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E-Book

Rechenschwäche

Grundlagen, Diagnostik und Förderung

AutorKatharina Lambert
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl291 Seiten
ISBN9783840926204
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Das Thema Rechenschwäche erfährt in den letzten Jahren zunehmende Beachtung in Forschung und Praxis. Für betroffene Kinder bedeutet das Nicht-Rechnen-Können nicht nur eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer schulischen Entwicklungsmöglichkeiten, sondern gefährdet auch ihre psychosoziale und berufliche Entwicklung. Das vorliegende Buch verknüpft wissenschaftliche Erkenntnisse mit der praktischen Anwendung und bietet so einen umfangreichen und praxisorientierten Überblick über das Themengebiet der Rechenschwäche. Dies soll in Anbetracht der wachsenden Zahl von Ratgebern und Forschungsarbeiten mit teils widersprüchlichen Ergebnissen eine Orientierung ermöglichen. Einleitend werden verschiedene Entwicklungs- und Erklärungsmodelle mathematischen Denkens dargestellt, die als Grundlage für Präventions- und Förderprogramme dienen. Im Anschluss werden die diagnostische Praxis und deren Probleme ebenso ausführlich diskutiert, wie Erkenntnisse der Ursachenforschung und der Langzeitfolgen einer Rechenschwäche. Kurze Fallbeispiele bieten Einblicke in die Situation rechenschwacher Kinder. Erstmalig werden kompakt eine Reihe von mathematischen Frühförderprogrammen und Förderprogrammen für rechenschwache Kinder vorgestellt und kritisch beleuchtet, die im deutschsprachigen Raum im Kontext Kindergarten, Schule und außerschulischer Förderung eingesetzt werden können. Aber auch die außerschulische Förderpraxis wird betrachtet und es werden Kriterien zur Auswahl geeigneter Fördereinrichtungen aufgestellt. Zuletzt werden schul- und sozialrechtliche Rahmenbedingungen in Deutschland aufgeführt.

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Kapitelübersicht
  1. Rechenschwäche
  2. Inhalt
  3. Einleitung
  4. 1 Die Entwicklung mathematischer Kompetenzen
  5. 2 Rechenschwäche – Definition, Ursachen, Diagnostik und Prognose
  6. 3 Prävention
  7. 4 Förderung und Intervention
  8. 5 Rechtliche Aspekte
  9. Literatur
  10. Adressen
Leseprobe
1 Die Entwicklung mathematischer Kompetenzen (S. 13-14)

Wenn Kinder beginnen in der Schule aufzufallen, weil sie in Mathematik nicht nur schlecht mitkommen, sondern ein grundlegendes Verständnis in diesem Fach vermissen lassen, dann ist diesem Nicht-Verstehen meist eine ganze Reihe von Fehlverläufen an unterschiedlichsten Stellen vorausgegangen. Denn die Entwicklung von mathematischem Verständnis beginnt nicht erst mit dem Eintritt in die Schule. In den letzten Jahren rückte insbesondere die mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzentwicklung von Kindergartenkindern in den öffentlichen und wissenschaftlichen Fokus; in diesem Alter werden erste Grundlagen für das systematische Erlernen mathematischer Konzepte gelegt. Doch auch ohne formale Unterweisung verfügen Kinder bereits im Kindergarten und sogar in der Krippe über ein basales Verständnis von Mengen und Zahlbeziehungen. Wie sich dieses Verständnis entwickelt und wann Kinder im Durchschnitt welche Kompetenzen erwerben, stellt eine wesentliche Grundlage bei der Untersuchung und Einordnung der Rechenschwäche dar. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob rechenschwache Kinder „lediglich“ eine Entwicklungsverzögerung aufweisen – ob sie also Kompetenzen in einer ähnlichen Reihenfolge und einer ähnlichen Weise erwerben wie andere Kinder, nur eben deutlich langsamer – oder ob bei diesen Kindern ein grundlegendes Defizit in der Verarbeitung von mathematisch-numerischen Inhalten besteht. Sie würden dann nicht nur mehr Zeit, sondern eine gezieltere oder auch grundlegend andere Art der Unterweisung benötigen. Nur wenn man versteht, wie und wann Kinder bestimmte Fähigkeiten normalerweise erwerben, ist ein frühzeitiges Erkennen und Fördern von Kindern möglich, denen bestimmte Entwicklungsschritte nicht ausreichend gelingen.

Auch wenn das Feld der Mathematik umfassend und komplex ist und aus so vielen unterschiedlichen Teilbereichen besteht, dass es „die eine Entwicklung“ nicht gibt, soll im Folgenden ein kurzer Überblick darüber gegeben werden, wie und wann Kinder bestimmte mathematische Grundfertigkeiten erwerben. Dabei wird jeweils kurz darauf Bezug genommen, an welchen Stellen es zu Schwierigkeiten kommen kann. Darüber hinaus sollen die derzeit gängigsten Theorien und Modelle des Zahlbegriffs sowie der Entwicklung mathematischer Kompetenzen dargestellt werden, die auch im Bereich der Erforschung der Rechenschwäche eine zentrale Rolle spielen.

1.1 Präverbales Verständnis von Mengen und ihre Beziehungen

1.1.1 Tierisches Zahlverständnis

Vorläufer der menschlichen Fähigkeit zur Manipulation von Zahlen und diskreten Mengen finden sich auch im Tierreich. Aus Befunden zum Verständnis von Mengen und Zahlen bei Tieren wird häufig eine biologische Basis von mathematischen Fähigkeiten abgeleitet. In einer ganzen Reihe von Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Rhesusaffen Mengen relativ exakt unterscheiden können. Dabei entscheiden sie nicht nur auf Basis von „mehr“ oder „weniger“. Sie zeigen diese Fähigkeit auch bei unterschiedlicher Darbietungsform, also bei angezeigten Objekten, Tönen oder Lichtsignalen; zudem sind sie in der Lage, von einer Modalität auf die andere zu generalisieren. Rhesusaffen können sogar Objekte auf einem Touchscreen in aufsteigender Reihenfolge korrekt anordnen. Allerdings nimmt die Genauigkeit bei Aufgaben dieser Art mit ansteigender Menge zunehmend ab.

Platt und Johnson (1971) trainierten Ratten darauf, einen Hebel 4-, 8-, 16- oder 24-Mal zu drücken. Es ergab sich eine Normalverteilung von Hebeldrücken um diese Mengen. Dabei nahm die Varianz bei steigender Menge deutlich zu; die Ratten waren also nicht in der Lage, die jeweilige Anzahl abzuzählen, vielmehr schienen sie eine unpräzise Repräsentation von Numerositäten zu besitzen. Bei erwachsenen Menschen zeigt sich übrigens ein ähnliches Muster von Hebeldrücken bei ansteigender Zahl, was darauf hindeutet, dass Menschen und Affen eine ähnliche mentale Repräsentation von Zahlen besitzen (Whalen, Gallistel & Gelman, 1999).

Rhesusaffen scheinen darüber hinaus in der Lage zu sein, arabische Zahlen zu erlernen (Washburn & Rumbaugh, 1991). In einem Experiment sollten sie hierfür Zahlen einer bestimmten Menge zuordnen. Außerdem konnten in Experimenten ähnlich der von Wynn (1992a) mit Säuglingen durchgeführten Versuche (siehe dazu im nachfolgenden Abschnitt), frei lebende Rhesusaffen bei der Rechnung 1 + 1 ein nicht mögliches Ergebnis erkennen (Hauser, Carey & Hauser, 2000; Sulkowski & Hauser, 2000).

Vorläuferfähigkeiten des mathematischen Verständnisses scheinen somit nicht zwangsläufig sprachliche Fähigkeiten vorauszusetzen. Diese Vorläuferfähigkeiten zu spezifizieren und weiterzuentwickeln, bedarf jedoch einer kulturellen Schulung und dafür ist Sprache eine notwendige Bedingung (vgl. Landerl & Kaufmann, 2008).
Inhaltsverzeichnis
Rechenschwäche1
Inhalt7
Einleitung11
1 Die Entwicklung mathematischer Kompetenzen15
1.1 Präverbales Verständnis von Mengen16
und ihre Beziehungen16
1.1.1 Tierisches Zahlverständnis16
1.1.2 Präverbales Mengenverständnis bei Babys17
1.2 Entwicklung von Zählfertigkeiten bei Klein- und25
Vorschulkindern25
1.3 Entwicklung mathematischer Kompetenzen31
im Kleinkind- und Vorschulalter31
1.4 Vom zählenden Rechnen zum arithmetischen37
Faktenwissen37
1.5 Modelle der Zahlenverarbeitung41
1.5.1 Modell der Zahlenverarbeitung und des Rechnens (McCloskey, Caramazza & Basili, 1985)41
1.5.2 Triple-Code-Modell (Dehaene, 1992)42
1.6 Theorien und Modelle der Entwicklung43
mathematischer Kompetenzen43
1.6.1 Die Entwicklung des Zahlbegriffs nach Piaget44
1.6.2 Ein Vier-Stufen-Entwicklungsmodell der Zahlenverarbeitung (von Aster, Kucian, Schweiter & Martin, 2005)49
1.6.3 Modell der mathematischen Kompetenzentwicklung (Fritz, Ricken & Gerlach, 2007)50
1.6.4 Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen (Krajewski, 2003)51
2 Rechenschwäche – Definition, Ursachen, Diagnostik und Prognose56
2.1 Definition und Diagnosestellung56
2.1.1 Diagnosekriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO56
2.1.2 Response-to-Intervention-Kriterium64
2.1.3 Diagnosekriterien des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5)65
2.2 Begrifflichkeiten68
2.3 Prävalenz69
2.4 Komorbiditäten70
2.5 Ursachen75
2.5.1 Genetische Grundlagen76
2.5.2 Neurowissenschaftliche Grundlagen79
2.5.3 Kognitive Grundlagen82
2.5.4 Weitere Einflussfaktoren101
2.6 Symptomatik111
2.6.1 Defizite in den Zählfunktionen113
2.6.2 Defizite im Transkodieren von Zahlwörtern und arabischen Zahlencodes114
2.6.3 Defizite in arithmetischen Kompetenzen114
2.6.4 Defizite im Lösen von Textaufgaben116
2.6.5 Defizite bei der Einordnung von Zahlen auf dem Zahlenstrahl117
2.6.6 Defizite im Approximate Number System118
2.6.7 Defizite beim Erlernen der Uhr118
2.6.8 Geometrie und Maßeinheiten120
2.7 Diagnostik121
2.7.1 Mathematikleistungstest und/oder Dyskalkulietest123
2.7.2 Intelligenztests138
2.7.3 Lese-Rechtschreibtests142
2.7.4 Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit/Konzentration und visuell-räumliche Wahrnehmung143
2.7.5 Psychische Gesundheit143
2.8 Subtypen147
2.9 Prognose150
3 Prävention156
3.1 Frühe mathematische Basiskompetenzen156
und ihr Zusammenhang mit Mathematikleistung156
3.1.1 Number Sense156
3.1.2 Mathematische Basiskompetenzen: Stand der Forschung159
3.1.3 Mathematische Basiskompetenzen und Rechenschwäche164
3.2 Diagnostik früher mathematischer165
Basiskompetenzen165
3.3 Präventionsprogramme168
3.3.1 Mengen, zählen, Zahlen171
3.3.2 Komm ins Zahlenland177
3.3.3 Mina und der Maulwurf180
4 Förderung und Intervention185
4.1 Zum Stand der Interventionsforschung186
4.2 Allgemeine Forderungen an die mathematische194
Förderung194
4.3 Darstellungsmittel197
4.3.1 Cuisenaire Stäbe200
4.3.2 DIENES-Material201
4.3.3 Die Hundertertafel202
4.3.4 Rechenschieber (Abakus)202
4.3.5 Zahlenstrahl202
4.3.6 Kühnelsche Zahlenbilder204
4.3.7 Wassergläser205
4.3.8 Fingerzählen/Fingerrepräsentation207
4.4 Nachhilfe209
4.5 Förderprogramme und -einrichtungen211
4.5.1 Förderprogramme214
4.5.2 Fördereinrichtungen236
5 Rechtliche Aspekte248
5.1 Schulrechtliche Regelungen in Deutschland248
5.1.1 Verwaltungsvorschriften und Erlasse der Bundesländer248
5.1.2 Legasthenie und Dyskalkulie als Behinderung?257
5.2 Gesetzliche Rahmenbedingungen zur Finanzierung259
außerschulischer Rechentherapien259
5.2.1 §35a SGB VIII259
5.2.2 Diagnosestellung262
5.2.3 Die Rolle der Jugendämter263
Literatur265
Adressen293

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