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Reich und Arm

Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft

AutorJoseph Stiglitz
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl512 Seiten
ISBN9783641173104
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Warum die Ungleichheit wächst und was wir dagegen tun können
Mit seinem Bestseller »Der Preis der Ungleichheit« hat sich Joseph Stiglitz an die Spitze der Debatte über die zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft in Reich und Arm gesetzt. In seinem neuen Buch beweist der Nobelpreisträger erneut, dass er nicht nur ein brillanter Ökonom, sondern auch ein scharfsinniger politischer Denker ist, der beherzt für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands kämpft.

Wachsende Ungleichheit ist kein Schicksal, sondern Folge politischer Entscheidungen, diese Überzeugung vertritt Joseph Stiglitz vehement. Deswegen fordert er eine Politik, die den Wohlstand endlich wieder gerechter verteilt. In seinem neuen Buch zeigt er uns, jenen 99 Prozent der Bevölkerung, denen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Reich und Arm schadet, welche Risiken die wachsende Ungleichheit birgt und was wir gegen sie tun können. »Reich und Arm« versammelt die einflussreichsten Texte von Joseph Stiglitz aus den letzten Jahren, erstmals sind seine kämpferischen Einwürfe nun auf Deutsch zu lesen. Wer über die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft mitdiskutieren will, wird an »Reich und Arm« nicht vorbeikommen.

Joseph Stiglitz, geboren 1943, war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford, bevor er 1993 zu einem Wirtschaftsberater der Clinton-Regierung wurde. Anschließend ging er als Chefvolkswirt zur Weltbank und wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet. Heute lehrt Stiglitz an der Columbia University in New York und ist ein weltweit geschätzter Experte zu Fragen von Ökonomie, Politik und Gesellschaft. Bei Siedler erschienen unter anderem seine Bestseller 'Die Schatten der Globalisierung' (2002), 'Die Chancen der Globalisierung' (2006), 'Im freien Fall' (2010), 'Der Preis der Ungleichheit' (2012), 'Reich und Arm' (2015) und zuletzt 'Der Preis des Profits' (2020).

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Leseprobe

DER AUSGANGSPUNKT DIESES BUCHES ist die Große Rezession – die mehrere Jahre, bevor ich meine Kolumne über die immer tiefer werdende Kluft zwischen Arm und Reich (»The Great Divide«) zu schreiben begann, einsetzte. Die ersten Aufsätze erschienen im Dezember 2007 in der Vanity Fair – im selben Monat, in dem die US-Wirtschaft in eine Abschwungphase eintrat, die sich als die schlimmste seit der Großen Depression erweisen sollte. In den drei Jahren davor hatte ich zusammen mit einer kleinen Gruppe anderer Ökonomen vor der drohenden Implosion gewarnt. Tatsächlich waren die Warnzeichen unübersehbar – aber allzu viele Leute verdienten zu viel Geld. Es war eine Party im Gange, zu der allerdings nur ein paar der oberen Zehntausend eingeladen waren, während wir Übrigen die Rechnung serviert bekamen. Doch leider waren jene, die eigentlich für den wohlgeordneten Ablauf des Wirtschaftsgeschehens sorgen sollten, etwas zu eng mit denjenigen verbandelt, die die Party schmissen und den ganzen Spaß hatten (und den ganzen Reibach machten). Da diese Kapitel die Vorgeschichte der Krise beleuchten, habe ich sie mit in dieses Buch aufgenommen. Die sich immer breiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich hat maßgeblich zur Entstehung der Großen Rezession in Amerika beigetragen.

Stecken wir zunächst einmal den Rahmen ab: Angeheizt durch ein Spekulationsfieber bei Technologie-Aktien, deren Kurse steil anstiegen, kam es in den Neunzigerjahren zu einer ausgeprägten Boomphase. Nachdem die Blase geplatzt war, schlitterte die Wirtschaft im Jahr 2001 in eine Rezession. Das Allheilmittel der Regierung George W. Bush für jedes Problem waren Steuersenkungen – und insbesondere Steuersenkungen für die Vermögenden.

Für alle, die während der Regierung Clinton hart daran gearbeitet hatten, das Haushaltsdefizit abzubauen, war diese Strategie aus mehreren Gründen beunruhigend. Sie brachte die Defizite zurück – und machte damit all die Bemühungen der zurückliegenden acht Jahre zunichte. Nur um das Defizit zu verringern, hatte die Regierung Clinton Investitionen in die Infrastruktur, in das Bildungswesen und in Hilfsprogramme für sozial Schwache hinausgeschoben. Mit einigen dieser Maßnahmen war ich nicht einverstanden gewesen – meines Erachtens waren kreditfinanzierte Investitionen in die Zukunft unseres Landes ökonomisch durchaus sinnvoll, und ich befürchtete, eine zukünftige Regierung könnte diese hart erkämpften Erfolge für weniger edle Ziele vergeuden.

Als die US-Wirtschaft im Jahr 2001 in eine Rezession rutschte, waren die politischen Entscheidungsträger einhellig der Meinung, ein Konjunkturprogramm sei sinnvoll und notwendig. Doch hätte sich die Konjunktur mithilfe der Investitionen, die wir auf die lange Bank geschoben hatten, weitaus besser ankurbeln lassen als mit den von der Regierung Bush beschlossenen Steuersenkungen für die Reichen.4 Die wachsende Ungleichheit in den USA gab bereits damals Anlass zur Sorge, und diese ungerechten Steuersenkungen machten alles nur noch schlimmer. Ich begann meinen Artikel »Bushs Steuerplan – die Gefahren« in der New York Review of Books vom 13. März 2003 mit diesen Worten: »Selten haben so wenige von so vielen so viel bekommen.«

Schlimmer noch, ich hielt die Steuersenkungen für relativ wirkungslos. Und dies stellte sich als richtig heraus – ein Punkt, auf den ich in diesem Buch immer wieder zurückkomme. Ungleichheit schwächt alles in allem die Gesamtnachfrage und die gesamtwirtschaftliche Leistungskraft. Die zunehmende Ungleichheit in den USA bewirkte eine Geldumverteilung von der Basis zur Spitze der Pyramide, und da die Wohlhabendsten einen geringeren Prozentsatz ihres Geldes ausgeben als die Einkommensschwächsten, dämpfte dies die Gesamtnachfrage. In den Neunzigerjahren verschleierten wir diesen Missstand, indem wir die Technologieblase schufen – und für einen Investitionsboom sorgten. Doch als die Technologieblase platzte, fiel die Wirtschaft in eine Rezession. Bush reagierte mit einer Steuersenkung für die Reichen. Doch da die Verbraucher nur negative Zukunftserwartungen hatten, blieb der erhoffte Effekt der Steuersenkungen zur Ankurbelung der Wirtschaft weitgehend aus. Die weitere Absenkung der Kapitalertragsteuer – zusätzlich zu jener, die ein paar Jahre zuvor von Präsident Clinton durchgeführt worden war – förderte nur die Spekulation. Da hauptsächlich die Spitzenverdiener von dieser Steuersenkung profitierten, war sie besonders ineffektiv und führte dazu, dass die Ungleichheit stark anstieg.

Die wirksamsten Instrumente zur Stärkung der Nachfrage und zur Förderung der Gleichheit sind fiskalpolitische – steuer- und ausgabenpolitische – Maßnahmen, über die in den USA der Kongress entscheidet. Eine mangelhafte Fiskalpolitik setzt die Geldpolitik, die der US-Notenbank (Federal Reserve System, kurz: Fed) obliegt, extrem unter Druck. Die Fed kann die Konjunktur (manchmal) dadurch ankurbeln, dass sie die Zinsen senkt und die Regulierung lockert. Aber diese geldpolitischen Maßnahmen sind gefährlich und sollten mit einem großen Warnhinweis versehen werden: »Sehr behutsam einsetzen und dies auch nur unter der strengen Aufsicht jener, die alle Risiken umfassend verstehen.« Leider hatten die geldpolitischen Entscheidungsträger diesen Warnhinweis nicht gelesen; außerdem waren sie naive Marktfundamentalisten, die glaubten, Märkte seien immer effizient und stabil. Während sie die Risiken ihrer Maßnahmen für die Wirtschaft – und auch für den Staatshaushalt – unterschätzten, schien sie die Tag für Tag zunehmende Ungleichheit nicht weiter zu stören. Das Ergebnis ist mittlerweile bekannt: Sie erzeugten eine Blase, und ihre Politik führte dazu, dass die Einkommens- und Vermögensungleichheit beispiellos zunahm. Die Fed hielt den Motor der Wirtschaft mit einer Niedrigzinspolitik und laxer Regulierung am Laufen. Aber der Preis dafür war eine Immobilienpreisblase. Jeder hätte erkennen können, dass die Immobilienpreisblase und der Konsumboom, den sie hervorbrachte, lediglich eine zeitlich befristet wirksame Symptombehandlung sein konnten. Blasen platzen immer. Unser Konsumrausch bedeutete, dass (die unteren) 80 Prozent der Amerikaner durchschnittlich 110 Prozent ihres Einkommens ausgaben. Im Jahr 2005 liehen wir uns als Nation über 2 Milliarden Dollar täglich im Ausland. Das ließ sich langfristig nicht durchhalten, und in meinen Reden und Schriften habe ich immer wieder davor gewarnt – wobei ich einen meiner Vorgänger als Vorsitzenden des wirtschaftswissenschaftlichen Beirats (des US-Präsidenten) zitierte –, dass das, was langfristig nicht tragfähig ist, auch keinen Bestand haben wird.

Als die Fed in den Jahren 2004 und 2005 die Leitzinsen anzuheben begann, rechnete ich damit, dass die Immobilienpreisblase platzen würde. Das geschah nicht, auch deshalb, weil wir eine Art Gnadenfrist erhielten: Die langfristigen Zinssätze stiegen nicht gleichzeitig an. Am 1. Januar 2006 sagte ich voraus, dass dies nicht so weitergehen könne.5 Bald darauf platzte die Blase, aber es sollte noch gut zwei Jahre dauern, ehe sich die Wirkungen voll entfalteten. So schrieb ich wenig später: »Genauso vorhersehbar wie das Platzen der Immobilienblase sind die Konsequenzen, die sich daraus ergeben …«6 In Anbetracht der Tatsache, dass »nach manchen Berechnungen über zwei Drittel der Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion und der Beschäftigung in den [zurückliegenden] sechs Jahren … mit der Entwicklung des Immobiliensektors zusammenhängen – worin sich sowohl eine erhöhte Neubautätigkeit als auch eine Zunahme des Bestandes der Hypothekendarlehen widerspiegeln, die beide einen Konsumrausch stützen«, hätte es niemanden überraschen dürfen, dass die anschließende Rezession tief und lange war.7

Die Artikel in diesem ersten Abschnitt beschreiben die politischen Maßnahmen, die die Grundlagen für die Große Rezession legten: Was haben wir falsch gemacht? Wer trägt die Schuld? Während die maßgeblichen Akteure und Entscheidungsträger auf den Finanzmärkten, bei der US-Notenbank und im US-Finanzministerium gern so tun, als wäre dies einfach so passiert – als handele es sich um ein unvermeidbares Ereignis, um eine Sintflut, die alle hundert Jahre über uns hereinbreche –, war ich schon damals anderer Ansicht: Die Krise wurde von Menschen verursacht. Heute bin ich sogar noch entschiedener dieser Meinung. Es war etwas, dass das oberste 1 Prozent (tatsächlich ein Bruchteil dieses 1 Prozents) dem Rest der Gesellschaft angetan hat. Die Tatsache, dass es überhaupt geschehen konnte, war schon an sich ein Beleg für die große Spaltung.

Wie es zur Krise kam

DASS DIE GROSSE REZESSION OPFER FORDERTE, ist unbestritten. Aber wer waren die Täter dieses »Verbrechens«? Wenn wir dem Justizministerium, das keinen der Chefs der Großbanken anklagte, die in diesem Drama eine zentrale Rolle spielten, Glauben schenken würden, war dies ein Verbrechen ohne Täter. Ich bin nicht dieser Meinung – wie übrigens auch die meisten Amerikaner. In drei der hier wieder abgedruckten Artikel will ich herausfinden, wer die US-Wirtschaft auf dem Gewissen hat, und den historischen Bogen nachzeichnen, der uns in diese Krise führte.8 Ich wollte weiter ausholen und detaillierter in die Vergangenheit zurückgehen. Der schlecht geplante und ausgeführte Krieg im Irak, der uns letztlich Billionen von Dollar kosten wird, war das aufschlussreichste Beispiel.9 Die Hauptschuld trägt meines...

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