2 Qualität in stationären Pflegeeinrichtungen
2.1 Allgemeiner Qualitätsbegriff
Der Qualitätsbegriff wurde ursprünglich im industriellen Bereich verwendet, um das betriebliche Geschehen (Input – Betriebsprozess – Output) und die produzierten Leistungen hinsichtlich ihrer Güte und umfassender als nur durch die quantitative Dimension zu kennzeichnen (Eichhorn 1997, S. 14). Dabei greifen alle Versuche, die Qualität einer erbrachten Leistung übergreifend zu definieren, auf das lateinische Wort „qualitas“ und seine Bedeutungen „Beschaffenheit“, „Güte“, „Wert“ oder „Eigenschaft“ eines Gutes zurück.
Dies zeigen unterschiedliche, sehr allgemein gehaltene Definitionen, wie z. B. „Qualität ist die Beschaffenheit eines Gutes“ oder „Qualität ist die Gesamtheit aller Eigenschaften, durch die sich Güter unterscheiden“.
Bis Ende der 60er Jahre wurde die Qualität einer betrieblichen Leistung in erster Linie an der Einhaltung technischer Standards festgemacht. Wichtige Merkmale dieser Bewertung waren u. a. das einwandfreie Funktionieren und gute technische Eigenschaften der Produkte, eine lange Lebensdauer und das Freisein von Fehlern (vgl. Kaminske/Brauer 1995). Dieses materielle Qualitätsverständnis lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf den Dienstleistungsbereich und die Pflege als spezielle Dienstleistung übertragen; Dienstleistungen unterscheiden sich in ihren wesentlichen Eigenschaften deutlich von Produktionsgütern.
2.2 Qualität im Dienstleistungsbereich
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Dienstleistungen im Vergleich zu Produktionsgütern ist ihre Immaterialität. Das heißt, als Dienstleistung gilt die angebotene oder nachgefragte menschliche oder automatisierte Leistungsfähigkeit, auch wenn Vorleistung (Input) und Ergebnis (Output) materiellen oder immateriellen Charakter haben können (Meffert/Bruhn 1997, S. 59ff.). Aus der Immaterialität resultieren zwei weitere Abgrenzungskriterien: die Nichtlagerfähigkeit und die Nichttransportfähigkeit von Dienstleistungen. Dienstleistungen können vom Kunden gewissermaßen nur im Moment ihrer Erbringung in Anspruch genommen werden. Daraus ergibt sich, dass nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Prozess der Leistungserbringung mitbestimmend für die Qualität ist.
Dies bedeutet aber auch, dass die Dienstleistungserbringung nicht nur von internen Faktoren des Leistungserbringers abhängt, vielmehr nehmen die Nachfrager oder Kunden im Dienstleistungsbereich bereits bei der Erstellung der Leistung eine entscheidende Rolle ein.
Diesen speziellen Aspekt von Dienstleistungen berücksichtigt Juran – einer der „Qualitätsväter“ –, als er Anfang der 70er Jahre Qualität als „fitness for use“ (Qualität ist der Grad der Eignung für den Verwendungszweck) charakterisiert (Juran 1988). Jurans Definition stellt eine Wende im bisherigen Qualitätsverständnis dar, weil der Begriff der Qualität hier eine wesentlich breitere Auslegung als bisher erfährt. Nach dieser Sichtweise umfasst Qualität neben der „technisch-materiellen Eignung“ der Produkte auch den subjektiven Nutzen für den Kunden, an den sich das erbrachte Produkt oder die erbrachte Leistung richtet (vgl. Eichhorn 1997).
Auch Meffert und Bruhn berücksichtigen die Kundenperspektive in ihrer Qualitätsdefinition. Sie kennzeichnen Dienstleistungsqualität als „die Fähigkeit eines Anbieters, die Beschaffenheit einer […] Leistung aufgrund von Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anforderungsniveau zu erstellen“ (Meffert/Bruhn 1997, S. 27).
Das heißt, Qualität resultiert aus „der Übereinstimmung zwischen der Erwartung hinsichtlich der Leistungen und der tatsächlich erbrachten Dienstleistung“ (Garms-Homolová 1991, S. 3).
Diese Definitionen drücken etwas aus, was aus den bisherigen Definitionen nicht deutlich wird und sich als wesentlich im Dienstleistungs- und Pflegebereich erweist: Der Qualitätsanspruch der Kunden (bzw. Bewohner) und damit auch der Erfolg des Unternehmens (bzw. der Pflegeeinrichtung) wird nicht durch die Erfüllung einmal aufgestellter Anforderungen (bzw. Bedarfe) realisiert. Vielmehr stellen diese den Ausgangspunkt einer weiteren Qualitätsentwicklung und -verbesserung dar. Das bedeutet, Qualität ist keine statische Größe, sondern hat einen prozesshaften Charakter.
Die genannten Definitionen spiegeln ein mehrdimensionales Qualitätsverständnis wieder: Nach der produktbezogenen oder herstellungsbezogenen Sichtweise umfasst Qualität die Summe oder das Niveau der vorhandenen Eigenschaften von Produkten oder Dienstleistungen. Die Qualitätsbewertung setzt hier an objektiven Kriterien an. Anders verhält es sich beim kundenbezogenen Qualitätsbegriff. Hier wird die Qualität über die Wahrnehmung des Kunden definiert. Daraus leitet sich ab, dass ein und dieselbe Leistung unterschiedlich bewertet werden kann.
2.3 Qualität im vollstationären Pflegebereich
Die Pflege älterer Menschen galt lange Zeit nicht als Dienstleistung, sondern wurde als eine karitative Hilfeleistung am Nächsten betrachtet, die in erster Linie zu Hause bzw. – wenn keine Angehörigen vorhanden waren – in sog. Siechen- oder Armenhäusern, in denen auch Behinderte versorgt wurden, erbracht wurde (Sowinski/Maciejewski 2003). Erst seit Anfang des vorigen Jahrhunderts kam mit der Gründung von Altersheimen eine separate institutionalisierte Versorgungsform auf (Kondratowitz v. 1990). In diesen Heimen, die in privater, konfessioneller oder Vereinsträgerschaft standen und sehr klein waren, herrschte ein unbedingtes Disziplinierungsgebot – die Einrichtungen standen als Symbol des Zwanges. Während der Zeit des Dritten Reiches wurden ältere Menschen, die als „stärker verwirrt“ oder „unsauber“ galten, als sog. „unproduktive Menschen“ erfasst und in gesonderte Anstalten, die sich meist außerhalb der Städte befanden, verlegt (Behr 1995).
Nach Kriegsende stand in der Bundesrepublik, aber auch in der ehemaligen DDR, die situative Bewältigung von Notständen im Vordergrund. Menschen mit Pflegebedarf wurden weiterhin als passive, unselbständige und anleitungsbedürftige „Heiminsassen“ angesehen – die Heime dienten im Wesentlichen der „Verwahrung“ dieser Personen (Winter et al. 1999).
Anfang der 60er bis in die 70er Jahre fußten die Konzeptionen der Heime in erster Linie auf dem Leitbild des Krankenhauses; in die Pflege flossen zunehmend geriatrische Erkenntnisse und technische Aspekte ein – die Bewohner wurden als „pflegebedürftige Patienten“ angesehen.
Erst seit den 80er Jahren gewinnt ein ganzheitliches Pflegeverständnis an Bedeutung. Pflege in Einrichtungen soll nicht mehr nur den Pflegeerfordernissen genügen, sondern auch die Wohnbedürfnisse und persönliche Vorstellungen der Bewohner berücksichtigen. Damit stehen erstmals nicht mehr ausschließlich die Defizite älterer pflegebedürftiger Menschen im Vordergrund: Pflege wird zunehmend als Dienstleistung am Bewohner begriffen, deren zentraler Schwerpunkt auf dem Erhalt der verbliebenen Möglichkeiten, der Förderung einer größtmöglichen Selbständigkeit und der Berücksichtung der individuellen Bedürfnisse der Bewohner liegt. Gleichzeitig gewinnt der Qualitätsaspekt an Bedeutung. Heimbewohner und deren Angehörige werden zunehmend als Dienstleistungsnehmer wahrgenommen.
Wie lässt sich nun Pflege als spezielle Dienstleistung charakterisieren?
Pflege hat wie alle Dienstleistungen einen immateriellen Charakter, ist aber als persönliche Dienstleistung am Menschen durch eine starke Beziehungsorientierung gekennzeichnet. Das bedeutet, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen und der Umgang zwischen den Klienten und dem Betreuungspersonal von wesentlicher Bedeutung sind; Pflegeleistungen werden direkt an den Klienten und in deren Beisein erbracht. Sie sind außerdem durch eine Kooperation zwischen den Pflegenden als den Leistungserbringern und den Gepflegten als Leistungsempfängern charakterisiert und erfordern die Mitwirkung der Klienten. Dies trifft besonders für den Bereich der stationären Langzeitpflege zu, in dem pflegerische Tätigkeiten – anders als im häuslichen Bereich – fast ausschließlich von Pflegekräften durchgeführt werden. Vor den genannten Aspekten wird deutlich, dass im Pflegebereich nicht nur das Ergebnis sondern bereits der Prozess der Leistungserbringung qualitätsrelevant ist.
Pflegeleistungen weisen aber noch weitere Besonderheiten auf. Wegen ihrer Immaterialität ist es schwierig, den Kunden den Wert der Leistung vor der eigentlichen Leistungserbringung nahe zu bringen. Jedoch sind gerade im Pflegebereich die Qualitätsmerkmale der Dienstleistung für Laien oft nur schwer zugänglich; was fachlich korrekt und qualitativ gut ist, können die Kunden häufig nicht ohne Weiteres einschätzen. Zudem kann zwischen den Interessen der an der Pflege Beteiligten (z. B. zwischen Klienten, Angehörigen, Mitarbeitern im Pflegebereich, Ärzten und Kostenträgern) eine Lücke klaffen. So werden von Seiten der Bewohner Beratungen zur Selbsthilfe und aktivierende Maßnahmen nicht immer als Qualität gewürdigt; sie können den Hilfebedürftigen sogar überflüssig oder lästig erscheinen. Unter dem Qualitätsaspekt muss deshalb ein Konsens gefunden werden, bei dem der Bedarf und die persönlichen Gewohnheiten und Bedürfnisse der „Nutzer“ im Vordergrund stehen, gleichzeitig aber der „Stand der Kenntnis“ und Kostenaspekte berücksichtigt werden.
Eine der ersten pflegespezifischen Definitionen von Qualität lieferten Lee und Jones schon 1933: „Qualität ist der Grad der Übereinstimmung zwischen den anerkannten Zielen der Berufsgruppe und dem erreichten Erfolg in der Pflege.“
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