Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die ganz eigene Entwicklung des Pflegeberufs darzustellen und aufzuzeigen, warum es der Pflege bisher nicht gelingen konnte, über den Grad einer Semi-Profession hinauszukommen.
Dazu wird die Entwicklung des Pflegeberufs aufgezeigt, welche in Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt, sodass auf vorangegangene Epochen verzichtet wird.
Die Krankenpflege wird üblicherweise als traditioneller „Frauenberuf" verstanden, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem durch konfessionelle Pflegeorganisationen geprägt wurde. Hierbei spielten zum einen katholische Krankenpflegeorden wie beispielsweise die deutschen Barmherzigen Schwestern, zum anderen auch die protestantische Diakonissen-Krankenpflege mit zahlreichen Mutterhäusern eine bedeutende Rolle. Der weitere Verlauf der Krankenpflegeausbildung ist von diesen Gemeinschaften mitbestimmt worden und bis heute besitzen sie „einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Niveau der Krankenpflege (...) und auf die formalrechtlichen Regelungen der Ausbildung durch den Staat" (Kruse 1987, S.27).
Ausbildung in katholischen Pflegeorden
Es existierten im 19. Jahrhundert mehrere katholische Orden, deren Angehörige in der Krankenpflege tätig waren. Von Bedeutung dabei waren vor allem die Clemensschwestern, die in der Stiftung der Barmherzigen Schwestern organisiert waren, die Borromäerinnen sowie die Vinzentinerinnen.
Die Anforderungen die an die zukünftige Ordensfrau gestellt wurden - wollte sie beispielsweise den Barmherzigen Schwestern beitreten - orientierten sich neben absoluter körperlicher Gesundheit vor allem an christlichen Tugenden:
„Einen guten Unterricht in der Religion, gesunder Menschenverstand, Überlegung, Achtsamkeit, Ruhe und Geistesgegenwart, überhaupt natürliche Krankenpflege, wohin füglich gerechnet werden kann, nicht zu wenig Mitgefühl, nicht zu viel Empfindsamkeit und große Liebe zur Reinlichkeit, Ordentlichkeit und Ordnung" (Kruse 1987, S.28).
Die Ausbildung fand auf den Krankenstationen unter Anleitung geübter Schwestern statt. Theoretischer Unterricht wurde überhaupt nicht erteilt.
Bei den Borromäerinnen und den Vinzentinerinnen gestaltete sich die Ausbildung ähnlich, auch dort erfolgte das Erlernen der Krankenpflege ausschließlich durch praktische Mitarbeit auf den Stationen, ohne theoretische Kenntnisse zu besitzen. Eine einheitliche Dauer der Ausbildung existierte ebenso wenig, hinzu war sie immer mit einer Aufnahme in den Orden verbunden, die wesentlich länger dauerte als die eigentliche Ausbildung zur Pflegerin selbst. Oftmals kam es dadurch auch zu Differenzen bezüglich der Ausbildungsinhalte; es entstand ein Spannungsverhältnis zwischen christlicher und weltlicher Erziehung und es lag in der Hand der Generaloberin, wie das Verhältnis zwischen weltlichen und christlichen Inhalten gestaltet wurde (vgl. Mischo-Kelling/Wittneben 1995, S.224f).
Ausbildung in den diakonischen Mutterhäusern
Demgegenüber stand die pflegerische Ausbildung in dem von Theodor Fliedner gegründeten, protestantischen Pflegeorden in Kaiserswerth, die maßgeblich für die Entwicklung der Krankenpflege als Beruf gesehen wird und den Beginn der neuzeitlichen Pflege markiert. Fliedner beabsichtigte die 1836 eröffnete Bildungsanstalt für evangelische Pflegerinnen als „Multiplikator einer qualifizierten Krankenpflege" (Kruse 1987, S.32) in Deutschland zu etablieren.
Erstmals wurden Begriffe wie „praktische Anleitung“ und „theoretische Unterweisung“ gebraucht und Grundlagen der Anatomie und Physiologie unterrichtet. Den theoretischen Unterricht erteilte ein ortsansässiger Arzt, in der Regel eine Stunde wöchentlich. Darüber hinaus hielt Theodor Fliedner selbst mehrere Stunden Unterricht pro Woche. Die praktische Anleitung erfolgte durch die Vorsteherin, der Vorgesetzten aller Diakonissen, die von erfahrenen Diakonissen unterstützt wurde. Dabei begannen die Probediakonissen bei einfachen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, später wurden sie auf der Kinderkrankenstation und der Frauenkrankenstation eingesetzt. Gegen Ende ihrer Ausbildung begleiteten sie die leitende Diakonisse auf der Männerstation. Es wurde also der Weg vom Leichten zum Schweren gewählt, um die Probediakonissen langsam an die physischen und psychischen Belastungen heranzuführen (vgl. Kruse 1987, S.36).
Obwohl im Unterschied zur Ausbildung in den katholischen Orden theoretischer Unterricht erteilt wurde und sich die Pflege nicht nur auf körperliche Aspekte, sondern auch auf den Geist kranker Menschen bezog, wird die Qualität dieser Ausbildung in den Diakonie-Mutterhäusern dennoch überwiegend negativ beurteilt. Eindeutig im Vordergrund der Ausbildung standen christliche Aspekte wie das selbstlose Dienen und die Bereitschaft zur ganzen Lebenshingabe; die fachliche Ausbildung trat gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr in den Hintergrund (vgl. Sticker 1989, S.146ff). Das ursprüngliche Ziel von Fliedner, ein Multiplikator für eine qualifizierte Ausbildung zu sein, wandelte sich dahingehend, dass es tatsächlich in erster Linie darum ging, so schnell wie möglich Arbeitskräfte für die Pflege kranker Menschen auszubilden (vgl. Mischo-Kelling/Wittneben 1995, S.228), die schnell einsatzfähig waren. Ursache dafür war die große Nachfrage nach Pflegekräften, die mit der Industrialisierung und dem raschen medizinischen Fortschritt einherging.
Die Ausbildung in den Schwesternschaften des Roten Kreuzes
Neben diesen konfessionellen Vereinigungen bildeten sich verschiedene Vereine, unter anderem der 1859 gegründete badische Frauenverein, der eine zwei bis fünf Monate dauernde Ausbildung zur Krankenwärterin durchführte (vgl. Kruse, 1987, S.44), die mit einer Prüfung abgeschlossen wurde. Sie wurden 1866 zu Schwestern des Roten Kreuzes und ihre Zahl stieg im weiteren Verlauf des Jahrhunderts rasch an. Dabei lebten sie ähnlich wie in einem Mutterhaus des Kaiserwerther Verbands zusammen. Grund dafür war, so Kruse, dass sie durch das Wohnen in der Gemeinschaft sie in ihrem Glaubensleben gestärkt und gestützt wurden, die christliche Religion sahen sie auch als Grundlage ihrer Krankenpflege an (ebd., S.45).
Der theoretische Unterricht wurde von Ärzten und Pfarrern erteilt, die Inhalte des theoretischen Unterrichts bestimmten, welche auf einem eher geringen Abstraktionsniveau angesiedelt waren, um - so vermutet Kruse - den Abstand zwischen Wissenden und Nichtwissenden nicht zu sehr zu verringern und um zu verhindern, dass die gefühlsmäßige Zuwendung der Schwestern nicht zu sehr in den Hintergrund rückt (ebd. S.46f).
Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands
Neben den Schwestern, die konfessionellen Orden angehörten oder in Verbänden wie dem Roten Kreuz organisiert waren, gab es die freien Schwestern, deren Interessen von niemandem vertreten wurden. Einen entscheidenden Wandel schaffte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Agnes Karll mit der Gründung der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands. Sie trat dafür ein, dass sich die Schwestern ähnlich wie die englischen und amerikanischen Schwestern selbst für ihre Belange eintreten sollten. Für eine Verbesserung der Krankenpflege sollte, so ihre Forderung unter anderem die Ausbildung gründlich, systematisch und über einen Zeitraum von drei Jahren erfolgen, was sie aber nicht durchsetzen konnte. Auch setzte sie sich dafür ein, dass an der Auswahl der Inhalte des theoretischen Unterrichts Krankenpflegerinnen beteiligt waren, da ihrer Meinung nach Ärzte nicht die richtige Grenze ziehen könnten, da „er eben Arzt und nicht Pflegerin ist und vor allem nicht Pädagoge"[5] (Karll zitiert von Kruse 1987, S.61).
Zusammenfassung
Laut Kruse ist durch die Gründung eines Berufsverbands durch Agnes Karll ein erster Ansatz von Professionalisierung der Pflege deutlich erkennbar (ebd. S.68), zumindest sind meiner Meinung nach ihre Bemühungen nach gerechter Bezahlung, das Streben nach Autonomie und die Forderung nach einer fundierten theoretischen Ausbildung Merkmale einer sich heranbildenden Profession. So kommen auch Ostner und Krutwa-Schott (1981) in ihrer Untersuchung der historischen Entwicklung des Krankenpflegeberufs zu dem Ergebnis, dass mit der Arbeit der Freien Schwestern der Beginn der Professionalisierung der Pflege markiert wird. Sie weisen aber darauf hin, dass es der Pflege wie anderen typischen Frauenberufen auch an Autonomie fehle und dass sie daher nicht über den Status einer Semi-Profession herauskommen könne, da „die weibliche Professionalisierung (...) nichts anderes als ein Kompromiss zwischen der weiblichen Seinserfüllung im Dienst für andere und den neuen Erfordernissen beruflicher, u.a. medizinischer Arbeit“ war (ebd. S.63).
Wenn der zu dieser Zeit noch sehr geringe Anteil des theoretischen Unterrichts in der...