2 Ahmadinedschad – ein Mann gegen den Rest der Welt
Für die Armen im Iran ist er der iranische „Robin Hood“, für die Oberschicht der „Bauer“ und für den Westen der „Unberechenbare“ – die Rede ist vom iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Für viele gilt er als der gefährlichste Führer der Welt. Es gibt viele Legenden um den gelernten Bauingenieur, der es als einfacher Mann ganz nach oben geschafft hat. Nicht nur wird immer wieder darüber spekuliert, ob der heutige Präsident einer geheimen Spezialeinheit angehört haben soll, die im Ausland lebende Regimekritiker liquidiert hat. Auch über eine Beteiligung an der Geiselnahme in der Teheraner US-Botschaft 1979 wird spekuliert, einige Zeugen wollen den heutigen Präsidenten auf Bildern wiedererkannt haben.
Was er, unabhängig von allen Gerüchten, tatsächlich getan und vor allem gesagt hat, ist die Leugnung des Holocaust und die Infragestellung des Existenzrechts Israels. Der Holocaust sei ein Mythos, der zu dem einzigen Zweck erfunden worden sei, die Schaffung eines israelischen Staates zu rechtfertigen und durchzusetzen. Ein verbaler Fehltritt, der dem Ansehen Irans international sehr geschadet hat (siehe Kapitel „Mythos“ Holocaust). Zusätzlich haben das Säbelrasseln in der Atomfrage und das Katz- und Mausspiel um versteckte Atomanlagen den Iran außenpolitisch isoliert.
Ahmadinedschads rhetorischer Einsatz für sein Land und die Belange seines Volkes machen ihn hingegen für die arme Schicht im Iran zum Volkstribun. Gerne spielt er diese Rolle, indem er auch schon einmal zum Besen greift und medienwirksam die Straßen Teherans kehrt. Der Populist Ahmadinedschad genießt bei der Landbevölkerung und bei den unteren Schichten hohes Ansehen, da er im Wahlkampf und bei anderen Anlässen großzügig Finanzhilfen verteilt hat. Viele Intellektuelle und Angehörige der Mittel- und Oberschicht können mit dem islamisch-proletarischen Präsidenten jedoch wenig anfangen. Sie werfen ihm eine katastrophale Wirtschaftspolitik, eine mangelhafte Strukturpolitik und fehlende Investitionen vor. Innenpolitisch brodelt es seit geraumer Zeit hinter den Kulissen, Beobachter berichten von Machtkämpfen an verschiedensten Fronten (siehe Machtkampf mit den Mullahs).
Aber auch das Volk rebellierte nach einer ziemlich unpopulären Entscheidung des Präsidenten. Ahmadinedschad hat die Subventionen für Energie und Lebensmittel drastisch gekürzt und so ist der Spritpreis auf das Vierfache angestiegen. Lag der Preis für einen Liter Benzin zuvor bei unter zehn Eurocent, stieg er bald auf mindestens 30 Cent an. Ahmadinedschad hofft, dass der Rückgang des Verbrauchs die Abhängigkeit des Irans vom Ausland verringert. Dahinter steckt das Problem, dass der Iran zu wenige Raffineriekapazitäten besitzt. Als eines der ölreichsten Länder der Welt muss der Gottesstaat 40 Prozent seines Benzins einführen. Das bringt große Teile der Bevölkerung auf die Barrikaden. Auch Heizung, Gas und Lebensmittel sollen spürbar teurer werden. Kritiker befürchten, dass die ohnehin hohe Inflation in dem unter den harten Sanktionen leidenden Land wächst: Offiziell liegt sie bei etwa zehn Prozent, tatsächlich dürfte sie doppelt so hoch sein. Die Iraner fürchten einen weiteren Absturz in die Armut. Das Jahreseinkommen pro Einwohner erreicht nach Berechnungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds lediglich 4500 Dollar. Damit misst sich Iran mit Bosnien und Mazedonien. Obwohl Iran über die drittgrößten Vorkommen an Öl verfügt und über die zweitgrößten an Gas, sinkt der Lebensstandard als Folge einer fragwürdigen Wirtschaftspolitik von Jahr zu Jahr. Der Preis für Brot hat sich vervierfacht, verteuert haben sich auch die Kosten für Elektrizität und Wasser. Die Transportbetriebe haben ihre Preise um zehn Prozent angehoben, was die zusätzlichen Kosten aber nicht deckt. Auch die polternde Außenpolitik Ahmadinedschads stößt nicht auf Gegenliebe: Ahmadinedschads Politik habe die Islamische Republik weltweit isoliert, so seine Kritiker, denn der Präsident provoziere an allen internationalen Fronten. Da ist der Streit um das iranische Nuklearprogramm, in dem Ahmadinedschad die Weltgemeinschaft an der Nase herumführt und den Westen immer wieder von Neuem herausfordert. Er lässt kaum eine Gelegenheit aus, das Existenzrecht Israels in Zweifel zu ziehen und den Holocaust zu leugnen. Er lässt sich, wie zuletzt im Oktober 2009, im Libanon feiern und unterstützt zudem die palästinensische Hamas und den Kampf der libanesischen Hisbollah gegen Israel. Wie viele Iraner wirklich hinter ihm stehen, lässt sich nur schätzen. Auch welche konkreten Ziele der promovierte Ingenieur verfolgt, bleibt im Dunkeln. Der Sohn eines Schmiedes ist ein frommer Eiferer wie kein anderer Präsident seit Bestehen der Islamischen Republik. Viele halten ihn für einen religiösen Fanatiker, einen Apokalyptiker, der seine Politik an der baldigen Rückkehr des verschwundenen zwölften Imam Mahdi, des schiitischen Messias, ausrichtet.
Soll man diesen Präsidenten ernst nehmen? Man sollte. Denn es ist die Unberechenbarkeit dieses Mannes, die ihn besonders in den Augen des Westens so gefährlich macht. Dass er den Westen, aber auch viele seiner politischen Rivalen über seine wahren Absichten im Unklaren lässt – das ist vielleicht sogar sein größter Trumpf. Aber was steckt wirklich hinter diesem Mann?
Vom Revolutionswächter zum Bürgermeister von Teheran
Die Familie von Mahmud Ahmadinedschad stammt aus Aradan, einem kleinen Dorf in der Provinz Semnan in Nordiran. Der heutige Präsident wird 1956 als viertes von sieben Kindern eines Schmiedes geboren. Als Ahmadinedschad ein Jahr alt ist, zieht die Familie nach Teheran um. In Teheran wird der Student der Ingenieurwissenschaften an der Elm-o-Sanaat Universität bereits zu Zeiten des Schah Mitglied religiös-oppositioneller Zirkel. Nach der Revolution 1979 gründet er mit Kommilitonen die Gruppe „Studenten auf der Linie des Imam“. Es ist jene Gruppe, die im Herbst 1979 die amerikanische Botschaft in Teheran besetzt und anschließend 52 US-Diplomaten 444 Tage als Geiseln in der „Laneje-Dschasussi“, dem Spionagenest, wie es die Iraner nennen, festhält. Es kursiert ein Foto, auf dem ein Mann zu sehen ist, der dem heutigen Präsidenten sehr ähnlich sieht, und das beweisen soll, dass der Präsident an der Seite einer Geisel steht. Ahmadinedschad hat das immer bestritten.
Dass er bereit ist, sein Leben für seine revolutionären Ideale zu opfern, beweist Ahmadinedschad, als er sich im September 1980 nach dem Angriff Saddam Husseins auf den Iran freiwillig zu den Pasdaran meldet. Neun Jahre lang gehörte er der Elitetruppe des Gottesstaates an; bis heute gibt es viele Gerüchte über diese Periode im Leben des Präsidenten. Nach nicht belegten Angaben soll sich der Revolutionsfanatiker in der Abteilung „Innere Sicherheit“ der Pasdaran als Verhörspezialist und Folterknecht hervorgetan haben. Im berüchtigten Evin-Gefängnis am Rande Teherans sei sein Spitzname „Tausend-Schuss-Mann“ gewesen. Später schloss er sich der berüchtigten Sondereinheit „Sepah-e-Ghods“ („Armee Jerusalem“) an, einer Spezialeinheit für Auslandsoperationen. Die Eliteeinheit für Auslandseinsätze der Pasdaran, der Revolutionswächter, trägt den Namen „Ghods“ (iran. „Jerusalem“) oder „Al-Quds“ (arab. „Jerusalem“). Es soll die Solidarität des Iran mit der Palästinenserfrage symbolisieren.
Der heutige Präsident soll bei der Planung und Durchführung von Liquidierungen der Dissidenten im In- und Ausland mitgewirkt haben. Ahmadinedschad soll auch bei den Attentaten auf den kurdischen Exil-Politiker Ghassemlou und zwei seiner Freunde 1989 in Wien beteiligt gewesen sein. Das belegen angeblich Unterlagen, die der österreichische Grünen-Abgeordnete Peter Pilz eingesehen hat. Ahmadinedschad habe die Waffen verwaltet und soll Teil des Exekutionskommandos gewesen sein.9 Ihm wird zudem die Beteiligung an weiteren Morden, zum Beispiel an dem Attentat gegen Shahpur Bachtiar, dem letzten Ministerpräsidenten des Schah, der 1991 in Paris ermordet wurde, nachgesagt. Aber auch diese Tat konnte ihm nie endgültig nachgewiesen werden.
Nach dem Studium und dem Ende des Krieges steigt der inzwischen promovierte Ingenieur für Verkehrstechnik im Nordwesten des Landes zum Regierungsdirektor für die Provinzstädte Maku und Choi auf, die an der Grenze zu Aserbaidschan liegen. Später wird Ahmadinedschad zum Gouverneur der Provinz Ardebil im Nordwestiran. 2003 gelingt dem Vater dreier Kinder der Durchbruch, als er zum Bürgermeister von Teheran gewählt wird und sich vor allem bei der ärmeren Bevölkerung der Vorstädte viele Sympathien verschafft. Dort beweist er seine Durchsetzungsfähigkeit. Er geht gegen Bausünden und das beispiellose Verkehrschaos in der Hauptstadt vor und verleiht der Betonwüste Teheran ein grünes Antlitz. Seine Wahl zum Staatspräsidenten 2005 verdankt er zum größten Teil den Mostazafin, den Armen und Entrechteten. Um ihr Schicksal zu bessern, waren die Väter der Islamischen Revolution von 1979 einst angetreten.
Mit Blick auf seine Wählerschaft in den Armenvierteln sagt er der Korruption und Misswirtschaft den Kampf an. Symbolisch mischt er sich unters Volk, oft als Müllmann getarnt. Im Präsidentschaftswahlkampf stellt er sich als „der kleine Diener und Straßenkehrer der iranischen Nation“ vor, der allerdings kein Pardon kennt.
Anlässlich seiner Präsidentschaftskampagne 2005 spielt Ahmadinedschad die populistische Karte....