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Radikal gerecht

Wie das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert

AutorThomas Straubhaar
Verlagedition Körber-Stiftung
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783896845184
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Unser Sozialsystem ist am Ende. Reformieren lässt es sich nicht, sagt der Hamburger Ökonomieprofessor Thomas Straubhaar. Aber revolutionieren: durch das bedingungslose Grundeinkommen. Wenn alle Menschen, vom Säugling bis zum Greis, ein Grundeinkommen erhalten, so entmündigt sie das nicht, sondern befreit sie zu Selbstständigkeit und eigenen Entscheidungen. Und der Staat investiert nicht länger in die Verwaltung des Mangels, sondern in eine gerechte Gleichbehandlung aller. Das klingt zu gut, um finanzierbar zu sein? -Im Gegenteil, es ist möglich, wie Straubhaar vorrechnet. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein liberaler, effektiver und sozialer Weg, Gerechtigkeit und Effizienz in ein aus dem Gleichgewicht geratenes Sozialsystem zu bringen - und so Wesentliches zum inneren Frieden beizutragen. Deutschland sollte als eine der größten und stabilsten Volkswirtschaften weltweit dieses Experiment wagen!

Thomas Straubhaar ist Professor für Volkswirtschaftslehre der Universität Hamburg und Direktor des Europa-Kollegs Hamburg. Nach Studium und akademischen Stationen u. a. in Bern, Berkeley, Konstanz, Basel, Freiburg i. Br. und an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg war Straubhaar von 1999 bis 2014 zunächst Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) und danach Leiter des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI).

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Leseprobe

»Geld für alle«


»Geld für alle«. Vom Staat. Ohne Gegenleistung. Einfach so. An alle. Ob arm oder reich, jung oder alt, ob mit oder ohne Familie, allein lebend oder zusammen mit anderen. Menschen mit oder ohne Beschäftigung, Hilfs-, Fach- oder Führungskräfte: Allen wird gleichermaßen vom Staat Monat für Monat ein exakt identischer Geldbetrag auf das persönliche Konto überwiesen. In der Höhe des Existenzminimums. Sodass es für alle, unabhängig von einer eigenen Erwerbstätigkeit oder eigenem Vermögen, möglich wird, ein menschenwürdiges Dasein zu finanzieren und am öffentlichen Leben teilzunehmen.

»Geld für alle«: was für eine radikale Forderung. Das kann nicht gut gehen! Falsch: Die Vision muss Realität werden – lieber früher als zu spät! Zwar ist ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) nicht alternativlos. Wenn aber der demografische Wandel, die Digitalisierung und die damit einhergehenden gesellschaftlichen und ökonomischen Verhaltensänderungen alles Bisherige infrage stellen, bedarf es neuer, zeitgemäßer Antworten. Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht eine gerechte, liberale und effektive Anpassung des Sozialstaates an die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Es ist auf die Lebenswirklichkeit der Zukunft ausgerichtet und hält nicht an einer Vergangenheit fest, die es so schon lange nicht mehr gibt. Somit ist nicht das Grundeinkommen, sondern der Verzicht auf ein Grundeinkommen eine riskante Politik, die scheitern wird.

Sorge und Hoffnung sind die fundamentalen Motive für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Sorge um den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft; Streit und Misstrauen prägen gegenwärtig das gesellschaftliche Miteinander. Polarisierung verdrängt Maß und Mitte. Das politische Klima wird zunehmend durch Unverständnis für die Meinung anderer, Verachtung und Unversöhnlichkeit, immer stärker auch durch wütende Proteste, Hetze und Hass vergiftet. Dissens statt Konsens zerstört die Basis von Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Das große Ganze – Demokratie, Rechtsstaat und freiheitliche Gesellschaftsordnung – gerät in Gefahr.

Das bedingungslose Grundeinkommen bietet Hoffnung, mit einem gemeinsam getragenen neuen Zukunftsmodell das Zusammengehörigkeitsgefühl wieder zu beleben. Alle mitzunehmen, niemanden auszuschließen. Neben ökonomischer Effizienz auch eine soziale Umverteilung anzustreben. Einer verunsicherten Gesellschaft eine Perspektive aufzuzeigen für ein großes gemeinsames Ziel: ein für alle lebenswertes Deutschland.

Ein radikaler Systemwechsel eröffnet die dringend benötigte Chance eines unverbrauchten Neuanfangs. Er ermöglicht es, ausgetretene, misstrauisch beobachtete, über Dekaden gewachsene Interessenverflechtungen, kritische Pfadabhängigkeiten und veraltete Verfahrensweisen infrage zu stellen. Etwas Neues zu tun. Offensiv zu gestalten, nicht defensiv immer wieder alte Löcher stopfen zu müssen.

Das bedingungslose Grundeinkommen weist Deutschland einen zwar radikalen, aber eben auch gangbaren Weg, um die eigendynamische Spirale des gesellschaftlichen Auseinanderlebens zu durchbrechen. Es liefert eine nachhaltig tragfähige Grundlage für einen Gesellschaftsvertrag zwischen den Generationen. Es zeigt, wie die Arbeitsgesellschaft auf die dramatischen Veränderungen durch die Digitalisierung reagieren kann – wohl eher reagieren muss –, wenn nicht überall, aber doch mancherorts mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Roboter den Menschen ersetzen werden. So, dass die Herausforderungen der Zukunft bewältigt und zu einer historischen Chance, nicht zu einer Gefahr für Deutschland werden.

Visionen mögen für viele Utopien sein. Sie verursachen neue Kosten und bergen unbekannte Risiken. Das gilt aber ebenso für alle anderen Alternativen. Ohne Visionen geht jedoch der Optimismus verloren, dass sozioökonomische Herausforderungen bewältigt werden können. Deshalb ist eben auch gültig, dass wer heute (k)eine Vision, morgen (k)eine Zukunft hat.

Neue Zeiten erfordern neue Lösungen


»Geld für alle« ist keine neue Idee. Sie galt aber lange als reine Utopie. Jetzt wird sie zur gesellschaftsfähigen Vision, deren Chancen stetig steigen, bald schon realisiert zu werden. Wesentliche Ursache für den Stimmungswandel sind die Digitalisierung und der demografische Wandel. Erstere verkürzt die Arbeitszeit, Letzterer ist Folge einer verlängerten Lebenserwartung. Zusammen bewirken sie, dass die Erwerbszeit einen geringeren, Freizeit und Ruhestand einen größeren Stellenwert im Leben eines Menschen erhalten. Erforderlich wird dadurch die Neuorientierung einer Arbeitsgesellschaft, für die Arbeit alles und ohne Arbeit alles nichts war.

Die Vergangenheit war für die radikale Idee des bedingungslosen Grundeinkommens nicht reif. Aus verständlichen Gründen. Die Arbeitswelt des letzten Jahrhunderts war industriell geprägt. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer strebten nach einer stabilen, lebenslangen Vollbeschäftigung als Normalfall. Beide Seiten wollten so lange wie möglich gemeinsam von Bildungsanstrengungen, erworbenen Jobfähigkeiten und Berufserfahrung der Belegschaften profitieren. Alle Beteiligten waren deshalb an langjährigen, wenn möglich lebenslangen Beschäftigungsverhältnissen, tragfähigen Arbeitsnetzwerken und dauerhafter Betriebszugehörigkeit interessiert.

Die Digitalisierung verändert mit Wucht und Tempo Lebensalltag und Arbeitswelt. Und sie erzwingt einen Perspektivenwechsel. Wenn Roboter Menschen ersetzen, muss zwangsläufig Arbeit einen anderen Stellenwert erhalten. Die Arbeit wird dem Menschen zwar nicht ausgehen. Aber die Arbeitszeit wird weiter schrumpfen. Der Mensch wird bei vielen Aktivitäten – besonders im Bereich der standardisierten, sich stetig wiederholenden einfachen Tätigkeiten – in den Hintergrund gedrängt.

Die Digitalisierung wird darüber hinaus den von einem Beschäftigten pro Werktag erzeugten Mehrwert – also die Arbeitsproduktivität – weiter steigern. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – als Summe der gesamten Wertschöpfung in einer Volkswirtschaft – kann mit weniger Arbeitszeit und viel mehr Maschinenzeit erwirtschaftet werden. Was braucht es da noch den Menschen? Wenn Menschen immer weniger lang arbeiten, wer zahlt dann noch Steuern? Wie wird der Sozialstaat finanziert werden, wenn Roboter und nicht mehr Personen Werte schaffen?

Viele bewerten den »Aufstieg der Roboter«1 als Bedrohung. Aber eigentlich bietet die Digitalisierung der Arbeitsgesellschaft eine historische Chance, sich neu zu orientieren. Wenn der Mensch durch Maschinen aller Art und durch Automaten mit künstlicher Intelligenz erst ergänzt, später zunehmend auch ersetzt wird, können und sollen alte Verhaltensweisen hinterfragt werden.

Arbeitslosigkeit wird im Zeitalter der Digitalisierung weniger denn je Ergebnis eines mikroökonomischen Scheiterns sein, sondern mehr und mehr zum Zeichen des makroökonomischen Erfolgs. Sie ist nicht die ungewollte Konsequenz einer hoffnungslosen Volkswirtschaft auf dem abschüssigen Weg in die Armut. Im Gegenteil: Sie ist die Errungenschaft einer hoch effizienten Automatisierung, die nicht mehr den Menschen malochen lässt, sondern ihm mehr und mehr erlaubt, einen immer größer werdenden Anteil seiner Lebenszeit nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Eine an sich paradiesische Entwicklung!

Dank der Digitalisierung wird es in Zukunft weder volks- noch betriebswirtschaftlich erforderlich sein, alle Menschen ein immer länger werdendes Leben lang zur Arbeit zu zwingen. Weder bedarf es makroökonomisch so vieler Personen, die ein Leben lang vollbeschäftigt nichts anderes tun, als zu arbeiten. In immer mehr Bereichen werden Automaten und Roboter das meiste nicht nur genauso gut wie Menschen, sondern besser, billiger und fehlerfrei erledigen können. Noch scheint es für manche Tätigkeit ökonomisch sinnvoll zu sein, Menschen aus Existenznot zu gewissen Arbeiten zu verpflichten, die gesundheitsgefährdend, gefährlich, schmutzig oder schlecht bezahlt sind. Dafür wird es jedoch – neuen Technologien sei Dank – in Zukunft immer mehr und bessere »unbemannte Lösungen« geben, die in jeder Beziehung effektiver als Menschen sind. Das ist erfreulich, nicht bedrohlich.

Die Digitalisierung eröffnet neue Horizonte, um mit modernen Konzepten kluge sozialpolitische Antworten auf künftige Herausforderungen durch Roboter, künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge zu finden. Dabei zeigt sich an immer mehr Stellen, dass die Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen gekommen ist. Demografischer und struktureller Wandel sowie die damit einhergehenden politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen erfordern einen Sozialstaat, der den Realitäten des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt. Diesen Erwartungen folgt und genügt ein Grundeinkommen.

Die Grundidee des bedingungslosen Grundeinkommens


»Geld für alle« vom Staat ohne Gegenleistung und in Höhe des Existenzminimums bedeutet einen fundamentalen Perspektivenwechsel: weg von einem Sozialstaat, der im Nachhinein durch aktivierende Maßnahmen korrigieren will, was vorher falsch gelaufen ist. Weg von einer Finanzierung über Abgaben aus dem Arbeitseinkommen. Weg von Arbeitswelten, Familienbildern und Lebensläufen, die schon heute nicht mehr der Wirklichkeit und erst recht nicht dem Alltag der Zukunft entsprechen. Hin zu einer garantierten Teilhabe und einer Ermächtigung aller – im Voraus. Hin zu einer Finanzierung, die auch die Wertschöpfung von Robotern einbezieht. Hin zu Lebens- und Verhaltensweisen, die der Realität des 21. Jahrhunderts...

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