Ein Land, ein Volk, eine Sprache
„Erstens: Wir, Söhne und Töchter Indonesiens,
bekennen uns zu einem Heimatland, dem indonesischen Land.
Zweitens: Wir, Söhne und Töchter Indonesiens,
bekennen uns zu einer Nation, der indonesischen Nation. Drittens: Wir, Söhne und Töchter Indonesiens,
achten die uns vereinigende Sprache, die indonesische Sprache.“
(Sumpah Pemuda – Schwur der Jugend vom 28. Oktober 1928)
Ein Volk, ein Land? Der historische Hintergrund
Junge Nationalisten verkündeten im geschichtsträchtigen Jugendschwur von 1928 programmatisch: „ Satu nusa, satu bangsa, satu bahasa“ („Ein Land, ein Volk, eine Sprache“) – das sollte die zukünftige indonesische Identität ausmachen und die über 200 verschiedenen ethnischen Gruppen in einem unabhängigen Staat Indonesien auf einer territorialen Fläche vereinen, die damals das holländische Kolonialreich Nederlands Oost-Indië (Niederländisch Ostindien) ausmachte. Damit verband die Menschen des Archipels bei der Gründung der Republik Indonesien im Jahr 1945 vor allem die gemeinsame koloniale Erfahrung. Seine weitreichendste Ausdehnung erreichte das Kolonialreich allerdings erst Anfang des 20. Jh.: Regionen wie Südbali und Aceh wurden ihm zu einem Zeitpunkt einverleibt, als andere Teile des Archipels wie die Molukken und einige Gebiete auf Java bereits drei Jahrhunderte niederländische Kolonialherrschaft erduldet hatten. Erst die gewaltsame Einverleibung der höchst unterschiedlichen Völker in ein gemeinsames koloniales Herrschaftsgebiet schuf die Voraussetzungen dafür, dass unter den einheimischen Intellektuellen ein Bewusstsein einer völker- und sprachenübergreifenden Identität als Bewohner des malaiischen Archipels entstehen konnte. Vor dem 20. Jh. gab es keine Vorstellung von einem „Indonesien“ oder einer „indonesischen“ Identität. Es gab die niederländischen Herrscher, Indoeuropäer (Mischlinge), die „fremden Orientalen“, d. h. die Chinesen und Araber, und dann all die einheimischen Völker, die sogenannten pribumi: Javaner, Sundanesen, Balinesen, Minangkabau, Batak, Betawi, Acehnesen, Malaien, Bugis, Ambonesen und und und …
Von frühesten Zeiten an standen die Völker des malaiischen Archipels im Mittelpunkt zentraler Handelsrouten, die den Osten und Westen, China, Indien, Arabien und Europa miteinander verbanden. Im vorkolonialen, damals nur spärlich besiedelten Südostasien ging es den Herrschern nicht so sehr um die territoriale Ausdehnung, sondern vornehmlich um die Kontrolle der wichtigsten Handelswege und -stützpunkte. Denn das kaum bewohnte Hinterland war meist geprägt von Sumpflandschaften und nur schwer zugänglichem Urwald, machtpolitisch also eher uninteressant. Es ging um die Anzahl an Menschen, über die ein Machthaber verfügen konnte: Ernteabgaben, Steuerzahlungen für Handelsgüter und Frondienste machten die Herrschaft über neu unterworfene und oft auch zwangsumgesiedelte Untertanen wichtiger als genau abgesteckte geografische Grenzen eines Reiches. In sich geschlossene, genau begrenzte Staatsgebiete im modernen Sinn waren unbekannt: die Grenzen verliefen fließend und je weiter vom Herrschaftszentrum entfernt, desto weniger war von der Macht der Hauptstadt zu spüren. Wenn es außer dem Meer noch etwas im Überfluss gab, dann war es freies, noch unbewohntes und mithin noch unbeherrschtes Land – wer unzufrieden war, zog mit seinen Familienmitgliedern und Anhängern einfach weg.
Die vorkolonialen Reiche: indischer und islamischer Einfluss (ab dem 4. Jh.)
Steininschriften auf Sanskrit in Südkalimantan aus dem 4. Jh. n. Chr. und in Westjava aus dem 5. Jh. zeugen vom indischen Einfluss auf die frühen hinduistischen Reiche Kutai und Tarumanagara. Die Herrscher dieser Reiche schmückten sich mit Ehrfurcht einflößenden Titeln aus dem Sanskrit, sie übernahmen das hinduistische Konzept vom Gottkönigtum und die buddhistische Vorstellung vom kosmischen Weltenherrscher.
Das große Seereich Sriwijaya, das sein Zentrum in der Nähe des heutigen Palembang in Südsumatra hatte und vom 7. bis 11. Jh. den Handelsverkehr zwischen der Straße von Malakka, der Javasee und dem Südchinesischen Meer dominierte, war für den hohen Standard seiner buddhistischen Gelehrsamkeit bekannt. In Zentraljava wurde unter der Shailendra-Dynastie in der Nähe des heutigen Yogyakarta um das Jahr 800 n. Chr. der Borobudur errichtet, eine der größten buddhistischen Tempelanlagen der Welt. Nur wenige Jahrzehnte später wurde unter der hinduistischen Sanjaya-Dynastie des ersten Mataram-Reiches der Hindu-Tempel Prambanan fertiggestellt, bevor sich das Machtzentrum nach Kediri und dann nach Singhasari in Ostjava verschob.
Das ostjavanische Reich Majapahit war im 14. Jh. die einflussreichste Macht in weiten Teilen des malaiisch-indonesischen Archipels, von der malaiischen Halbinsel über die Küstengebiete Borneos bis nach Ostindonesien. Unter dem Herrscher Hayam Wuruk und seinem legendären Minister Gajah Mada erlebte das Großreich eine Blütezeit, die in der indonesischen Geschichtsschreibung verklärt wurde zum „Beweis“ für eine historische indonesische Einheit unter der Vorherrschaft Javas.
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Beeindruckendes Erbe aus der indisch beeinflussten Vergangenheit: die Tempelanlage Borobudur in Zentraljava
Großmächte wie Majapahit hatten andere Reiche meist nicht unterworfen und sie ihrem Herrschaftsgebiet einverleibt, sondern es ging vielmehr um Vasallenbeziehungen, Bündnisse und die so wichtigen Tributzahlungen an die hegemoniale Macht. Die einzelnen Reiche, ja oft sogar die Dörfer im Hinterland des Reichszentrums blieben meist relativ autonom, solange sie durch ihre Tributzahlungen, Ernteabgaben, Steuern auf Handelsgüter und Arbeitseinsätze dem Herrscher ihre Loyalität bezeugten.
Auch als sich ab dem 13. Jh. zunehmend der Islam im Archipel entlang der Handelsrouten verbreitete und das Sultanat von Malakka im 15. Jh. die Vorherrschaft übernahm, änderte sich an diesen Strukturen nur wenig. Die ehemaligen Gottkönige nannten sich nun Sultan, sie galten als der „Schatten Gottes“ auf Erden und sahen sich als Allahs irdischen Stellvertreter. Statt Indien war nun die arabisch-muslimische Welt der ideologische und kulturelle Bezugspunkt, auf den sich die Sultane und lokalen Fürsten zur Legitimierung ihrer Autorität beriefen. Die malaiischen und nordjavanischen Sultanate, oft nicht mehr als Stadtstaaten, konkurrierten wie schon die vorislamischen Reiche miteinander und kämpften, in ständig wechselnden Allianzen miteinander verbündet, um die Vorherrschaft. Dabei ging es vor allem um die Kontrolle des Handels und der Piraterie, wobei die Grenze zwischen beiden damals fließend war.
Der rituell-symbolischen Inszenierung von Macht und Autorität kam eine wesentliche Bedeutung zu, sie war schon in den vorislamischen Reichen grundlegend für die Aufrechterhaltung und Legitimation der Herrschaft. Der zur Schau gestellte Reichtum lockte Anhänger an und demonstrierte Macht und Prestige. Angesichts der nur geringen tatsächlichen Macht vieler Rajas (lokale Fürsten) und Sultane kamen die hochtrabenden Ehrentitel und pompösen Hofzeremonien in ihrer prahlerischen Selbstherrlichkeit den westlichen Händlern und Kolonialherren oft grotesk vor. Doch Macht und Autorität beruhen bis heute in Südostasien mehr als bei uns auf persönlichem Charisma und symbolischem, demonstrativ öffentlich inszeniertem Prestige. Der Anthropologe Clifford Geertz sprach anhand eines balinesischen Beispiels gar vom „Theaterstaat“. Auch heute noch zeichnen sich in Indonesien Herrschaft und ihre Legitimierung durch deutlich theatralische Elemente aus.
Unterwerfung unter die Kolonialmacht: Niederländisch Ostindien (ab dem 17. Jh.)
Im malaiischen Archipel waren anfangs vor allem die Molukken, auch bekannt als die „Gewürzinseln“, für die Europäer von Interesse. Portugiesen, Spanier, Niederländer und Briten suchten ab dem 16. Jh. den Handel mit den wertvollen Gewürzen zu dominieren und hinterließen überall im Inselreich ihre Spuren. Zeitgleich breitete sich der Islam weiter in der Region aus. Die Europäer hatten anfangs nur relativ wenig Einfluss, sie konkurrierten mit den arabischen, indischen, chinesischen und einheimischen Händlern und waren über lange Zeit hinweg lediglich ein Global Player unter vielen.
Mit der Eroberung der westjavanischen Hafenstadt Jayakarta, dem heutigen Jakarta, durch die niederländische Handelsgesellschaft VOC (Vereenigde Oostindische Compagnie) begann 1619 die folgenschwere Präsenz der Niederländer auf Java. Umbenannt in Batavia, blieb die Stadt bis zum Ende der Kolonialzeit der holländische Hauptstützpunkt im malaiischen Archipel. Auf Java geriet die VOC schnell in die innerjavanischen Machtkämpfe zwischen...