Man hat es schon damals als etwas merkwürdig und unangemessen empfunden. Da macht sich mitten im Winter ein kleiner Potentat, der Kurfürst von Brandenburg, mit seinem gesamten Hofstaat auf, um sich selbst zum König zu krönen. Dazu muß man durch Schnee und Eis ausgerechnet in die entfernteste Provinz des unübersichtlichen, über die Landkarte verstreuten Landes, an die polnische und russische Grenze ziehen. Und das um des Namens willen, den das zukünftige Königreich tragen soll. In vier Abteilungen machen sich 300 Reise- und Gepäckwagen auf den Weg. Dreißigtausend Pferde sind dafür notwendig: seit Menschengedenken das umfangreichste Unternehmen dieser Art in Friedenszeiten.
Der Kurfürst Friedrich III. – den Titel hat er vor rund zwölf Jahren von seinem berühmten Vater ererbt, strebt jetzt aber einen höheren an – hat am 17. November 1700 in Berlin eine prunkvolle Karosse bestiegen, die ihn nach Königsberg, übrigens seiner Geburtsstadt, bringen soll. Die Reise geht freilich nur am Vormittag vonstatten, denn nachmittags läßt sich der Fürst von seinen Untertanen huldigen. Und allabendlich speist er feudal im Kreise der lokalen Honoratioren.
Gewollt oder ungewollt begründet er damit bereits eine feste Tradition. Fast alle ihm nachfolgenden Hohenzollern-Könige werden hinfort Huldigungsfahrten zur Krönung im Dom von Königsberg in Ostpreußen unternehmen, wenn auch nicht unbedingt in der für das östliche Europa ungünstigsten aller Jahreszeiten.
Der künftige König ist außer sich vor Freude über die, wie viele finden, überflüssige und zudem höchst kostspielige Rangerhöhung und kann es kaum erwarten, in Königsberg einzutreffen. Seine Frau, die künftige Königin, reist nicht in seiner Kutsche, sondern teilt einen Wagen mit ihrem galanten Schwager, dem Markgrafen Albrecht, der es sich nicht nehmen läßt, selbst die Zügel zu führen und das Gefährt zu lenken. Sie haben es nicht eilig. Die im Volk außerordentlich beliebte Kurfürstin Sophie Charlotte macht sich nichts aus weltlichen Titeln. Das ganze Getue um die Königswürde läßt sie kalt – eine Intellektuelle.
Als intellektuell läßt sich Friedrich kaum bezeichnen, dafür ist er zu eitel und zu sehr verliebt in die eigene Wichtigkeit. Aber Intelligenz wird ihm keiner absprechen dürfen. Er ist in den Künsten und den Wissenschaften wenn nicht engagiert, so doch an beiden interessiert. Wohl gebildet spricht er mehrere Sprachen, außer dem an den Höfen des 17. Jahrhunderts unerläßlichen Französisch, Polnisch und neben Deutsch auch fließend Lateinisch.
Seine Verschwendungssucht läßt sich aus der kargen Jugendzeit an der Seite seines Vaters, des Großen Kurfürsten, erklären. Seine übersteigerte Eitelkeit dürfte mit seiner etwas kümmerlichen äußeren Erscheinung zusammenhängen. Der Kurfürst ist klein bis mittelgroß geraten. In seiner frühesten Jugend hat ihn eine Amme auf den Steinfußboden fallen lassen, wovon eine leichte Verwachsung, ein Anflug von Buckligkeit zurückgeblieben ist. Merkwürdigerweise versucht Friedrich, den Makel durch übergroße Perücken zu verbergen. Gerade die riesigen Haarwulste lassen ihn jedoch noch kleinwüchsiger und verwachsener erscheinen, ein schwächlicher Mann auf dünnen Beinen, dazu seit seiner Kindheit schwer asthmatisch, ein Leiden, das sich beim Erwachsenen noch verschlimmert hat. Ihn überfallen plötzliche Hustenreize, die bei Hofe gefürchtet sind, weil sie die Laune des Herrschers verschlechtern.
Für einen König, sollte man meinen, wirkt er beinahe wie eine Karikatur. Aber man kann es auch freundlicher sehen: Er hat es schwerer gehabt als andere, sich durchzusetzen. Und fortwährend steht ihm jemand zur Seite, der ihn wegzudrängen versucht, als sei er ein Krüppelwesen. Da war zunächst sein übermächtiger Vater, zur Zeit ist es die ihm in allem überlegene Ehefrau Sophie Charlotte, und bis vor kurzem gab es seinen ehemaligen Erzieher Danckelmann, einen redlichen und getreuen Beamten, der aber noch als Staatskanzler an ihm herumzuerziehen versucht hat, was er jetzt in Festungshaft büßt.
Eine jener Ungerechtigkeiten, wie sie Friedrich nicht selten unterlaufen. Er ist kein Menschenkenner, fällt immer auf die raffiniertesten Schmeichler herein. Dabei meint er es im Grunde gut, bewährt sich auch auf dem politischen Parkett als überlegener Diplomat. Daß er, ein reformierter Protestant, vom katholischen Kaiser Leopold seine – etwas fadenscheinige – Königswürde bestätigt bekommt, gehört zu seinen Meisterstücken. Um so mehr, als er dabei ganz ohne Kriege und das sonst bei derartigen Umwandlungen übliche Blutvergießen ausgekommen ist. Der Streich ist ihm ausschließlich durch Politik, zivile List, Überredungsgabe, Tücke und, nicht zuletzt, Geld gelungen.
Was freilich den späteren Geschichtsschreibern seines Landes etwas peinlich vorgekommen sein muß. Warum sonst haben sie ihn und den sonderbaren Beginn eines neuen Königreiches namens Preußen immer mit einem leichten Naserümpfen behandelt und alle Verdienste daran kurzerhand dem längst verstorbenen Vater zugesprochen.
Nicht ganz zu Unrecht. Ohne den politischen Weitblick des Großen Kurfürsten und seine genialen Winkelzüge hätte die ohnedies zunächst wenig Erfolg versprechende Neugründung noch weniger Chancen gehabt. Er hat das Fundament für den Staat gelegt und damit auch das des Königreichs. Aber zu bauen begonnen hat es in seiner erfreulicherweise absolut unheroischen Art der Sohn, dessen friedliche Eroberung den Zeitgenossen, aber auch noch manchen Nachfahren wie eine Farce erschienen ist.
Von einer solchen ist das Ganze gewiß nicht weit entfernt. Denn all der Pomp und Glanz, der auf der winterlichen Reise und später in Königsberg entfaltet wird, hat keinen soliden Hintergrund. Vor allem fehlt es dem nicht übermäßig mit Reichtümern ausgestatteten Land an Geld. Daheim, in Berlin, baut eben Andreas Schlüter, den Friedrich eigentlich als Hofbildhauer berufen hat, an einem für Brandenburger Verhältnisse überdimensionalen Schloß. Die kaiserliche Zustimmung zur Königswürde hat sechs Millionen Taler gekostet, zur damaligen Zeit eine geradezu astronomische Summe. Eine nicht geringere werden auch die Krönungsfeierlichkeiten verschlingen. Schon arbeiten in Königsberg die Ingenieure an zwei Brunnen, aus denen für jedermann Wein sprudeln soll, weißer aus dem einen, roter aus dem anderen.
Ob Friedrich ernsthaft über die Finanzierung solcher Extravaganz nachdenkt, steht dahin. Für derlei hat er seine Leute, und er ist, was das Geldeintreiben betrifft, selbst überaus ideenreich. Die von den Ständen des Landes spendierte Summe reicht bei weitem nicht aus, aber da bleibt die hohe Kunst der Akzise. Unter diesem Wort faßt man alles dasjenige zusammen, was den Staatsbürgern – damals wie heute! – heimlich beim Einkauf nicht nur von Luxusgütern, sondern auch von ganz gewöhnlichen Gebrauchsartikeln wie Salz und Zucker aus der Tasche gezogen wird. Kurfürst Friedrich hat – ein kleines Kabinettstück seiner Erfindungsgabe – seinem Land sogar eine Jungfernsteuer auferlegt, die von der Geschlechtsreife eines Mädchens an bis zu ihrer Verheiratung oder bis zum vierzigsten Lebensjahr alljährlich zu entrichten ist.
Über seinen größenwahnsinnigen Wunsch, König zu werden, erzählt man eine Anekdote, wahr oder nicht. Bei einem Besuch in Wien soll ihn der Kaiser zusammen mit seinem hannoverschen Fürstenkollegen empfangen haben. Der andere, übrigens ein Vetter, war auch mit den schottischen Stuarts verwandt, somit nicht nur von fürstlichem, sondern sogar königlichem Geblüt. Die Hannoveraner sind dann ja auch später auf den englischen Thron gelangt.
Mag der Rangunterschied so groß nicht gewesen sein, stand doch für den einem Königsthron näheren Kurfürsten ein gut gepolsterter Stuhl, für den anderen, Friedrich, nur ein einfacher hölzerner Hocker bereit. Ein Umstand, der dessen Eitelkeit derart empfindlich getroffen habe, daß er fortan nichts sehnlicher anstrebte, als selbst königlichen Rang zu erwerben. Zynisch betrachtet, geschah also alles um eines Stuhles willen.
Dagegen hat ihn ein so gerechter Historiker wie Sebastian Haffner allerdings über alle Zeiten hinweg in Schutz genommen. Denn »der Königstitel war um 1700 ein Zauberwort (so wie heute das Wort ›Demokratie‹). Das instinktiv erfaßt zu haben, hatte Friedrich I. seinem Vater voraus. Es war ein Einfall. Man mußte darauf kommen.«
Mit diesen einfachen Worten dürfte der Wert jener Winterreise von Berlin nach Königsberg am besten umrissen sein. Ein Zauberwort. Friedrich hat jahrelange mühevolle Verhandlungen dafür auf sich genommen. Wirklich geklappt hat es zuletzt dank einem reinen Zufall. Da traten nämlich ausgerechnet die Jesuiten für das Verlangen des erzprotestantischen Kurfürsten ein. Was war geschehen? Der brandenburgische Unterhändler in Wien hatte eine verschlüsselte Depesche falsch verstanden. Die Mitteilung lautete, er solle sich vor einer Hilfe der Jesuiten hüten. Er las daraus, er möge sich um eine solche bemühen, was er auch tat. Die Jesuiten zeigten sich über solche Wertschätzung von evangelischer Seite geschmeichelt, und Kaiser Leopold stimmte zu. Auch dies eine Anekdote. Es muß aber ein Quentchen Wahrheit daran gewesen sein, aus welchem anderen Grund hätte Friedrich einem jesuitischen Konvent in Wien 10 000 Taler zukommen lassen sollen?
Zwölf Tage dauert die Reise in den unbeheizbaren Kaleschen durch Frost und Unwetter. Der Einzug in Königsberg geschieht unter dem Geläute aller Glocken und Böllerschüssen. Als Krönungstag vorgesehen ist der 18. Januar 1701. Am Abend zuvor legt der...