II. Basis-Interventionen für die Arbeit mit Bezugspersonen und Familien
1. Der Beginn der Elternarbeit
In Eltern- und Familiensitzungen vermittle ich den Beteiligten – im Sinne einer psychotherapeutischen Grundeinstellung –, dass wir davon ausgehen, dass nahezu alle Eltern versuchen, ihr Bestes zu geben. Es gibt kaum Eltern, die ihren Kindern ganz bewusst und absichtlich schaden wollen. Bezugspersonen sind nur manchmal in einer Sackgasse angelangt und ratlos, wie sie ihrem Kind helfen können. Deshalb suchen wir nicht nach Schuld, sondern nach Auswegen. Dafür werden Ressourcen gesucht und genutzt, statt auf Probleme fixiert zu bleiben. Hier ein Vorschlag, wie Sie diese Haltung Eltern vermitteln können.
Psychotherapieinformation für Eltern und Bezugspersonen
Sie haben einen Psychotherapeuten aufgesucht, weil Sie und Ihr Kind fachliche Unterstützung benötigen. Das heißt nicht, dass Sie oder Ihr Kind versagt haben, sondern nur, dass Umstände eingetreten sind, für die Sie, Ihre Familie, Ihr Kind professionelle Hilfe benötigen, weil Sie selbst vielleicht nicht mehr weiterwissen. Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass wir bei Ihnen oder Ihrem Kind nach »Schuld« suchen werden. Wir gehen davon aus, dass Eltern in der Regel versuchen, ihr Bestes zu geben und keine absichtlichen Fehler machen. Wir werden nach neuen Wegen suchen, wie Sie alle aus der momentanen Sackgasse herauskommen können. Dabei werden wir die Fähigkeiten aller Beteiligten zu nutzen versuchen. Deshalb benötigen wir zunächst sowohl Informationen vom Kind als auch von den Bezugspersonen. Diese mündliche und schriftliche Informationssammlung (Fragebögen, Tests, Selbstbeobachtungslisten usw.) und das gegenseitige Kennenlernen wird etwa fünf bis acht Termine beanspruchen. Anschließend werden wir gemeinsam die Therapieziele, den Behandlungsplan und die voraussichtliche Therapiedauer besprechen. In einem schriftlichen Gutachten werde ich dann die Genehmigung der Psychotherapie durch die Krankenkasse beantragen. Sobald diese Genehmigung vorliegt, können wir die Therapie beginnen. Die begleitende Behandlung von Bezugspersonen kann in einem Verhältnis von etwa 1:4 oder auch häufiger erfolgen. Je jünger das Kind ist, desto häufiger werden die Bezugspersonen bei dem Termin dabei sein, weil kleinere Kinder noch sehr viel abhängiger von ihren Eltern sind. Bei älteren Kindern werden die Eltern nur ab und zu dazugebeten. Die Termine werden ein- bis zweimal pro Woche stattfinden. Möglicherweise werden verschiedene Übungen auch in der natürlichen Umgebung durchgeführt werden. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Kind eine gute Zusammenarbeit mit Ihrem/r Therapeuten/in.
Bezugspersonensitzungen – Beantragung und Genehmigung
Bei der Beantragung von Bezugspersonensitzungen ist es wichtig, dass auch deren Notwendigkeit begründet wird, z. B. im Sinne unzureichender familiärer Bedingungen. Familiäre Bedingungen können in mehrfacher Hinsicht unzureichend oder unangemessen sein. Hier eine Auswahl von Zusatzdiagnosen.
Auswahl von Zusatzdiagnosen (Familie und Bezugspersonen betreffend)
- Mangel an Wärme in der Eltern-Kind-Beziehung
- Disharmonie in der Familie zwischen Erwachsenen
- Feindliche Ablehnung oder Sündenbockzuweisung gegenüber dem Kind
- Körperliche Kindesmisshandlung
- Sexueller Missbrauch
- Psychische Störung eines Elternteils
- Inadäquate oder verzerrte intrafamiliäre Kommunikation
- Elterliche Überfürsorge
- Unzureichende elterliche Aufsicht und Steuerung
- Erziehung, die eine unzureichende Erfahrung vermittelt
- Unangemessene Forderungen oder Nötigungen
- Lebensbedingungen mit möglicher psychosozialer Gefährdung 11
(vgl. Borg-Laufs, 2010, S. 35, und Görlitz, 2011a)
Je nach Ausprägungsgrad muss bei den aufgeführten Problemen der primäre Ansatzpunkt im unangemessenen elterlichen Verhalten gesehen werden.
In den Psychotherapievereinbarungen, gültig ab 1.1.1999 Teil C, § 11 Punkt 9 und 10, wird das Verhältnis zwischen kindzentriertem Vorgehen und eltern- bzw. familienzentrierten Vorgehen geregelt.
(§ 11, 9) »Bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ist es häufig notwendig, Gespräche unter psychodynamischen bzw. verhaltenstherapeutischen Gesichtspunkten zur Einbeziehung von Bezugspersonen in das Therapiekonzept zu führen. In der Begründung zum Antrag ist anzugeben, ob und in welchem Umfang eine solche Einbeziehung der Bezugspersonen als notwendig angesehen wird. Die für diese Einbeziehung vorgesehene Stundenzahl soll ein Verhältnis von 1:4 zur Stundenzahl des Patienten möglichst nicht überschreiten. Die in diesem Verhältnis für die Einbeziehung der Bezugspersonen bewilligte Stundenzahl ist der Stundenzahl für die Behandlung des Patienten hinzuzurechnen. Ist eine höhere Stundenzahl für die Einbeziehung der Bezugspersonen therapeutisch geboten, ist dies zu begründen. Wird hierfür eine höhere Stundenzahl bewilligt, so reduziert sich die Stundenzahl für die Behandlung des Patienten entsprechend. Stellt sich im Verlauf der Einbeziehung von Bezugspersonen heraus, dass eine Psychotherapie der Bezugsperson notwendig ist, bedarf es dafür eines eigenen Antrags.«
(§ 11,10) »Soll die Einbeziehung der Bezugsperson bzw. Bezugspersonen in Gruppen durchgeführt werden, darf ein Verhältnis 1:2 zur Stundenzahl des Patienten nicht überschritten werden. Die genehmigten Doppelstunden für die Gruppenbehandlung werden der Stundenzahl für die Behandlung des Patienten hinzugerechnet.«
In Ihrem Kassenantrag können Sie z. B. unter dem Punkt Behandlungsplan bei der Beantragung von eltern- und familienzentrierten Zielen und Methoden Folgendes schreiben:
Beispiele für ergänzende Bezugspersonen-Methoden
- Analyse des Familiensystems (z. B. Interaktionsbeobachtung mittels Videoanalyse, Übung: Familiensoziogramm usw.)
- Verbesserung der familiären Kommunikation (z. B. Kommunikationstraining, Übungen: Freundlichkeitsgesten, Mein inneres Kind* usw.)
- Aufbau familiärer Konfliktbewältigungsstrategien (z. B. Rollenspiele, Problemlösetraining, Übungen: Familienkonferenz, Richtig loben, Kritik in Wünsche und Lösungen verwandeln usw.)
- Erarbeitung von Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern zur Symptomüberwindung. Abbau des sekundären Krankheitsgewinns, Abbau von elterlicher Kontrolle, Förderung des Ablösungsprozesses (z. B. Partnersitzungen, Information: Psychosoziale Entwicklung, Leitfaden: Erziehung, Information: Förderliche Erziehungshaltungen in der Pubertät, Übungen: Mein Wunschkind, Kräfte messen)
- Mobilisierung und Erweiterung von Ressourcen (Übung: Kraftquellen für die Familie, Blick auf das Positive, Verstärkerliste usw.)
Elternarbeit
Schmelzer (1999) hat störungsübergreifende Elemente der Elternarbeit zusammengestellt. Diese können sowohl für die begleitende Elternarbeit als auch zur Festlegung von Schwerpunkten eines Elterntrainings herangezogen werden (Seite 385). In Klammern finden Sie eine Auswahl der in diesem und im ersten Band dargestellten zu den einzelnen Punkten passenden möglichen Interventionen.
Vermittlung von Prozessfertigkeiten
- Wahrnehmungs- und Beobachtungsübungen (z. B. Selbstbeobachtungsliste*)
- Vermittlung und Anwendung von Problemlöseschritten (z. B. Problemtopf*)
- Einübung von Kommunikations- und Konfliktlösestrategien (z. B. Familienkonferenz)
- Selbstregulation und Selbstmanagement von Eltern und Erziehungsfunktionen (z. B. Verstärkerprogramm, Wutvulkan)
Vermittlung besonderer inhaltlicher Schwerpunkte
- Informationsvermittlung (z. B. Erziehungsstile, Störungsinformationen*)
- Verhaltens- und Bedingungsanalyse kritischer Erziehungssituationen
- Zielgerichteter, systematischer Einsatz von Erziehungsmitteln (z. B. Informationen: Entwicklungsziele, Richtige Zuwendung, Pubertät)
- Transfer-Training und Vorbereitung auf potenzielle künftige Problem- und Krisensituationen (z. B. Selbstsicherheitsübungen*)
- Allgemeine Ziel- und Wertklärung (z. B. Wertehierarchie von Erziehungszielen)
- Diskussion konkreter Erziehungsziele und -methoden (z. B. Familiensoziogramm, Wirksame Erziehersätze)
- Biographie-Arbeit in Bezug auf Erziehung und Sozialisationsgeschichte (z. B. Lebensspuren, Elternvorstellung, Familienbotschaften, in Görlitz, 2011b)
- Stressbewältigung und aktive Psychohygiene (z. B. Energiequellen)
- Zeitmanagement (z. B. Eine Stunde Elternzeit, Grundbedürfnisse, Anleitung für die seelische Basisversorgung von Kindern)
- Emotionale Unterstützung beim Akzeptieren unabänderlicher »Tatsachen« (z. B. Gefühlstrostsätze)
- Aufmerksamkeit auf Stärken und Ressourcen lenken (z. B. Blick auf das Positive, Mein inneres Kind*, Was ich alles kann*)
- Positive Eltern/Kind- bzw. Familieninteraktionen fördern (z. B. Freizeitrad)
- Förderung elterlichen Eigenlebens (z. B. Kraftquellen für die Familie)
- Soziales Netzwerk knüpfen und ausbauen...