (z. B. Zugang zur medizinischen Versorgung) liegen, führen dazu, dass der Status der analysierten Funktionen oft nicht mit dem chronologischen Alter korreliert.
|26|Verlust- und Degenerationsprozesse im Alter nicht unwiderruflich sein müssen. Dem Nachlassen physiologischer Grundfunktionen (z. B. maximale Sauerstoffaufnahme) und den altersbedingten Veränderungen des Muskel-Skelett-Apparats lässt sich durch regelmäßiges körperliches Training sowie sportliche Betätigung entgegenwirken (vgl. Hamberg van Reenen, van der Beek, Blatter, van Mechelen & Bongers, 2009; Kenny et al., 2008).
spezifische Interventionen und Verhaltensmodifikationen (z. B. Training, sportliche Aktivitäten, gesunde Ernährung) gegensteuern und Veränderungen und Verluste kompensiert werden können. Das Kompetenzmodell, also die Kompensation von Veränderungen durch individuelle Ressourcen und persönliche Kompetenzen sowie situative Bedingungen findet seine Evidenz in unterschiedlicher Ausprägung bei älteren Erwerbstätigen (vgl. Jackson, Beard, Wier & Stuteville, 1997; Rife, 1988).
Maßnahmen der Arbeitsgestaltung, die der altersbedingten Reduktion in den physiologischen, sensorischen und motorischen Bereichen menschlicher Leistungsfähigkeit Rechnung tragen, negative Beanspruchungsfolgen bei den älteren Erwerbstätigen vermeiden können (vgl. Landau et al. 2007; Frieling, Kotzab, Enríquez-Díaz & Sytch, 2012).
3.2 Kognitive (berufliche) Leistungsfähigkeit
Altersbedingte Veränderungen zeigen sich auch in den verschiedenen Bereichen der kognitiven Leistungsfähigkeit, die nachfolgend aufgeführt werden.
3.2.1 Intelligenzleistungen
Umfassendes längsschnittliches Datenmaterial bestätigt eine Leistungsveränderung in der Intelligenzentwicklung im Alter zwischen 50 und 55 Jahren (vgl. die Seattle-Studie von Schaie, 2005 oder Martin & Zimprich, 2005). Dies gilt für induktives Schlussfolgern, verbale Fähigkeiten, Tempo der Informationsverarbeitung, Zahlenfertigkeit. Diese sog. fluiden Intelligenzleistungen gehen bereits im Alter zwischen 20 und 30 Jahren zurück, stabilisieren sich jedoch im weiteren Lebensalter.
Dagegen scheinen Leistungen der kristallinen Intelligenz (die Fähigkeit Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen zu nutzen, die sich im Laufe des Lebens angesammelt haben) ihren maximalen Stand in den 40er...