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E-Book

Quintessenzen

Überlebenskunst für Anfänger

AutorSven Böttcher
VerlagLudwig
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783641091286
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Was ist im Leben wirklich wichtig?
»Vor ein paar Jahren hatte ich Lisa, meiner ältesten Tochter, versprochen, alles Wesentliche über das Leben, das Universum und den ganzen Rest aufzuschreiben. In gebotener Kürze, versteht sich. Und nur für alle Fälle. Vor allem für den Fall, dass ich in den entscheidenden Momenten ihres Lebens unentschuldigt fehlen würde...« (Sven Böttcher)

Geistesblitze voller Humor und Optimismus, geschrieben mit großem Herzen und verblüffender Seelenruhe - nicht nur für junge Erwachsene, sondern für alle lebens- und erkenntnishungrigen Menschen.

Mit Anfang 40 erkrankt der Schriftsteller und Fernsehmacher Sven Böttcher an Multipler Sklerose, nach schwerem Krankheitsverlauf prophezeien ihm die Ärzte, er werde einen weiteren Schub vermutlich nicht überleben. Daraufhin beschließt er, die ihm verbleibende Zeit zu nutzen und seinen drei Töchtern in schriftlicher Form all das mitzugeben, was er ihnen möglicherweise nicht mehr selbst wird sagen können.

Jedoch wird man die gängigen Sinnsprüche in den Quintessenzen vergeblich suchen. Böttchers »hoffentlich hilfreiche Anmerkungen zu diesem, jenem und dem ganzen Rest« lauten zum Beispiel: »Geld ist Zeit«, »Sei unnatürlich« oder »Heirate dich selbst«. In rund 50 kurzen Texten entwickelt er eine umfassende und unkonventionelle Philosophie der Lebenskunst, die Herz und Verstand aller Menschen berührt, die sich Gedanken machen über den Kosmos, die Liebe, das Leben und den Tod.

Sven Böttcher, Jahrgang 1964, schreibt Krimis und fantastische Romane, arbeitet als Comedy- und Drehbuchautor und Media-Konzeptioner ('ran', 'Beckmann').

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Leseprobe

Der Sinn des Lebens

Stellen wir uns einen Irren vor. Einen Irren, der sicher ist, dass er kraft seines allmorgendlichen Rituals (Aufstehen um vier, ein rohes Ei an der eigenen Stirn zerschlagen, den Blick fest nach Osten gerichtet) die Menschheit rettet, jeden Tag wieder, weil nämlich allein sein Ritual die Sonne aufgehen lässt. Verschliefe er, ginge die Welt unter.

Dieser Irre ist ein glücklicher Mensch. Er trägt gern Verantwortung. Gut, manchmal möchte er ausschlafen, aber das bedeutet ihm nicht die Welt. Und er macht kein großes Gewese aus seiner Bedeutung. Seine Pfleger wissen nicht, wie wichtig er ist. Was macht das schon? In ihren Augen zerschlägt sich bloß allmorgendlich ein Irrer ein Ei am Kopf. Aber er weiß es besser. Das Glück der Menschen ist sein Werk, alles Glück, jedes Lachen ist sein Lohn. Dieser Mensch ist ein sehr zufriedener Irrer.

Wir sind dieser Irre.

Es gibt keinen naturgegebenen »Sinn des Lebens«, schon gar keinen, den wir herausfinden könnten. Unser Leben hat so viel Bedeutung, so viel Sinn, wie wir ihm zuweisen. Und das kann atemberaubend viel sein. Nichts kann dich daran hindern, Königin der Welt zu sein. Die einzige Welt ist die, die du dir machst, und deiner Vorstellung sind keinerlei Grenzen gesetzt.

Ob du deswegen glauben musst, allein deinetwegen ginge jeden Morgen die Sonne auf? Warum nicht? Aber es geht vielleicht auch eine Nummer kleiner.

Du wirst zu Recht einwenden, es wäre doch – wenn schon – netter, glaubten auch wenigstens ein paar andere, dass du die Sonnenerweckerin bist, die Königin, eine tolle Pianistin oder die beste Mutter der Welt. Recht hast du, das ist netter. Nimm es als Zugabe.

Aber deine Welt, dein Glück und deine Bedeutung, der Sinn deines Lebens, hängen nicht an der Wahrnehmung anderer und schon gar nicht an deren Applaus. Du allein entscheidest, wie viel Sinn dein Leben hat.

Das eine Glück

Sprache formt Gedanken. Du kannst möglicherweise fühlen, aber nicht denken, wofür du keine Begriffe, keine Worte hast (? elementares Wegdenken). Diesbezüglich haben wir es mit unserer differenzierten Muttersprache wirklich gut getroffen, aber beim Begriff »Glück« versagt sie eigenartigerweise fast vollständig. Die Engländer sind lucky, happy und fortunate, die Franzosen sind heureux und kennen sowohl bonne chance als auch bonheur, wenn sie nicht gerade ebenfalls fortune haben. Was die Eskimos sind, weiß ich nicht, aber da sie für verschiedene Schneearten und -zustände angeblich haufenweise Begriffe haben, kennen sie vielleicht auch fünf für die grundverschiedenen Glücke.

Wir hingegen sind glücklich, haben Glück oder noch mal Glück gehabt und schießen glückliche Tore. In dieser sprachlichen Schwäche dürfte begründet liegen, dass wir Deutschen nie so ganz glücklich sind, denn das Wort verlangt viel zu viel von uns.

Sparen wir uns daher circa fünf Bibliotheken mit Glücksformeln und einigen wir uns beim Glück, das wir zwei hier meinen, dem wesentlichen, auf jenes, das mit unserer Haltung zu tun hat, nicht mit »Schwein gehabt« oder »Das fühlt sich jetzt aber gut an«, und halten wir assistierend Folgendes fest: Die vollkommene Abwesenheit von Negativem bei gleichzeitiger Anwesenheit von möglichst viel Positivem, das wäre wohl in den Augen der allermeisten: Glück. Dieses ferne Ideal streben wir alle an, und das immer. Was bedeutend ist für unser Verständnis von allem, auch und vor allem für das Verständnis unserer Mitmenschen resp. Nebendarsteller. Menschen verfolgen mit ihrem Handeln immer eine Vergrößerung ihres eigenen Glücks – sie versuchen immer, den Anteil des Negativen in ihrem Leben zu verkleinern und den des Positiven zu vergrößern. Dass ihre Mittel und Handlungen dabei oft untauglich sind, steht auf einem ganz anderen Blatt. Entscheidend ist: Das Motiv ist immer die Verbesserung der eigenen Lage. (Und wenn du gestattest, erlaube mir den Zusatz, dass niemand hierbei bewusst falsch oder »böse« handelt, also entgegen seiner eigenen Vorstellung von »richtig« und »falsch«, nicht einmal ein Mörder. Nach deiner und 99 % deiner Mitmenschen Ansicht handelt letzterer unmoralisch, aber nach seiner Ansicht ist sein Verhalten gut und richtig, nämlich weil es seine Lage verbessert.)

Das Missverständnis bei der Suche nach Glück besteht vor allem in der Verwechslung von Weg und Ziel. Das Ziel »nur Positives, nichts Negatives« ist vernünftig, erreichbar ist es allerdings mitnichten. Daher ist Glück in erster Linie eine Frage des Anspruchs. Wer weiß, dass das Ziel »andauernd Positives« unerreichbar bleibt, genießt die Phasen, in denen er seinem eigenen Wunsch nah ist – und hält sich nicht für unglücklich in jenen Phasen, in denen er von seiner eigenen Wunschvorstellung mehr oder weniger weit entfernt ist. Voraussetzung für wahres Glück ist also paradoxerweise die Erkenntnis, dass unsere Wünsche auch im günstigsten Fall nie erfüllt werden. Wer fähig zum Glück ist, der weiß, dass wahres Glück Phasen des Pechs, des Kummers, der Unzufriedenheit und des Unglücks umfasst – und der verlangt nicht, immer tun zu können, was er gerade will, sondern will immer, was er gerade tut.

Der wahrhaft glückliche Mensch ist daher jener, der sich als lebendiger Teil des Kosmos fühlt und des Zeitstroms, der durch seine eigenen Adern von seinen Vorfahren zu seinen Nachfahren fließt; der unbekümmert vom Wissen um seine eigene Endlichkeit, sich seiner selbst und seiner Grenzen bewusst, in heiterer Illusionslosigkeit Tag für Tag aufs Neue gespannt erwartet, welche neuen Erkenntnisse er dem Leben abgewinnen darf.

PS: »Such dein Glück« erweist sich übrigens oft als ganz und gar blödsinniger Ratschlag, denn das Glück ist Weltmeister im Verstecken (Vizeweltmeister ist der Geistesblitz). Bevorzugt taucht das begehrte Glück auf, wenn wir uns mit etwas ganz anderem beschäftigen und so tun, als interessierten wir uns überhaupt nicht dafür, wo es steckt. Dann nämlich kommt es neugierig aus seinem Versteck, interessiert sich für dein unerhörtes Desinteresse, gesellt sich direkt an deine Seite und bereichert dein Leben durch seine unmittelbare Gegenwart.

Zeit

Zeit ist alles, was wir haben. Wir wissen nicht, in welchem Umfang, denn die für uns wahrnehmbare Zeit kann jederzeit enden (? Tod). Die meisten scheinen das allerdings nicht zu wissen, leben sie doch, als wäre durchschnittliche Lebenserwartung so was wie ein Toaster mit Garantie, den man bei Versagen im Media Markt reklamieren kann.

Da Zeit alles ist, was wir haben, ist Zeitverschwendung eine Katastrophe, eine wahre Sünde dir selbst und dem Geschenk des Lebens gegenüber. Wobei du mich bitte nicht falsch verstehst: Was pragmatisch denkende Menschen Zeitverschwendung nennen, ist oft genau das Gegenteil. In den Himmel zu schauen und die Gedanken schweifen zu lassen, ist keine Zeitverschwendung. Einer erfüllenden Tätigkeit nachzugehen, ist keine Zeitverschwendung. Und du wirst feststellen, dass die Zeit für dich viel langsamer verstreicht als für andere, wenn du etwas an sich und für dich Schönes tust – »Nie im Leben hab ich jetzt zehn Stunden gepuzzelt!«. Deine Empfindung ist richtig, denn für den, der sich im Einklang mit den Kräften um sich herum befindet, vergeht die Zeit nicht im Flug, sondern gar nicht. Sie verstreicht nur um ihn herum weiter, und nicht er hat sie vergessen, sondern sie ihn.

Echte Zeitverschwendung ist hingegen etwas ganz anderes, nämlich alles, was du nicht willst und eigentlich auch nicht müsstet. Dass wir gelegentlich Dinge tun müssen, die wir nicht tun wollen, gehört nicht dazu. Ein Kind zu wickeln, ist keine Zeitverschwendung. Zeitverschwendung ist: einen Artikel zweimal schreiben, weil einem der Computer abgestürzt ist und man das Dokument nicht gesichert hatte. (Die Erfahrung ist ausgesprochen lehrreich, denn sie erzeugt vortrefflich das Gefühl, das sich bei jeder Zeitverschwendung einstellen sollte: tiefe Frustration und Verzweiflung über die verlorenen Stunden).

Ein weiterer Aspekt des höchsten Gutes Zeit muss erwähnt werden: Der Volksmund sagt »Zeit ist Geld«, meint damit etwas ganz anderes und trifft trotzdem den Nagel auf den Kopf, nämlich im Umkehrschluss. Denn ? Geld ist durchaus Zeit.

Investierst du deine Zeit mit Geschick, wirst du dafür Geld erhalten, manchmal erbst du auch welches oder kriegst es geschenkt. Betrachte dieses Geld nicht als Mittel, um Güter dafür einzutauschen, sondern als Zeitgeschenk. Denn du kannst dir davon Minuten, Stunden, bestenfalls Jahre kaufen, die du nach deinen Vorstellungen verbringst, jenseits aller Sachzwänge.

Achte deshalb Geld nicht zu gering. Betrachte es als in Scheine und Münzen gepresste Zeit.

Aber nimm es auch nicht zu wichtig. Denn wenn du deine Zeit mit Dingen verbringst, die dich glücklich machen, wird dir Geld...

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