15 Kapitel 1
Der Klimawandel – Fakten und Bewertungen
1. Einleitung
Der Begriff »Klimawandel« ist in aller Munde. Manche halten diesen Wandel für die größte Zukunftsherausforderung überhaupt, andere für eine maßlose Übertreibung. Selten hat ein naturwissenschaftliches Phänomen für derartige Zwiespältigkeiten gesorgt. Während wir im Allgemeinen den Einschätzungen einer breiten Mehrheit von Naturwissenschaftlern vertrauen, wie sie der IPCC hinsichtlich des Klimawandels vorgestellt hat, sind Zweifel an diesem speziellen Votum an der Tagesordnung. Zu Beginn eines Buches über Klimaethik muss ich mich daher als naturwissenschaftlicher Laie auf unbekanntes Terrain vorwagen und versuchen, die umstrittenen Fakten darzustellen und zu bewerten. Es soll ein tragfähiges Fundament für unsere ethischen Überlegungen vorgetragen werden. Das Feld ist so vermint, dass die Autoren des Wissensmagazins Scinexx meinen: »Selbst vorgebildeten Laien oder teilweise sogar Forschern ›vom Fach‹ fällt es unter Umständen schwer, diesen Wust aus Fakten, Fehlschlüssen und Behauptungen auseinander zu sortieren.«?[1]
Hier soll die schwierige Diskussionslage hinsichtlich der Belege für einen anthropogenen Klimawandel mit bedrohlichen Folgen veranschaulicht werden, um dann mit ethischen Überlegungen darauf zu reagieren. Wie wir sehen werden, sind die ethischen Überlegungen mitunter ein Stück weit von den konkreten Faktenanalysen unabhängig. Das macht die ethische Diskussion erfreulicherweise unabhängig von möglichen Fehlern in der Beurteilung von faktischen Einzelfragen. Was im Kern unserer ethischen Überlegungen stehen wird, sind die in Abschnitt 1.7 diskutierten »Worst-Case-Szenarien« beziehungsweise die Theorie der Tipping-Points insgesamt. Darin werden aus den in Kapitel 4.3 dargelegten ethischen Gründen die wichtigsten faktischen Orientierungspunkte gesehen.
Ich habe mir erlaubt, nach jedem Abschnitt des ersten Kapitels 16ein bewusst persönlich gehaltenes Fazit zu ziehen, das sicher angreifbar ist, aber meine Einschätzung der Sachlage ausdrückt. Ich formuliere persönlich, da ich kein Klimaforscher bin und daher nie den Grad an Gewissheit erreichen kann, der nötig wäre, um zum Beispiel zu sagen: »Was die Klimaskeptiker oder der IPCC behaupten, ist definitiv widerlegt.« Das ist meiner Position als Philosoph geschuldet, also meinem »epistemischen Standpunkt«.
2. Der Treibhauseffekt
Der Mechanismus, mit dem man den von Menschen verursachten Anteil des Klimawandels erklärt, ist der Treibhauseffekt, der kurz auf Grundlage der Beschreibungen des IPCC und anderer Quellen referiert werden soll. CO2 und andere Treibhausgase (Methan, Lachgas und andere) steigen in die Atmosphäre auf und verweilen dort lang anhaltend. Bei CO2 lässt sich keine definitive Verweildauer angeben. Man rechnet aber laut IPCC damit, dass mehr als 50 Prozent in rund 100 Jahren abgebaut werden, während bis zu 20 Prozent Jahrtausende verweilen könnten. Bei Methan sind rund acht Jahre Verweildauer realistisch.?[2] Diese Treibhausgase lassen die Sonnenstrahlung passieren. Sie trifft auf die Erde und wird zeitverzögert als langwellige Wärmestrahlung von der Erde wieder abgestrahlt. Die Treibhausgase lassen diese von der Erde zurückgestrahlte Wärme nicht ungehindert in das All austreten, sondern sie absorbieren die Strahlung zum Teil und strahlen sie in alle Richtungen gleichmäßig wieder ab. Ähnlich wie das Dach eines Treibhauses reflektieren sie einen Teil der aufsteigenden Wärme zurück zur Erde, was dort zu einem »Wärmestau« führt. Nahe der Erdoberfläche findet sich also die neu eintreffende Sonnenstrahlung plus der von den Treibhausgasen zurückgestrahlten Strahlung. Die Erde wird durch diese Wirkung der Treibhausgase wärmer.
Der Treibhauseffekt ist ein natürlicher Vorgang und es gibt von je her Treibhausgase in der Atmosphäre. Wir verdanken der durch sie hervorgerufenen Erwärmung, dass die Erde ein lebensfreundlicher Ort ist. Ohne den Treibhauseffekt würde die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche minus 18 Grad Celsius betragen, 17mit dem natürlichen Treibhauseffekt beträgt sie plus 15 Grad.?[3] Nun emittieren die Menschen aber immer mehr Treibhausgase, die lange in der Atmosphäre verweilen. Damit und durch die Zerstörung von CO2-Senken (zum Beispiel Wäldern) wird die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre und damit der natürliche Treibhauseffekt verstärkt. Welche Macht dieser Effekt hat, zeigt sich schon an den 33 Grad Temperaturdifferenz, die er, wie gerade erwähnt, auf der Erde ausmacht. Auf der Venus beträgt die mittlere Temperatur an der Oberfläche 460 Grad Celsius. Das verdankt sie unter anderem einer Atmosphäre, die zu 96 Prozent aus CO2 besteht.?[4] Diese Fakten machen den Einfluss gesteigerter CO2-Emissionen deutlich.
Zwar emittieren Menschen und Vulkane?[5] auch Aerosole (Schwefelpartikel), die kühlend auf das Weltklima wirken, aber das hebt die Wirkung des anthropogenen Treibhauseffekts nicht auf. Aerosole verweilen nur kurzzeitig in der Atmosphäre und das Verhältnis von Aerosolen zu Treibhausgasen wird von den Klimamodellen des IPCC natürlich berücksichtigt.
Das ist die Theorie des Treibhauseffekts, die ein wichtiger Bestandteil der Aussagen der Klimaforscher ist. Auch wenn manche Messungen von Klimadaten uneinheitlich ausfallen würden, könnte man argumentieren, dass über den bekannten Treibhausmechanismus jedenfalls eine Erderwärmung stattfinden muss. Für den Mechanismus sprechen nach Rahmstorf und Schellnhuber empirische Belege in der Klimageschichte. Größere Eisvorkommen auf der Erde fallen demnach mit Zeiten niedriger CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre zusammen, Zeiten hoher CO2-Konzentration mit Zeiten weitgehender Eisfreiheit.?[6] Es gab zudem vor 55 Millionen Jahren offenbar schon einmal eine Reaktion des Klimas auf eine massive Kohlenstoff-Freisetzung (PETM), die einen Temperaturanstieg um mindestens sechs Grad Celsius bewirkte.?[7]
Das Fazit, das etwa Rahmstorf und Schellnhuber daraus ziehen, lautet: »Die Klimageschichte ist ein sensibles System, das in der Vergangenheit schon auf recht kleine Änderungen in der Energiebilanz 18empfindlich reagiert hat. ?[…] Das Klima ist kein ›träges Faultier, sondern gleicht einem wilden Biest‹, wie es der bekannte amerikanische Klimatologe Wallace Broecker einmal formulierte.«?[8]
Gehen wir nun die einzelnen Kritikpunkte der Skeptiker an den Befunden und Prognosen des IPCC durch, um uns einen Überblick zu verschaffen. Dabei kann es durchaus sein, dass den Klimaskeptikern zu viel der Ehre erwiesen wird. Sie bilden eine extreme Minderheitenfraktion, die in sich widersprüchliche Dinge behauptet (»Es gibt keine Erderwärmung«, »Es gibt eine, aber sie ist nicht anthropogen« usw.). Es muss sogar gefragt werden, ob diese skeptischen Diskussionsbeiträge nicht absichtsvoll von gesellschaftlichen Gruppen lanciert werden, die ihre Profitinteressen schützen wollen. Luhmann und Rahmstorf haben in diese Richtung argumentiert und es gibt Studien, die dies belegen.?[9] Allerdings werden solche »ideologiekritischen« Überlegungen hier zurückgestellt. Es wird sich nämlich zeigen, dass die Skeptiker auch dann nicht überzeugen können, wenn man ihre Beiträge vollständig ernst nimmt.
3. »Es gibt keine Erderwärmung«
3.1 Klimageschichte
Die Klimaskeptiker haben sich zum Beispiel in der Gesellschaft ICECAP (International Climate and Environmental Change Assessment Project)?[10] zusammengeschlossen. Dort gibt es Vertreter 19der These, dass eine besondere Erderwärmung nicht stattgefunden habe beziehungsweise stattfinde. Ein Argument dafür: Der Vergleichsmaßstab sei falsch gewählt. Heute würden wir das vorindustrielle Niveau mit dem nachindustriellen Niveau vergleichen. Das sei aber eine viel zu enge Vergleichsspanne, wie etwa der Physiker Richard Muller meint.?[11] Wenn man diese Spanne auf die letzten 11 000 Jahre ausdehne, sei keine besondere Erwärmung festzustellen.
Das führt auf das komplexe Feld der Klimageschichte. Wie sah unser Klima früher aus und welche Schlüsse lässt das auf heute zu? Problematisch ist, dass wir genaue Aufzeichnungen von Klimadaten über solche langen Zeiträume nicht haben, uns also mit indirekten Schlüssen begnügen müssen. Wir sind auf die Analyse von Eiskernen, Baumringen, Gebirgsgletschern angewiesen. Der von Muller vorgeschlagene Vergleichsrahmen umfasst in etwa das sogenannte Holozän, die erdgeschichtliche Epoche, in der wir heute noch leben. Dieses Zeitalter zeichnet sich durch ein relativ warmes und stabiles Klima aus.
Der IPCC kontert die Argumente von Muller, MacDonald und anderen damit, dass es im Holozän nie höhere Jahresdurchschnittstemperaturen als heute gab: »Bis vor 2000 Jahren sind Temperaturschwankungen zwar nicht systematisch in globalen Mittelwerten zusammengefasst worden, aber sie liefern keinen Beleg dafür, dass es während des Holozäns höhere globale Jahresdurchschnittstemperaturen gab als heute.«?[12] Zudem gibt es dem IPCC zufolge seit 650 000 Jahren heute den höchsten CO2-Gehalt in der Atmosphäre: »Die...