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E-Book

Present Shock

Wenn alles jetzt passiert

AutorDouglas Rushkoff
Verlagorange-press
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783936086751
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Maschinen, die für uns arbeiten, damit wir mehr Zeit für uns haben! Was einmal wie ein Traum vom Paradies klang, hat eher albtraumhafte Züge angenommen. Statt auf dem Rücken liegend den Vogelflug zu bewundern, sind wir Sklaven von Email, Twitter und Facebook geworden. Wir sehen von allem zu viel und doch nie das richtige, da zuviele Welten gleichzeitig um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren. Diagnose: Present Shock. Douglas Rushkoff fasst in Worte, was wir alle erleben, aber kaum einordnen können. Seine kritische Bestandsaufnahme als Medientheoretiker und als Betroffener erklärt, wodurch wir den Augenblick verloren haben. Er eröffnet eine Perspektive auf das Leben im digitalen Zeitalter, die uns das gewaltige Ausmaß des Umbruchs vor Augen führt - und uns auf geradezu kathartische Art und Weise damit versöhnt. »Wir wissen zwar nicht mehr, wo es langgeht, aber wir kommen viel schneller voran.«

Douglas Rushkoff, Jahrgang 1961, prägte Begriffe wie »Digital Natives« oder »Virale Medien«. Er gehörte zur Cyberpunk-Szene der frühen 1990er, und seine Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt. Heute berät er die UNO in Fragen der Netzkultur und setzt sich mit Technologie und ihren Wechselwirkungen mit Gesellschaft und Wirtschaft auseinander. Rushkoff versucht möglichst wenig Zeit in Flugzeugen und möglichst viel Zeit an seinem Wohnort und bei seiner Familie in New York zu verbringen.

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Leseprobe

Vorwort


Er ist einer der wachsamsten Hedgefonds-Manager der Wall Street, und doch scheint er mit seinen Transaktionen immer zu spät zu kommen. Händler größerer Firmen mit schnelleren Computern bemerken sofort, wenn er eine Order platziert, und nehmen diese vorweg. Der Kurs steigt dadurch um den Bruchteil eines Cents, was sein Geschäft weniger rentabel macht als gedacht. Er agiert in der Vergangenheit, weil ihm Software und Rechenleistung fehlen, um zur Gegenwart aufzuschließen. Und seine Kunden halten sowieso nichts mehr davon, in die Zukunft von Unternehmen zu investieren; sie wollen am Handel selbst verdienen, und zwar sofort.

Sie sitzt in einer Bar in der Upper East Side von Manhattan, scheint sich aber weder für die Leute drumherum noch die Musik zu interessieren. Statt mit jemandem zu reden, scrollt sie durch Textnachrichten von Freundinnen, die an einem anderen Ort feiern – schließlich muss sie entscheiden, ob sie hierbleiben oder ob anderswo etwas Besseres geboten wird. Tatsächlich weckt etwas auf dem Bildschirm ihres Smartphones ihr Interesse, und Sekunden später ist sie mit ihrer Clique im Taxi Richtung East Village unterwegs. Sie betritt eine zweite, fast identische Bar und beschließt, das hier sei the place to be – aber statt die Party zu genießen, macht sie eine Stunde lang mit ihrem Handy Fotos von sich und ihren Freundinnen, die sie sofort hochlädt, damit die ganze Welt sie sehen kann.

Er sieht die Zeichen überall: eine neue »Naturkatastrophe« in den Abendnachrichten, die Schwankungen der Benzinpreise, Diskussionen um eine einheitliche Weltwährung. Die Flut der Informationen bedeutet nicht, dass mehr passiert. Aber mehr von dem, was passiert, dringt zu uns durch. Prophezeiungen scheinen nicht mehr die Zukunft zu beschreiben, sondern einen Leitfaden für die Gegenwart darzustellen. Ob man der Quantenphysik vertraut oder dem Maya-Kalender: Das Ende aller Zeiten steht ohnehin bald bevor. Wir müssen uns nicht mehr auf das messianische Zeitalter vorbereiten; wir sind schon mittendrin.

Das ist das neue »Jetzt«.

Unsere Gesellschaft konzentriert sich auf den gegenwärtigen Moment. Wir erleben alles im Liveticker, in Echtzeit, always-on.

Auch wenn neue Technologien und ein veränderter Lebensstil dafür gesorgt haben, dass wir alles immer schneller tun: Es geht nicht nur um Beschleunigung. Es geht um den Bedeutungsverlust von allem, was nicht gegenwärtig ist – weil der Ansturm von allem, was genau jetzt passiert, so gewaltig ist.

Es geht darum, dass sich die weltweit führende Suchmaschine zu einem in Echtzeit generierten Datenstrom namens Google Now weiterentwickelt, der sich ungefragt individuell anpasst und unsere Bedürfnisse antizipiert; darum, dass die Sofortnachricht die E-Mail verdrängt und Twitter-Feeds die Blogs ablösen. Es geht um die Frage, warum Schüler keiner linearen Argumentation mehr folgen können, warum Reality-TV einen so großen Platz im Fernsehen einnimmt und wir uns schon über Bücher und Platten aus dem letzten Monat kaum noch sinnvoll unterhalten können; geschweige denn über globale Probleme, die uns noch langfristig beschäftigen werden. Es geht um eine Finanzwirtschaft, die Unternehmern nicht mehr das nötige Kapital für ihre Investitionen zur Verfügung stellen kann. Und es geht um die Sehnsucht nach der »Singularität«, nach irgendeiner Form von Apokalypse, in der das lineare Zeiterlebnis abgelöst wird durch eine posthistorische, ewige Gegenwart, zur Not auf Kosten der menschlichen Freiheit oder der Zivilisation als Ganzes.

Das neue Jetzt bedeutet aber auch, dass wir erfahren, was auf den Straßen von Teheran, Istanbul und Kiew passiert, bevor CNN ein Kamerateam zusammenstellen kann. Es bedeutet, dass ein erfolgreicher Manager den Traum, mit seiner Familie nach Vermont zu ziehen und Kajaks zu produzieren, nicht auf den Ruhestand verschiebt, sondern jetzt verwirklicht. Es bedeutet, dass Millionen Menschen mit neuen Formen von Aktivismus experimentieren können, bei denen Konsens mehr gilt und mehr bewirkt als die Durchsetzungsfähigkeit eines Einzelnen. Es bedeutet, dass Firmen wie H&M oder Zara Überproduktion vermeiden können, indem sie quasi on demand produzieren: Sie reagieren fast in Echtzeit auf die Daten eines Etiketts, das in fünftausend Meilen Entfernung über den Kassenscanner läuft. Es bedeutet, dass ein Präsidentschaftskandidat die Wahl gewinnen kann, der weder die glorreiche Vergangenheit noch die drohende Zukunft ins Feld führt, sondern seinen Wählern zuruft: »Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben.«

Tja, das Warten hat ein Ende. Wir sind da.

So wie das Ende des 20. Jahrhunderts vom Futurismus geprägt war, steht das beginnende 21. im Zeichen des Präsentismus.

Der Blick nach vorn, der in den späten 1990ern so verbreitet war, hatte sich mit dem Beginn des neuen Jahrtausends erledigt. Wie einige andere prophezeite auch ich damals ein gesteigertes Gegenwartsbewusstsein, ein Interesse an echten Erfahrungen und dem Wert der Dinge im Augenblick. Dann kam 9/11 und verstärkte diese Tendenz noch. Der Terror zwang Amerika dazu, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Die Menschen zeugten reihenweise Kinder1 oder reichten die Scheidung ein2, weil sie – zumindest unbewusst – spürten, dass wir nicht ewig leben, und weniger bereit waren, Entscheidungen immer weiter aufzuschieben. Wenn dann noch die Echtzeittechnologien von Smartphone bis Twitter dazukommen, permanentes Multitasking, kurzlebige Konsumkreisläufe und eine Wirtschaft, die darauf basiert, dass wir jetzt mehr ausgeben, als wir im ganzen Leben verdienen werden, dann kann man schon mal die Orientierung verlieren. Die Ausgangslage ist vergleichbar mit der, die der Futurologe Alvin Toffler in den 1960er-Jahren als »Zukunftsschock« bezeichnete.

Nur dass es heute ein Gegenwartsschock ist, den wir erleben. Und obwohl dieser ein Phänomen unserer unmittelbaren Gegenwart ist, hat er doch wenig mit Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit zu tun.

Viele haben richtig vorausgesagt, wie dieser neue Präsentismus Investitionen und die Finanzwelt beeinflussen würde und wie sich Technologien und Medien weiterentwickeln müssten. Aber wir hatten keine Ahnung, was es für uns als Menschen bedeuten würde, im »Jetzt« zu leben. So hat uns unsere Konzentration auf die Gegenwart etwa von den großen Ideologien des 20. Jahrhunderts befreit. Niemand – na ja: fast niemand – lässt sich heute noch einreden, dass irgendwelche mythischen Zwecke alle Mittel heiligen. Arbeitnehmer und Konsumenten fallen nicht mehr so leicht auf die Loyalitätsrhetorik der Unternehmen herein. Aber der Wandel hat uns nicht dazu gebracht, genauer wahrzunehmen, was um uns herum vorgeht. Wir nähern uns keinem zenbuddhistischen Zustand der ewigen Gegenwart, in dem wir ganz mit uns selbst und unserer Umgebung eins werden und zu einer fundamentalen Erkenntnis unseres Selbst gelangen würden.

Stattdessen leben wir in einem Zustand ständiger Ablenkung, in dem wir das Unwichtige nicht mehr vom Wichtigen unterscheiden können. Unsere Fähigkeit, einen Entschluss zu fassen – geschweige denn ihm zu folgen –, leidet unter dem Bedürfnis, auf unzählige externe Impulse zu reagieren, die uns jeden Moment aus der Bahn werfen können. Wir sind im Hier und Jetzt nicht etwa sicher verankert, sondern reagieren nur noch auf den allgegenwärtigen Ansturm simultaner Impulse und Anforderungen.

In gewisser Weise entspricht das sogar dem, was die Entwickler unserer heutigen Rechner und Netzwerke erreichen wollten. Computer-Visionäre wie Vannevar Bush und J.C.R. Licklider träumten Mitte des 20. Jahrhunderts von Maschinen, die uns die Erinnerungsarbeit abnehmen würden. Sie sollten uns von der Last der Vergangenheit – und vom Schrecken des Zweiten Weltkriegs – befreien, indem sie es uns ermöglichten, uns ganz auf die Lösung gegenwärtiger Probleme zu konzentrieren und alles Zurückliegende zu vergessen. Die Informationen über die Vergangenheit sollten erhalten bleiben, aber außerhalb unseres Körpers, im Speicher der Maschine.

Und tatsächlich ist es ihnen gelungen, die Gegenwart von der Bürde der Erinnerung zu befreien, ohne diese zu verlieren. Wir können jetzt sozusagen mehr Rechenkapazitäten unseres Gehirns auf das RAM verwenden, den Prozessor, statt nur unsere zerebralen Festplatten ordentlich zu befüllen. Aber wir laufen Gefahr, diesen kognitiven Überschuss an die Beschäftigung mit Trivialitäten zu verschwenden, anstatt uns mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen, die auf uns zukommen.

Verhaltensökonomen nutzen die wachsende Kluft zwischen unserem kognitiven Zugriff auf die Gegenwart und auf die Zukunft. Sie ermuntern uns, zukünftige Schulden als weniger wichtig zu erachten als gegenwärtige Kosten, und drängen uns zu finanziellen Entscheidungen, die eigentlich nicht in unserem Interesse liegen. Wo diese Kurzsichtigkeit auch das Bankwesen und die wirklich großen Budgets erfasst – etwa die der Federal Reserve oder der...

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