Die Putzfrau als Ausrede
Ich habe mir im Laufe der Jahre viele zusätzliche Argumente überlegt, um plausibel zu machen, warum ich selber putze und keine Putzfrau beschäftige oder wie man auch gerne sagt: mir keine Putzfrau leiste. Denn meine eigentlichen Argumente – das Erreichen von Kontemplation, Klarheit, Entspannung, Erbauung etc. – werden mir nach wie vor nicht geglaubt. Sich eine Putzfrau leisten zu können und das auch in Gesprächen immer wieder zu erwähnen, zeigt, dass es beim Putzfrauen-Beschäftigen im Privathaushalt immer auch um Sozialprestige geht. Wenn in geselliger Runde unter Bildungsbürgern über Putzfrauen gesprochen wird – und das geschieht nicht selten –, vollziehen sich lang etablierte Riten der Selbstvergewisserung, in der Mitte der Gesellschaft zu sein. Dort fühlt man sich im Recht bzw. erachtet es als legitim, über wenige Menschen Herrschaft ausüben zu dürfen. Damit geht die soziale Abgrenzung ›nach unten‹einher, selbst wenn man lobend über seine Putzfrau spricht. Eine Putzfrau zu haben gehört, mit Pierre Bourdieu gesprochen, zu den »feinen Unterschieden«. Sie zeigen ein kulturelles Kapital an, das in vielfältiger Weise mit Reichtum zu tun hat, nicht aber notwendigerweise mit finanziellem Reichtum. Auch wer aus Scham vor den sozialen Abgrenzungsritualen nicht über seine Putzfrau spricht, entkommt diesem schichtenspezifischen Mechanismus nicht – sonst würde er/sie ja darüber sprechen. Wer aber nun explizit äußert, keine Putzfrau beschäftigen zu wollen, ist eine Gefahr innerhalb der oberen Mittelschicht und für deren oft bildungsbürgerliches Selbstverständnis. Schlimmer wäre nur noch die Äußerung, man solle den Doktortitel abschaffen, weil man sich den ohnehin immer öfter durch Betrug oder Kauf erwerbe und ihn dadurch als Auszeichnung entwerte. Denn der Bildungsbürger etabliert sich dadurch, dass er eine Bildung vermittelt, die den Denkgewohnheiten seiner eigenen Klasse entspricht – dazu gehört auch die Undenkbarkeit, bei der Anfertigung einer Doktorarbeit zu betrügen. Wegen der stabilen Denkgewohnheiten sind beispielsweise die Themen Arbeit und Technik erst spät von der akademisch gelehrten Philosophie der Neuzeit zur Kenntnis genommen worden. Sie rochen im 20. Jahrhundert immer ein wenig nach »Materialismus«, obwohl sie eine hochgradig idealistische Komponente aufweisen: den Anspruch, eine Tätigkeit um ihrer selbst willen gut zu machen. Das Putzen ist allerdings bis dato gar kein Thema der Philosophie.
Der Widerstand gegen das Putzen verbindet sich, wie ich bereits am Beispiel des Badreinigers in Sprühpistolen zu zeigen versucht habe, mit einer besonderen Form von Tapferkeit, die sich gegen den sozialen Abstieg mit zwei Talenten wehrt: mit Gewalttätigkeit und mit Betrug. Der Sprühpistolenheld, der den Schmutz nicht berühren, aber trügerischen Glanz erzeugen will, führt nicht nur Krieg gegen den Schmutz, sondern gegen eine Gesellschaft, die ihn zum Putzen und damit zu einer Tätigkeit der unteren Schichten nötigen will.
Wie Thorstein Veblen bereits 1899 in Theory of the Leisure Class (dt.: Theorie der feinen Leute) analysiert hat, gibt es den Typus des »vornehmen Müßigen«, der sich dadurch auszeichnet, dass er von der industriellen Produktivität der Anderen lebt, ohne selbst zur Produktivität beizutragen. Ein Idealtypus dieser Lebensweise war schon immer der Philosoph bzw. der Geisteswissenschaftler, weniger jedoch dessen Frau. Im Zuge des Kapitalismus wird dieser Typus allerdings zunehmend bekämpft, bis hin zu seiner neoliberalen Stigmatisierung als »Sozialschmarotzer«. Latein und Altgriechisch zu können, scheint in dieser reduzierten Perspektive auf Gesellschaft und Fortschritt immer weniger ›nützlich‹ zu sein. Vertiefte Kenntnisse der Werke Goethes, Platons und Voltaires werden gesamtgesellschaftlich als zunehmend weniger wert erachtet, die wichtigsten Zitate zu kennen, scheint ausreichend, um sich bildungsbürgerlich gerieren zu können. Da der Bildungsbürger die einstige Allianz mit dem Adel verloren hat, aber noch dessen Konventionen und damit ein Elitedenken verkörpert, geschieht seine Bekämpfung sowohl durch die herrschende Klasse der finanziell-industriell Produktiven als auch durch die unteren Klassen, die zur Existenzsicherung manuell arbeiten müssen. Der Bildungsbürger ist also in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber dort auch in der Zange.
Eine Putzfrau, die den Haushalt eines Philosophen, Altphilologen oder einer Literaturwissenschaftlerin putzt, ist deshalb ein höchst merkwürdiges Phänomen. Beide sind es zunehmend gewohnt, wegen ihrer angeblich sinnlosen Tätigkeit mit gesellschaftlicher Verachtung umgehen zu müssen. Beide verachten sich aber nicht selten gegenseitig. Unter allen Geisteswissenschaftlern hat der Philosoph noch die beste Ausgangsposition, denn ihm wird landläufig unterstellt, am liebsten in einer Tonne zu wohnen, wenn im Elfenbeinturm gerade kein Platz frei ist. Der Philosoph scheint deshalb von Schmutz wenigstens eine Ahnung zu haben, mehr noch die Philosophin. So begegnen sich in der Privatwohnung eines Geisteswissenschaftlers zwei Menschen, die gesellschaftlich ausgegrenzt werden, und zwar begegnen sie sich im Duell: im Kampf um den Schmutz. Sie kämpfen aber auch um Prestigenormen, wie mit körperlichen Tätigkeiten in der Gesellschaft umgegangen wird. Die »müßige Klasse« hat sich immer dadurch ausgezeichnet, dass sie Tätigkeiten ohne vermeintlich höhere Zwecke ausgegrenzt hat: Kochen, Handwerken, Waschen, Landwirtschaft und Putzen. Ausnahmen bilden der Sport und der Krieg. Beide stehen im Zeichen des Wettbewerbs. Und diese durchdringende Macht des Wettbewerbs führt dazu, wie wir gleich sehen werden, dass Bildungsbürger(innen) oder solche, die es sein wollen, gerne mit ihrer Putzfrau um die Sauberkeit der Wohnung wetteifern. Im Duell müssen sie sich auf Augenhöhe mit der Putzfrau stellen; ein Akt der Gleichberechtigung, der dem zur Schau gestellten Sozialprestige, sich eine Putzfrau leisten zu können, deutlich widerspricht.
Ich stehe nicht unter dem Verdacht, geizig zu sein und ich verdiene nicht schlecht, daran kann meine Verweigerungshaltung also nicht liegen. Aber warum möchte ich selber putzen? Meine Kolleg(inn)en, die alle Putzfrauen beschäftigen, rätseln bis heute. Immer wieder rechnen sie mir vor, wie viele Stunden Zeit ich sparen würde und was ich in dieser Zeit wirklich Sinnvolles tun könnte, wenn ich nur eine Putzfrau hätte. Dabei meinen sie nicht, dass ich mehr Zeit für den Zahnarzttermin oder die Steuererklärung hätte, sondern mehr Zeit, um das zu tun, was Philosophen eigentlich tun sollten: Zeit zu lesen und zu schreiben – denn im Hochschulbetrieb des 21. Jahrhunderts ist auch der/die Geisteswissenschaftler(in) zum Allround-Manager geworden, der sich in erster Linie um Verwaltung von Forschung und Lehre zu kümmern hat und dabei selbst zu verkümmern droht. Der ständige Druck, sich für die Gesellschaft wirklich nützlich zu machen, und zwar in quantifizierbarer Weise, führt viele erst in diejenige Abgrenzungshaltung zum Rest der Gesellschaft, die man ihnen vorab schon unterstellt hat. Die Reaktion ist dann – sehr schematisch gesprochen – folgende: Selber putzen? Sich privat auch noch nützlich machen? Man habe doch wenigstens zuhause ein Recht auf Muße, denn daraus entspringe Kreativität und Genius!
Dem widerspreche ich gar nicht, aber für mich ist fraglich, ob Muße in jedem Fall durch zur Schau gestelltes Nichtstun erreicht wird oder sich nicht auch in einer Tätigkeit vollziehen kann, die man nicht müßig wird, zu tun – wie das Putzen. Diese Haltung mag einem kleinbürgerlichen Geist entspringen, so what? Bei genauerer Betrachtung passt diese Haltung allerdings gerade zum großbürgerlichen Kern des Bildungsbürgertums, weil sich dieses über Sinnlosigkeit und Zeitverschwendung zuallererst definiert hat! Mein Argument wäre dann so zu verstehen, dass man erst dann Putzen als Muße begreifen kann, wenn man sich eigentlich auch eine Putzfrau leisten könnte – es aber nicht tut. So, wie man selber kocht, obwohl man ins Restaurant gehen könnte. Man verschwendet seine Zeit mit Nützlichem, das man nicht zu tun bräuchte und erweckt den Schein, am Klassenkampf teilzuhaben. Jene Anbiederung an das Proletariat ist aus der Handwerkerromantik bekannt. Eine derartige Haltung wird heute hinter vorgehaltener Hand als »Linksspießertum« tituliert. Wenn dem also so sei: Warum darf ich dann meine Zeit trotzdem nicht mit Putzen, aber doch gerne mit Kochen verschwenden? Die Antwort lautet: Weil das Linksspießertum beim Putzen an seine Grenzen der Urteilskraft gelangt und in fröhlicher Diffusion zum Rechtsspießertum hinüberwabert.
Dazu einige Beispiele. Die Herren wähnen häufiger, ich weigere mich womöglich wegen der Gleichstellungsfrage, ich könne es vielleicht nicht ertragen, wenn eine Frau einer anderen Frau den Dreck wegputzt und Putzmänner seien eben schwer zu bekommen. Man wollte mir deshalb schon mehrmals einen Nacktputzer als Event...