Verhaltenstipps A–Z
∎Anrede: In Chile ist man schnell beim „Du“, meist auch ohne besondere Absprache. Junge Leute, Freunde, gute Bekannte und Kollegen duzen sich sowieso, Ältere die Jüngeren und auch unter Unbekannten auf der Straße ist es nicht ungewöhnlich. Gleichwohl ist Usted, das „Sie“, die korrekte und bei einer Vorstellung übliche Form. Im Zweifelsfall ist man mit Usted auf der sicheren Seite (mehr dazu ab Seite 237).
∎Armut und Bettelei: Auf Bettler trifft man in Chile meist vor Kirchen oder an Busbahnhöfen, ansonsten nimmt die Bettelei kreativere Formen an. Beschönigend werden freiwillige Gaben auch „Trinkgeld“ genannt. So verdingen sich propineros (Trinkgeldverdiener) an den Kassen der Supermärkte als Einpacker oder auf Parkplätzen, wo sie auf Fahrzeuge aufpassen und diese auf Kundenwunsch auch waschen. Nicht nur, dass propineros Unternehmen kostenfrei zur Verfügung stehen, sie zahlen sogar Abgaben in Form einer Art Standgebühr pro Tag. Meist handelt es sich um junge Leute, Senioren oder Arbeitslose, die sich mit „Trinkgeldern“ einen Zuerwerb für ihre Ausbildung oder ihr täglich Brot verdienen (müssen). Zwischen 100 und 500 Pesos (15 bis 70 Cent) liegen die bereitwilligen Gaben. In Cafés, Straßenimbissen und Bussen trifft man zudem häufig auf „ambulante Händler“, Musiker oder Gaukler. Sie bieten mit Kleinwaren – von Heftpflastern bis zu orthopädischen Stützstrümpfen – so ziemlich alles feil, singen, musizieren, tragen Gedichte vor oder erzählen Witze. Schließlich bitten sie um etwas Geld. Während man in Europa als Geringverdiener, Arbeitsloser oder Alleinerziehender auf staatliche Unterstützung zählen kann, springt man in Chile in einen Bus und verkauft Eis am Stiel, bis man das Abendessen für die Familie zusammen hat. Hier zu kaufen und zu geben, löst nicht das Problem der verdeckten Arbeitslosigkeit, doch man kann darauf vertrauen, damit etwas Gutes zu tun. Mehr zu den Hintergründen im Abschnitt „Land der Lohnarbeiter“ ab Seite 132.
∎Begrüßung und Verabschiedung: Wo sich das Deutsche mit einem Telegrammstil begnügt, fallen Begrüßung und Abschied auf Chilenisch weit wortreicher und herzlicher aus. Frauen werden stets zuerst begrüßt und geküsst, denn zu einer chilenischen Begegnung gehört ein flüchtiger Kuss auf die linke Wange. Auch chilenische Männer kommen sich näher als deutsche: per Händedruck, der oft mit einem leichten Schulterklopfen einhergeht. Mehr dazu ab Seite 238.
∎Behörden und Polizei: Beamte und Polizisten arbeiten sehr korrekt und genießen Achtung in der Bevölkerung. Korruption in geldlicher Form ist nicht weit verbreitet und ein zugesteckter Geldschein kann Ermittlungen wegen versuchter Bestechung nach sich ziehen und ist daher besser zu unterlassen. Als Tourist oder Neuankömmling fördert mitunter der Umstand, Ausländer zu sein, Entgegenkommen. Üblicherweise ebnen pitutos, „gute Freunde“ bzw. Vitamin B, behördliche Wege. Weiteres hierzu in den Abschnitten „Freundschaftsdienste“ ab Seite 235 und „Polizei“ ab Seite 250.
∎Bekleidung: Auf ein gepflegtes Äußeres wird großer Wert gelegt. Abgesehen von Klima und Jahreszeit bemisst sich die Kleidung nach Sozialstatus, Beruf und natürlich dem Anlass. Grundsätzlich setzt man auf eine gediegene, solide Garderobe und gibt sich eher formell. In den Büros und Amtsstuben dominieren Anzug und Krawatte bzw. Kostüm bei den Damen, welches selbst bei hohen Temperaturen eisern geund ertragen wird. Bei allzu freizügiger europäischer Sommermode sollte man vorsichtig sein, denn im eher zurückhaltenden Chile könnte das mit hochgezogenen Augenbrauen kommentiert werden. Mehr hierzu im Kapitel „Sauberkeit und Ästhetik“ ab Seite 212.
∎Demonstrationen: Seit 2011 gehen immer mehr Bürger auf die Straße und machen mobil. Es geht um Bildungspolitik, Forderungen der indigenen Bevölkerung oder den Bau von Staudämmen in Patagonien. Der Protest ist laut, bunt und erfasst alle Milieus. Zuweilen kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, die Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten einsetzt. Um nicht zwischen die Fronten zu geraten, sollte man sich von diesen Schauplätzen eher fernhalten. Genaueres zu den Hintergründen ab Seite 109 im Abschnitt „Soziale Bewegungen“.
∎Dokumente: Das in Chile meist gezückte Papier ist die cédula (Cédula de Identidad), die dem Personalausweis bzw. der Identitätskarte entspricht. Wichtiger als der Name ist hierbei die RUT (Rol Único Tributario), die auf der cédula abgedruckte Steuernummer, ohne die in Chile nichts läuft. Ob beim Einkauf, Abschluss eines Mietvertrages, Ausleihen einer DVD oder Abholen eines Päckchens bei der Post, allerorten wird die neunstellige RUT verlangt, die jeder Chilene von klein auf auswendig weiß. Ist ein längerer Aufenthalt im bürokratieverliebten Chile geplant, ist anzuraten, sich mit beglaubigten Kopien von Geburts-, Heirats- und Berufsabschlussdokumenten einzudecken. Mehr zu diesem Thema unter „Bürokratie und Paragrafendschungel“ ab Seite 174.
∎Erdbeben: „Jeder größere politische Umbruch beginnt mit einem Beben“, heißt es in Chile. Das fünftstärkste je gemessene Erdbeben erschütterte im Februar 2010 das Land und läutete gleichzeitig einen Machtwechsel ein. Die konservative Regierung bekleidete mit Sebastián Piñera das Amt bis März 2014, als die Sozialistin Michelle Bachelet zum zweiten Mal Präsidentin wurde – und abermals ereignete sich ein starkes Beben mit heftigen Nachbeben im Norden des Landes. Die Erde kommt in Chile, das an der Grenze der tektonischen Nazca- und der Südamerikanischen Platte liegt, nicht zur Ruhe und steht ständig unter Spannung. Die Chilenen sind daran gewöhnt, dass die Erde immer wieder spürbar bebt. Die temblores (schwächere Beben) sind Tagesgespräch wie hierzulande ein heftiges Gewitter. Wie Chilenen mit Beben umgehen und welche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen sind, wird im Kapitel „Erdbeben und Vulkanausbrüche“ ausführlicher beschrieben (ab Seite 177).
∎Ess- und Trinksitten: In Chile isst man gern und gern auch frisch. So backen die panaderías (Bäckerläden) mehrmals am Tag und selbst in den entlegensten Winkeln des Landes bekommt man immer irgendwo noch frisches Brot. Weißbrot in Form riesenhafter Brötchen wird zu den üppigen Mittagessen gereicht und zur once serviert, der chilenischen Teezeit zwischen 17 und 19 Uhr. Denn Chilenen sind eher Teeals Kaffeetrinker. Mit Kaffee ist in Chile löslicher Nescafé gemeint, der allerorten meist in kleinen Tütchen verpackt angeboten und selbst in Luxusrestaurants auf silberne Löffel gehäuft kredenzt wird. Echten Bohnenkaffee hingegen, café de grano oder cafécafé, gibt es vorwiegend in den Cafés der Hauptstadt. Besonders unter Geschäftsleuten beliebt sind die Stehcafés „mit Beinen“ (cafés con piernas), z. B. Haiti oder Café Caribe, in Santiago, wo adrette Damen im Minirock den Frischgebrühten ausschenken (mehr ab Seite 180).
∎Fotografieren: Übermannshohe Kakteen, Pinguine im Frack, majestätische Araukarien: Chile bietet einen reichen Schatz an Motiven für Naturaufnahmen. Menschen hingegen zu fotografieren, erfordert ein hohes Maß an Sensibilität, insbesondere in den ländlichen und indigenen Gebieten. Hier sollte stets um Erlaubnis gefragt werden, wenn nicht verbal, dann über Augenkontakt – auch bei Kindern. Mitunter glaubt man nämlich, ein Foto würde die Seele rauben.
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„Pisco“ und das Geheimnis einer guten Feier
∎Gastfreundschaft: Auf eine vorschnelle Kameradschaft, wie man sie im Allgemeinen mit Südamerika verbindet, trifft man in Chile weniger. Gegenüber Fremden reagieren Chilenen mit einer Art höflich zurückhaltender Gastfreundschaft. Sobald jedoch das Eis gebrochen ist, sind sie äußerst liebenswürdig und aufrichtig interessiert an Besuchern aus Europa. „Woher kommst du“ und „Wohin geht die Reise“ sind meist der Auftakt der Fragen, um ins Gespräch zu kommen. Bald stellt sich eine Verbindung heraus, ein Freund etwa, der...