»Man kann Prostitution nicht neben Kant stellen«, war die spontane Reaktion eines Lektors, als wir dem Verlag das Manuskript für dieses Buch vorstellten. Eine zuverlässige Kraft des Schreibbüros, mit dem wir seit Langem zusammenarbeiten, konnte sich nicht überwinden, die Interviews mit Prostituierten und deren Kunden abzutippen. Das erste und einzige Mal wurden wir von einer Tagung wieder ausgeladen, als wir erklärten, den raumtheoretischen Vortrag am Beispiel Prostitution halten zu wollen. Über Prostitution könne man in Berlin reden, so die Veranstalter, aber nicht in der Kleinstadt.
Nach wie vor gilt Prostitution als heikel, unanständig und (jugend)gefährdend. Sie wird isoliert, ausgegrenzt und in Städten an spezifische Orte verbannt. Schon ein Buch, eine Interview-Erzählung oder ein wissenschaftlicher Vortrag über Prostitution wird als unangemessen, abstoßend und potenziell verunreinigend für bisher prostitutionsfreie Kontexte wahrgenommen. Obwohl Prostitution in Deutschland heute legal ist und zunehmend akzeptiert wird, ist das Geschäft mit dem Sex gleichzeitig ein tabuisiertes und umstrittenes Phänomen des Sozialen geblieben, das lange Zeit auch kaum erforscht wurde. Aufbauend auf einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten ethnografischen Studie zur Prostitution in Frankfurt am Main,[1] möchten wir im vorliegenden Band die heute vielfach thematisierte, aber in ihrer gesellschaftlichen Relevanz noch immer eher unbekannte Grauzone Prostitution näher beleuchten.[2]
Im Zentrum der Analyse stehen dabei die sozialen Kategorien Raum und Geschlecht, die nicht nur das prostitutive Geschehen selbst, sondern auch seine Verwobenheit mit gesamtgesellschaftlichen Strukturen und Prozessen wesentlich bestimmen. Mit den Forschungsmethoden der ethnografischen Beobachtung, der Dokumentenanalyse, der Kartografie und des Interviews untersuchen wir die (Re-)Produktion räumlicher (An-)Ordnungen der Prostitution unter anderem in ihrer Verwiesenheit auf Geschlechterbeziehungen. Durch die gezielte Fokussierung auf räumliche Gegebenheiten im Feld der Prostitution können (oft unbewusste) soziale Prozesse verdeutlicht werden, in denen über raumbezogene Regularien, Handlungspraxen, symbolische Aufladungen und ihre materiellen Ausdrucksformen eine komplexe vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Praxis etabliert wird.
In den Blick kommen dabei auch Handlungs- und Wahrnehmungspraxen, in denen das Feld immer wieder als besonders problematisch erscheint, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass der (forschende) Zugang zu den Akteurinnen und Akteuren oft als besonders schwierig beschrieben wird: Prostituierte, Freier, Bordellbetreiber/-innen usw. öffnen sich in der Regel eher zurückhaltend nach außen, wie auch wir eindeutig feststellen konnten. Das eingangs skizzierte Problem, das Thema Prostitution in nicht prostitutive Umgebungen einzubringen, spiegelt sich hier umgekehrt darin wider, dass Forschende oft den Eindruck haben, es sei schwer bis unmöglich, überhaupt Einblicke ins Feld zu bekommen.
Die Feldforschung, die Renate Ruhne – in weiten Teilen gemeinsam mit Christiane Howe – durchgeführt hat, erforderte deshalb ein großes Engagement und ein sehr flexibles Vorgehen. Feldspezifische Arbeitsrhythmen machten es notwendig, Interviews oft sehr spontan und teilweise spätnachts zu führen, vereinbarte Termine wurden kurzfristig verschoben oder fielen ganz aus. Immer wieder stießen wir – und dies keineswegs nur im Feld selbst, sondern zum Beispiel auch auf Behördenseite und im Kontakt mit Beratungsstellen – auf eine deutliche Skepsis und eine nur vorsichtige Öffnung, die im Allgemeinen als Ausdruck einer besonderen Problemsituation im Feld gedeutet werden. In der vertieften Auseinandersetzung mit der Prostitution erkannten wir jedoch bald, dass sich Skepsis und Zurückhaltung wesentlich durch die bis heute andauernde gesamtgesellschaftliche Brisanz des Themas erklären lassen, die – vermittelt unter anderem über eine reißerische Medienberichterstattung – oft mit einer Stigmatisierung des Feldes und so auch mit Stigmatisierungsängsten der im Feld aktiven Personen einhergeht. Deutlich wurde auch, dass die zunächst oft ablehnende Grundhaltung zum Teil schlicht mit der Befürchtung zu tun hatte, wir könnten mit einem feldunerfahrenen Verhalten möglicherweise den reibungslosen Ablauf eines in besonderem Maße auf Diskretion bedachten Dienstleistungsgewerbes stören. Auf eine ähnliche Grundhaltung hätten wir auch stoßen können, wenn wir uns anderen, streng auf Diskretion bedachten Arbeitsfeldern zugewandt hätten, in denen die Anonymität der Kunden von besonderer Bedeutung ist.?
Die Basisannahme, die wir im Buch weiter ausführen werden, geht davon aus, dass Prostitution durch zahlreiche, größtenteils subtile Mechanismen der Ausgrenzung in der öffentlichen Wahrnehmung als ein Feld des »Anderen« und des »Anormalen« (re)produziert wird. Erreicht wird dies wesentlich über abgrenzende Konstruktionen einer »normalen Welt« mit »normaler Sexualität« und einem »normalen Verhältnis der Geschlechter«. Räumlich findet das Andere seinen Ausdruck insbesondere in eigenen, »anderen« Quartieren wie den in zahlreichen Städten verbreiteten Rotlichtvierteln. Eine akzeptierende Auseinandersetzung mit dem Feld wird so – trotz juristischer und moralischer Verschiebungen – verhindert bzw. erschwert.
Im Einzelnen erwartet den Leser bzw. die Leserin: Nach der Einleitung gehen wir zunächst auf wesentliche Eckpunkte des Forschungs- und Erkenntnisstandes zur Prostitution in Deutschland (Kapitel 2) sowie auf grundlegende Informationen zur Situation in Frankfurt am Main ein (Kapitel 3). Im Anschluss folgen Ausführungen zur forschungsmethodologischen und methodischen Anlage der Untersuchung (Kapitel 4).
In der empirischen Analyse erläutern wir dann am Beispiel des Frankfurter Bahnhofsviertels, wie die räumliche Produktion des Anderen funktioniert (Kapitel 5). Anhand von Medienberichten kann eine zwischen 1960 und 1990 in Frankfurt am Main zu beobachtende, bisher aber kaum beachtete räumliche Verlagerung der Sexarbeit – und das heißt vor allem der Sexarbeiterinnen – ins Innere geschlossener Häuser nachgezeichnet werden, die wir als eine Form der Verhäuslichung interpretieren. Sie hat die Wahrnehmung des Feldes in Frankfurt deutlich verändert und zu Machtverschiebungen innerhalb der verschiedenen beteiligten Gruppen des Feldes geführt. So wurde zum Beispiel die Bordellprostitution gestärkt, was für die Prostituierten mit Vor- und Nachteilen verbunden ist (eigenständige Anmietung der Zimmer versus Etablierung anonymer Großbetriebe z.?B.), vor allem aber zu ihrer heute weitgehenden Unsichtbarkeit beiträgt – und dies nicht nur auf den Straßen des Bahnhofsviertels. Auch die mediale Berichterstattung verliert im Zuge der Verhäuslichung die handelnden Sexarbeiterinnen zunehmend aus den Augen und konzentriert sich in der Folge, wenn überhaupt, auf die politisch aktiven Frauen der Selbsthilfegruppen und der unterstützenden Parteien. Ebenso verschwinden die Kunden mehr und mehr aus dem öffentlichen Blick. Auch »Zuhälter« werden kaum noch thematisiert. Im Feld arbeitende, nicht selbst der Prostitution nachgehende Männer sind jetzt Bordellbetreiber und Wirtschafter in den Häusern.
Durch die Umstrukturierung der Sexarbeit in ein Gewerbe, in dem Bordelle nach dem Vorbild von Hotels geführt werden, lässt sich zwar eine Professionalisierung und zunehmende Eigenständigkeit der hier arbeitenden Frauen erkennen (insbesondere die Unabhängigkeit von Zuhältern durch das selbständige Anmieten der Zimmer), gleichzeitig wird diese Form der Professionalisierung aber auch immer wieder konterkariert. So entstehen Professionalisierungsbrüche zum Beispiel dadurch, dass eine arbeitsrechtliche Strukturierung des Gewerbes bis heute fehlt und sich durch die teilweise starke Fluktuation in den Häusern kaum selbstorganisierte Einarbeitungsstrukturen unter den Prostituierten etablieren können. Bordellbetreiber/-innen übernehmen in der Frage der Professionalisierung oftmals eine ambivalente Rolle: Einerseits unterstützen sie die Bestrebungen der Frauen nach einer selbstbestimmten, anerkannten und legalen Arbeit im Sexgewerbe (etwa durch die Vermittlung von Steuerberatern), andererseits bieten die geschlossenen Häuser allerdings auch zahlreiche Möglichkeiten, um die hier arbeitenden Frauen etwa stärker zu kontrollieren, wodurch die Macht der Bordellbetreibenden potenziell zunimmt. In einem umfassenden Arrangement öffentlicher und feldinterner, stets aber machtdurchdrungener Aushandlungsprozesse werden Räume der Prostitution so immer wieder neu verhandelt – wobei das Feld der Prostitution als ein »Feld des Anderen« bestätigt wird.
Schon der Umstand, dass das Prostitutionsgeschehen auf einzelne städtische Areale konzentriert ist, weist die Sexarbeit als einen ausgelagerten und damit »anderen« Bereich des Sozialen aus. Verknüpft hiermit ist jedoch noch eine weiter gehende emotionale Markierung der Prostitution als ein Feld des »Anderen«. Am Beispiel des Frankfurter Bahnhofsviertels geht Kapitel 6 zunächst auf eine in der Forschung deutlich werdende »Aufladung« der Räume der Prostitution mit Gefühlen von Angst und Unsicherheit ein, durch die die Grenze zwischen einer »Normalität« und einer (auch ohne konkrete Gefahrenlage) als gefährlich wahrgenommenen »Anormalität« des Feldes körperlich spürbar (re)produziert wird.
Gerade die Raum-Gebundenheit der Gefühle – und das heißt ihre weitgehende Unabhängigkeit von konkreten Personen und...