Vorwort
Der amerikanische Westen war immer, schon vor 200 Jahren, nicht so sehr eine geographische Größe, sondern vielmehr ein Lebensgefühl, ein geistiger Zustand, ein soziales Phänomen – immer ein Faktor zwischen Realität und Illusion.
Spät erforscht und dann stürmisch in Besitz genommen, regte er schon im 18. und 19. Jahrhundert die Phantasie nicht nur der Amerikaner, sondern auch der restlichen Welt an. Daran hat sich – wenn auch unter anderen Blickwinkeln – nichts geändert.
Der amerikanische Westen galt – und gilt in gewissem Maße noch heute – als ein Land der Verheißung; „the Promised Land“, wie schon im 19. Jahrhundert gesagt wurde. Im Westen scheint der Himmel größer und näher. Der Blick schweift weit. Der Mensch bekommt das Gefühl, dass es keine Grenzen mehr gibt. Von diesem Land geht eine inspirative Kraft aus, die damals wie heute Energien freisetzt, aber auch Verlockungen, die teils Wunschdenken sind, teils Bedrohungen. Im Westen war Raum für jeden, nicht nur physisch, auch mental, der stark genug war, sich mit diesem Land zu messen. Jeder, der in direkten Kontakt mit dem Westen kam, veränderte sich. Entweder er wuchs aufgrund der Herausforderungen und Erfahrungen, die dieses Land für ihn bereithielt, oder er scheiterte gänzlich – ein Land der Extreme, das kaum einen Mittelweg zuließ. Auch die, die den Westen nie betraten, wurden von ihm beeinflusst, von den Geschichten und Bildern, die weltweit verbreitet wurden und Träume inspirierten, und von der Energie, die jene zurückfließen ließen, die hier lebten.
Das Charisma des amerikanischen Westens hatte Auswirkungen auf Europa. In dessen Enge und Beschränkung erschien dieses unendlich ausgedehnte Land mit seinen scheinbar grenzenlosen Freiheiten wie ein Paradies, und den Amerikanern der industrialisierten Zonen war der Westen immer eine Option für ein Leben in Unabhängigkeit.
Ein Mythos, aber unausrottbar – und warum auch? Ein Mythos, der so positiv ist, trägt dazu bei, Menschen zu motivieren und zu stärken.
Jene, die den Westen physisch erlebten, wussten es besser. Sie kannten seine Härten, seine Gnadenlosigkeit. Aber auch sie verfielen diesem Land und passten sich ihm an, wurden Teil seiner selbst, wurden von ihm geprägt – wurden zu „Westerners“, ein Begriff, der in Amerika noch immer Respekt, ja Bewunderung auslöst.
Der „Westerner“ selbst sieht sich als „der Amerikaner“ schlechthin; und auch der Rest der Nation neigt dazu, diese Ansicht zu akzeptieren. Dieser Menschenschlag wurde geformt von den unwiderstehlichen Einflüssen seines Lebensraums, und er verbreitet eine besondere Aura um sich.
Der Amerikaner sieht sich noch heute gern als Pionier oder zumindest in den Fußstapfen seiner Vorväter, die Pioniere waren. Wer in den Westen geht, dem haftet dieser Pioniergeist nach wie vor an. Es handelt sich um ein schwer zu definierendes Gefühl, eine Sichtweise, die nicht rational begründet werden kann. Und wenn schon im 19. Jahrhundert mit wohligem Schauer über den „Wilden Westen“ gelesen und geredet wurde, so ist diese Ansicht bis heute mit einer Nostalgie versehen, die die Seele wärmt und eine wohlige Spannung erzeugt; denn der Begriff „Wilder Westen“ löst nach wie vor den Geschmack von Abenteuer, Freiheit und Romantik aus.
Der „Wilde Westen“ ist ein aktuelles Klischee, ein Bild Amerikas, das immer wieder aufgegriffen wird, wenn die Vereinigten Staaten sich in den Augen der Welt unangemessen verhalten. Es löst bestimmte Assoziationen aus und hat politische und militärische Bezüge.
Aber der „Wilde Westen“ ist auch ein historisches Klischee, das für Faustrecht, Gesetzlosigkeit und Gewalt steht, für ein raues Land, in dem der Starke überlebte, der Schwache unterging.
Weltweit verbreitet wurden diese Vorstellungen von der populärsten Filmgattung, die Hollywood bis in die 1970er Jahre produzierte, dem Western. Der Westernfilm zehrte von den historischen Fragmenten, die diese Ansichten zu bestätigen schienen; denn der Begriff „Wilder Westen“ ist nicht etwa in Europa geprägt worden, er stammt aus Amerika selbst. Schon im 19. Jahrhundert schauten die Amerikaner im urbanen Osten des Landes westwärts zum Missouri und zu den Rocky Mountains und verschlangen begierig die Berichte in den illustrierten Zeitungen über Kämpfe mit Indianern, Revolvergefechte, Weidekriege zwischen Ranchern und Heimstättensiedlern, über den großen Eisenbahnbau und den Pony Express. Der Westen war ein Land der Herausforderung und der Bewährung, in dem der Mensch sich ohne zu viele behördliche Auflagen und Vorschriften bis an seine Grenzen verwirklichen konnte. Vom Westen träumten zuerst die Amerikaner und später die Europäer. Und noch bevor die ersten Filme über die Leinwand flimmerten, bereiste ein echter Mann aus dem Westen, Buffalo Bill Cody, die Welt mit seiner Show und zementierte die farbigen, wildromantischen Bilder, die bis zum heutigen Tag die Vorstellungen von Amerika beeinflussen.
In jedem Klischee steckt ein Körnchen Wahrheit. Falsch ist: Der Westen war nicht leer und unbesiedelt. Es gab Hunderte von Indianervölkern, die hier ihre Heimat hatten. Richtig ist: Der Westen war „wild“. Die Lebenskonditionen waren weit entfernt von der abendländischen Zivilisationsform. Die geographischen und klimatischen Verhältnisse waren in weiten Gebieten menschenfeindlich.
Der große amerikanische Historiker Fredrick Jackson Turner bezeichnete die „Frontier“ – jene Region, die sich am Rande der Besiedelung zur Wildnis befand – als die Basis des amerikanischen Nationalgefühls und charakterbildend für den Amerikaner. Seine Thesen sind im Zuge der „political correctness“ in den letzten Jahren in Frage gestellt worden. Aber seine Grundüberlegungen sind von zwingender Logik und bis heute in der amerikanischen Gesellschaft zu beobachten.
Eine der essenziellen menschlichen Eigenschaften ist der Überlebenswille, der den Menschen immer wieder dazu bringt, sich den unterschiedlichsten Bedingungen seines jeweiligen Lebensraums anzupassen. Es mag durchaus sein, dass viele Menschen, die in den amerikanischen Westen zogen, schon von Grund auf besondere Fähigkeiten hatten, unternehmungslustiger, risikofreudiger und ehrgeiziger waren als andere und um jeden Preis etwas erreichen wollten. Aber ihre eigentliche Prägung erhielten sie erst hier. Hier im Westen mussten sie sich bewähren, mussten sie beweisen, dass sie imstande waren, etwas aufzubauen, zu gestalten. Sie mussten Ausdauer zeigen, Zähigkeit, Stärke, Stehvermögen, Talent zum Improvisieren. Hier entwickelten sie die Eigenschaften, die sie ihren Kindern und Kindeskindern vererbten und die bis heute den typischen „Westerner“ ausmachen, der den Amerikanern aus anderen Gebieten der USA noch immer so eindrucksvoll erscheint, häufig aber auch nicht ganz geheuer ist.
Die Palette der Charaktere, die den amerikanischen Westen eroberten und deren Tun und Lassen das Panorama eines außergewöhnlichen Landes formten, ist vielfältig. Neben den Planwagenpionieren, die monatelang durch endlose Prärien zogen, einer feindlichen Natur und feindlichen Menschen trotzten, um ein Gebiet zu finden, in dem sie neuen Siedlungsraum schaffen konnten, standen Cowboys, die zu Ikonen verklärten, obwohl sie niemals etwas aufbauten, nichts von bedeutendem Bestand hinterließen, aber mit ihrer Lebensform einen einzigartigen Mythos schufen, gleich den Mountain Men, die die Pfade durch die Wildnis fanden, denen die späteren Kolonisten folgten, und die den Westen für den ersten bedeutenden Wirtschaftsfaktor der Neuen Welt, den Pelzhandel, öffneten.
Neben chinesischen und irischen Eisenbahnarbeitern, die den Kontinent erstmals verkehrsmäßig einigten, standen die Goldsucher, die auszogen, den Reichtum des Landes zu plündern, und die letztlich die Grundlage für die Gründung von Städten und die Urbanisierung von ganzen Landstrichen in die Wege leiteten.
Heimstättensiedler kämpften um ein Stückchen Land, um ihren Familien eine Existenz zu schaffen, während Großrancher wie Fürsten die vermeintlich freie Weide verteidigten. Neben den Raubrittern des Dollars nutzten Männer mit desperatem Charakter die rechtsfreien Räume, ließen zeitweilig das Faustrecht zum allgemeinen Gesetz werden – und trugen zum gewalttätigen Bild des Westens bei.
Prägnant und eindringlich hat der Historiker Kent Ladd Steckmesser die Ausstrahlung von Männern wie Wyatt Earp, Doc Holiday, Pat Garrett oder Wild Bill Hickok analysiert: „Die [Western]Helden personifizieren Charakterzüge, die die Amerikaner immer bewundert haben: Mut, Selbstvertrauen und physische Kraft nehmen einen hohen Rang in der Bewertung ein. Diese Eigenschaften erscheinen in einer gefestigten, industrialisierten Gesellschaft anachronistisch. Tatsächlich scheinen viele dieser heroischen Züge mit sentimentalen, nostalgischen Vorstellungen über die Freiheit der untergegangenen Frontier verbunden zu sein. Im Allgemeinen erzeugt der Westen romantische und sentimentale Gefühle. Die Eroberung der Wildnis, von Boones Kentucky bis Custers Montana, hat die Amerikaner stets angezogen und inspiriert. Die übermenschliche Gestalt des legendären Helden hebt sich stolz vor diesem pittoresken Hintergrund ab und repräsentiert das immerwährende Drama vom Menschen im Widerstreit mit dem Unbekannten.
Aber die Grundausstrahlung der legendären Helden ist, dass sie dem Guten verpflichtet sind. Sie dienen der Wahrheit und Gerechtigkeit, verteidigen die Schwachen und Unterdrückten. Sie sind Darsteller der großen Allegorie vom Guten gegen das Böse, einer Allegorie, die tief in der amerikanischen Geschichte wurzelt … Denn die Amerikaner haben sich generell selbst in einer...