1 Recht
Das folgende Kapitel thematisiert zunächst den Rechtsbegriff im Allgemeinen und geht anschliessend auf das Recht im Gesundheitswesen ein. Dabei werden die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen, das gesetzliche Umfeld und die Akteure des Gesundheitswesens beschrieben.
1.1 Was ist Recht?
Nachfolgend wird das föderale System der Schweiz und die verschiedenen Quellen des Rechts vorgestellt. Zudem wird der Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Normen dargelegt sowie zwischen Recht und Ethik. Schliesslich soll mit den hinweisen zur Rechtsanwendung das juristische Arbeiten nahergebracht werden.
1.1.1 Überblick
Als Recht im juristischen Sinne wird die Gesamtheit aller staatlichen und völkerrechtlichen Regeln bezeichnet, die das Verhalten von Menschen anleiten und beeinflussen. Sie haben zum Ziel, die Handlungen von Menschen, die in der Schweiz leben und arbeiten nach dem Gleichheitsprinzip verbindlich und auf Dauer zu regeln, damit ein weitgehend konfliktfreies Zusammenleben für alle möglich ist.
Rechtsregeln sind verbindlich und gelten für alle. Sie müssen von jedem und jeder befolgt werden. Bei Bedarf können diese Regeln auch mit Unterstützung des Staates durchgesetzt werden. Die Verbindlichkeit und ihre Erzwingbarkeit sind Wesenselemente des Rechts. In gewissen Bereichen ist der Staat auch befugt, gegen Verstösse mit Sanktionen zu reagieren. Dieses ausschliesslich dem Staat zustehende Recht zu strafen, nennt man Gewaltmonopol. Rechtsregeln können als Gesetzesrecht in einer Verfassung, in Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben werden (s. Abb. 1).
Abbildung 1: Rechtsquellen. Quelle: Eigenerstellung des Autors.
1.1.2 Föderales System der Schweiz
In einem föderalen Staatsystem sind die zu regelnden Aufgaben zwischen dem Bundesstaat und den Staaten aufgeteilt. In der Schweiz sprechen wir vom Bund und den Kantonen (auch Stände genannt).
In der Schweizer Bundesverfassung (BV) wird dies in Artikel 3 wie folgt festgehalten:
„Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.“
Somit sind die Kantone in allen Bereichen kompetent, welche nicht explizit dem Bund übertragen wurden. In der BV wird dies in Artikel 42 wie folgt festgehalten:
„Der Bund erfüllt die Aufgaben, die ihm die Bundesverfassung zuweist.“
Der Bund darf nur das tun, wozu ihn die Bundesverfassung ermächtigt. Ohne eine solche Ermächtigung sind die Kantone zuständig. Daher fallen neue Kompetenzen zunächst den Kantonen zu, bis sie dem Bund übertragen werden. Eine solche Übertragung erfolgt stets durch eine Änderung der BV, welche immer durch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger (inkl. Ständemehr) abgesegnet werden müssen.1 Kommt es zu keiner Bundeskompetenz, verbleiben die Aufgaben bei den Kantonen.
Der föderalistischen Struktur entspricht es zudem, dass auch die Kantone nicht abschliessend Recht setzen, sondern dass die Gemeinden eigene Regelungsbereiche haben. Der Umfang der sog. Gemeindeautonomie richtet sich nach dem jeweiligen kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht.
1.1.3 Rechtsquellen
Als Rechtsquelle wird ein geschriebener oder ungeschriebener Ursprungsort einer Rechtsvorschrift bezeichnet, aus der sich die geltenden Rechtsnormen herleiten. Als Rechtsquellen kommen Gesetzes-, Gewohnheits- und Richterrecht in Frage (s. Abb. 2).
Abbildung 2: Gesetzesrecht. Quelle: Eigenerstellung des Autors
Das geschriebene Recht (nur das Gewohnheits- und Richterrecht sind nicht geschrieben) nennt man auch positives oder gesetztes Recht. Es beginnt zu wirken, wenn es in einer amtlichen Publikation veröffentlicht wurde. Dabei ist es unerheblich, ob der einzelne Bürger oder die einzelne Bürgerin das Recht auch tatsächlich kennt.
Artikel 1 Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB) ist hierbei von grundlegender Bedeutung:
„1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2 Kann dem Gesetze keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde.
3 Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.“
1.1.3.1 Gesetzesrecht
Gesetzesrecht ist in einem weiten Sinne zu verstehen. Gemeint sind nicht nur Gesetze an sich, sondern alle generell-abstrakten Vorschriften jeder Stufe. Sie regeln eine Vielzahl von Fällen (abstrakt) und richten sich an eine Vielzahl von Personen (generell). Verfassungen (auf Stufe der Gemeinden heissen diese oft „Gemeindeordnung“), Gesetze und Verordnungen bilden das Gesetzesrecht und sind hierarchisch gegliedert (s. Abb. 3).
Abbildung 3: Gesetzesrecht – Hierarchisierung und Differenzierung. Quelle: Eigenerstellung des Autors
Im Gegensatz hierzu ist die Verfügung individuell (an eine Person gebunden) und konkret (regelt einen bestimmten Sachverhalt). Sie zählt somit nicht zum Gesetzesrecht.
1.1.3.1.1 Verfassung
Die Verfassung ist die oberste rechtliche Grundlage des Staates (oder der Kantone). In der Verfassung sind daher nur Bestimmungen von hohem grundlegendem Wert zu finden.
Die geltende Schweizer Bundesverfassung ist am 1. Januar 2000 in Kraft getreten und hat diejenige von 1874 abgelöst. Sie beschreibt die allgemeinen Ziele der Schweiz, garantiert die Grundrechte, regelt den Staatsaufbau und die Volksrechte. Ferner legt sie die Grundlagen für die Organisation der Bundesverwaltung und das Verfahren der Gesetzgebung fest.
Der Bedeutung der Verfassung entsprechend, ist für die Verfassungsänderung eine besonders intensive Mitwirkung des Volkes vorausgesetzt. Jede Verfassungsänderung muss zwingend dem Volk vorgelegt werden. Eine Änderung tritt in Kraft, wenn ihr sowohl eine Mehrzahl der Stimmenden als auch eine Mehrzahl der Kantone zugestimmt haben.2 Somit hat das Verfassungsrecht eine hohe demokratische Legitimation.
1.1.3.1.2 Gesetze
Alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen sind in der Form des Gesetzes zu erlassen.3 Gesetze sind unbefristete Erlasse, die juristischen4 und natürlichen Personen (Menschen) Pflichten und Rechte einräumen oder die Organisation, die Zuständigkeit oder die Aufgaben der Behörden oder das Verfahren regeln.
Gesetze werden von der Legislative (Parlament) erlassen. Nur wenn von einer bestimmten Anzahl Stimmberechtigten5 das Referendum gegen ein Gesetz ergriffen wird, können auch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über die Vorlage abstimmen. Somit geniessen die Gesetze im Vergleich zu den Verfassungen eine geringere demokratische Legitimation (aber gegenüber den Verordnungen eine höhere).
1.1.3.1.3 Verordnungen
Verordnungen enthalten wie die Gesetze und die Verfassungen generell-abstrakte Vorschriften, sind jedoch Erlasse der Exekutive, zu denen weder Parlament noch Bevölkerung ihr Votum abgeben kann. Verordnungen bedürfen einer Grundlage in einem Gesetz und müssen auch im Einklang mit diesem Gesetz sein. Somit ist die Exekutive in der Gestaltung der Verordnungen nicht frei. Da nur die Exekutive an der Erarbeitung von Verordnungsrecht beteiligt ist, kann sie rasch Änderungen vornehmen und die Verordnung auf neue Gegebenheiten anpassen.
1.1.3.2 Völkerrecht
Neben dem nationalen Recht stellt auch das Völkerrecht – auch internationales Recht genannt – eine Rechtsquelle dar.
Völkerrecht kann von einer überstaatlichen Organisation gesetzt werden (z.B. UNO) oder aber als zwischenstaatliches Recht vertraglich vereinbart werden. Völkerrecht kann bilateral geregelt werden, wenn nur zwei Staaten oder internationale Organisationen miteinander völkerrechtliche Verträge abschliessen. Beispiel sind das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den USA und der Schweiz oder die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU). Völkerrecht kann multilateral ausgestaltet werden, wenn sich mehrere Staaten vertraglich verpflichten, wie z.B. in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Enthält ein multilateraler Vertrag Bestimmungen, welche die Schweiz nicht anerkennen will, kann sie einen Vorbehalt anbringen.
Gegen völkerrechtliche Verträge, welche zu einem unbefristeten und unkündbaren Beitritt zu einer internationalen Organisationen führen, oder Verträge, die wichtige Recht setzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, kann ein Referendum ergriffen werden, welches zu einer Volksabstimmung führt.6 Sieht ein völkerrechtlicher Vertrag einen Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit (z.B. Nato) oder zu supranationalen Gemeinschaften (z.B. EU) vor, kommt es...