1 Kinderwunsch und Mutterschaft
Speziell zum Thema Kinderwunsch und Mutterschaft bei psychisch kranken Frauen gibt es kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Aus den wenigen Studien weiß man, dass bestimmte Erkrankungen, die einen schweren Verlauf haben – wie etwa die Schizophrenie – mit einer geringeren »Fertilität« einhergehen, das heißt, dass Frauen mit solchen Erkrankungen seltener Kinder haben. Dabei spielen allerdings die nicht seltenen Folgeerscheinungen der Erkrankung eine wesentliche Rolle; das sind die sogenannten Residualzustände, das heißt bleibende Einschränkungen hinsichtlich Belastbarkeit und allgemeinem Funktionsniveau. Aber auch bei solchen Erkrankungen hat sich der Umgang mit Kinderwunsch und Mutterschaft in den letzten Jahren gewandelt, was nicht zuletzt mit den besseren Behandlungsmethoden und den nebenwirkungsärmeren Medikamenten zu tun hat.
Insgesamt hat sich in den westlichen Ländern das Alter, in dem Frauen erstmals Kinder bekommen, in den letzten Jahrzehnten deutlich nach oben verschoben; mittlerweile liegt das Alter von Erstgebärenden bei etwa 30 Jahren. Die Familienplanung wird oft ganz gezielt vorgenommen; zunächst standen Ausbildung bzw. Studium und das berufliche Fortkommen bei beiden Partnern im Vordergrund; die Entscheidung für ein Kind erfolgt schließlich ganz bewusst. Die Frauen sind dann nicht selten bereits Mitte 30 – die »biologische Uhr beginnt zu ticken«, was durchaus einen gewissen Druck erzeugen kann. In dieser Altersspanne haben sich die meisten psychischen Erkrankungen bereits bemerkbar gemacht, die erste oder auch mehrere schwere Krankheitsepisoden waren zu bewältigen. Dann stellt sich für betroffene Frauen und ihre Partner die Frage, welchen Einfluss eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes haben können und ob die Frau den Belastungen der Mutterschaft gewachsen sein wird. Insbesondere wenn Medikamente einzunehmen sind, wirft dies viele Fragen auf und verunsichert. Gerade vor diesem Hintergrund beschäftigen sich Frauen mit psychischen Erkrankungen oftmals sehr intensiv mit dieser Frage und machen sich die Entscheidung nicht leicht.
Allgemein kann aus der Sicht der Autoren zum Thema Kinderwunsch gesagt werden, dass sich die Motivation für ein Kind bzw. für den Kinderwunsch bei Frauen mit psychischen Erkrankungen und ihren Partnern nicht unterscheidet von der Kinderwunschmotivation anderer Paare. Für manche ist es ein sehnlicher Wunsch, weil für sie ein Kind auf jeden Fall zu einer Partnerschaft dazugehört. Manche Frauen haben sich schon immer eine große Familie gewünscht, manchmal ist es auch der Partner, der den größeren Kinderwunsch hat. Manche Paare können sich vorstellen, sich auf Kinderlosigkeit einzulassen, falls es nicht spontan klappt. Für andere ist der Kinderwunsch so wichtig, dass sie sogar eine Kinderwunschbehandlung in Erwägung ziehen. Und manche Betroffene entscheiden sich schließlich nach reiflicher Überlegung doch gegen ein Kind. All dies sind Szenarien, wie sie auch bei psychisch gesunden Paaren vorkommen; erschwert werden die Überlegungen allerdings durch Sorgen und Befürchtungen wegen möglicher Einflüsse auf den Krankheitsverlauf und vor allen Dingen nicht auszuschließende Folgen einer Medikamenteneinnahme auf das ungeborene Kind.
Werde ich der Versorgung/Erziehung eines Kindes gewachsen sein?
Auch dies ist eine Frage, die die meisten Frauen beschäftigt, wenn sie sich dazu entschließen, schwanger zu werden oder eine Schwangerschaft feststellen. Sogar psychisch gesunde Frauen, die selbstbewusst und beruflich erfolgreich und mit ihrem Wunschkind schwanger sind, werden plötzlich unsicher, ob sie sich das alles zutrauen können, ob sie eine gute Mutter sein werden, ob sie mit diesem veränderten Leben zurechtkommen werden, ob sie »alles unter einen Hut kriegen« werden. Insofern ist es ganz selbstverständlich, dass auch Frauen mit einer psychischen Vorerkrankung solche Gedanken haben. Bei ihnen kommen dann noch Überlegungen hinzu, was denn wohl sein mag, wenn eine erneute Krankheitsepisode auftritt, wenn vielleicht sogar ein stationärer Aufenthalt erforderlich ist – nicht nur im Zusammenhang mit der Entbindung. Und nicht zuletzt bewegt die Frage, ob die Belastungen der Versorgung und Erziehung eines Kindes nicht zu viel sein werden, vielleicht aufgrund der Erfahrung, dass die Belastbarkeit im Rahmen der Berufstätigkeit schon oft an die persönlichen Grenzen geführt hat.
Solche Fragen sind sinnvoll und sollten insbesondere bei denjenigen Erkrankungen ernsthaft diskutiert werden, die bereits lange bestehen, mit vielen Krankheitsepisoden einhergegangen sind und bei denen es vielleicht lange gedauert hat, bis die betroffene Frau ihre alte Leistungsfähigkeit wieder erreicht hat. Wenn man sich eingestehen muss, dass die Krankheit doch Folgeerscheinungen mit sich gebracht und dauerhafte Einschränkungen in der Belastbarkeit, dem Selbstvertrauen und der allgemeinen Funktionsfähigkeit hinterlassen hat, wird die Frage zu entscheiden sein, ob dies zum Verzicht auf ein Kind führen muss oder ob der Wunsch nach Familie doch zu realisieren ist, indem man Unterstützungsmaßnahmen in Anspruch nimmt.
Gibt es das Risiko, dass ich die Erkrankung an mein Kind weitergebe?
Diese Frage stellen sich fast alle Eltern, sobald einer der Elternteile an einer psychischen Erkrankung leidet. Pauschal kann man sagen, dass psychische Erkrankungen in der Regel mit einer gewissen »Vulnerabilität« einhergehen. »Vulnerabilität« meint eine »Empfindlichkeit«, in bestimmten Stress- oder Lebenssituationen krank zu werden. Grundsätzlich können alle Menschen psychisch krank werden, die Empfindlichkeit (Vulnerabilität) der Einzelnen ist aber unterschiedlich. Soweit wir heute wissen, gibt es biologische Anteile an dieser Vulnerabilität, also eine »Veranlagung« zur Erkrankung, die mit den komplizierten Stoffwechselvorgängen im Gehirn zu tun hat. Eine familiäre Belastung mit psychischen Erkrankungen erhöht das Risiko einer Erkrankung. Wenn also die eigenen Eltern oder Großeltern erkrankt sind, dann hat man selbst ein etwas höheres Erkrankungsrisiko als andere Menschen. Und wenn man selbst krank ist, erhöht das wiederum das statistische Risiko beim eigenen Kind. Ob sich dieses Risiko allerdings deutlich erhöht oder nur um wenige Prozentpunkte, kann letzten Endes nur eine humangenetische Beratung für den Einzelfall ergeben, bei der dann die eigene Vorgeschichte, aber auch die Krankheitsgeschichte der Familie berücksichtigt wird.
Vernachlässigen darf man bei diesen Überlegungen nicht, dass die »Veranlagung« nur ein Teil der Verursachung ist, bei manchen Erkrankungen sogar einen sehr geringen Anteil ausmacht. Umgebungsfaktoren, die aktuelle Lebenssituation, Belastungen und Stresssituationen, aber auch Einschränkungen in der Fähigkeit, damit umzugehen (»Coping-Mechanismen«, bzw. Bewältigungsstrategien) sind ebenfalls von Bedeutung und möglicherweise der Grund dafür, dass gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt, aus einer bestimmten Lebenssituation heraus eine psychische Erkrankung ausbricht.
Fazit: Es gibt keine klare Vorhersagbarkeit bezüglich einer möglichen Erkrankung des Kindes. Außerdem arbeiten genetische und psychiatrische Wissenschaftler auf Hochtouren daran, entsprechende Mechanismen herauszufinden und vielleicht auch vorbeugende, also präventive Konzepte zu entwickeln. Das Wichtigste, was Betroffene in dieser Hinsicht tun können, ist an ihrer eigenen psychischen Stabilität zu arbeiten, zum Beispiel durch die regelmäßige Einnahme von vorbeugenden Medikamenten und/oder die Inanspruchnahme von Psychotherapie, um die eigenen Bewältigungsstrategien und die Belastbarkeit zu verbessern und so auch entsprechende Verhaltensweisen und Einstellungen an ihr Kind weiterzugeben. Je selbstbewusster und psychisch stabiler ein Kind aufwächst, umso bessere Chancen hat es, trotz einer gewissen Veranlagung später nicht krank zu werden.
Welche Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten kann ich in der Schwangerschaft und danach in Anspruch nehmen?
Die Frage von Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten sollte spätestens mit Beginn der Schwangerschaft gestellt werden, besser noch vorher – soweit es sich um eine geplante Schwangerschaft handelt. Es gibt eine Vielzahl von unterstützenden Maßnahmen über die partnerschaftliche und familiäre Unterstützung hinaus. Bei Schwangerenberatungsstellen (z. B. Caritas, Diakonie, donum vitae, pro familia, SkF) kann man sich über Hilfsmöglichkeiten informieren, ebenso bei der Krankenkasse (Haushaltshilfe) oder beim Jugendamt (Familienhebamme). In manchen Städten haben sich in den letzten Jahren unter dem Stichwort »Frühe Hilfen« Netzwerke gebildet, die über Unterstützungsmöglichkeiten...