Wendepunkte in der Geschichte Kambodschas
Gründungslegende
Im Geschichtsunterricht lernen kambodschanische Schüler verschiedene Legenden über die Gründung des Khmer-Reiches kennen. Einer dieser Legenden zufolge kam Buddha kurze Zeit vor seinem Tode in Begleitung des Mönchs Ananda auf eine Insel mit einem großen Thlok-Baum. Auf dem Baum lebte eine Eidechse, der Buddha etwas zu Essen gab. Er sagte voraus, dass diese Eidechse im nächsten Leben als Preah Thaong, Sohn des Königs Intapath, geboren und ein großes Reich regieren würde. Die Bevölkerung des Landes jedoch würde nicht ehrlich sein, was er aus der gespaltenen Zunge der Eidechse ablas. So geschah es dann auch.
Als Prinz Preah Thaong wegen eines Streites aus seiner Heimat vertrieben wurde und zu der Insel mit dem Thlok-Baum kam – die Kambodschaner nennen dieses Land Kok Thlok (kok – Land, thlok – Baumart), sah er eine wunderschöne Naga-Prinzessin. Beide verliebten sich ineinander und mit dem Einverständnis des Naga-Königs wurde eine großartige Hochzeit gefeiert. Der Naga-König trank das Meer zwischen Insel und Festland aus. So entstand das erste Khmer-Reich, das den Namen Krong Kampuchea trug und dessen erster Herrscher Preah Thaong wurde. In einer ähnlichen Legende wird davon berichtet, dass sich Preah Thaong, um sicher in das unterirdische Reich der Nagas zu gelangen, am Saum des Gewandes der Naga-Prinzessin festhielt. Daran erinnert heute noch die Hochzeitszeremonie taong sbay (am Stoff festhalten), die bedeutet, dass die Braut den Bräutigam, der sich an ihrem Blusensaum festhält, nach der Hochzeitsfeier in das Schlafgemach führt.
Die frühen Khmer-Reiche Funan und Chenla
Berichten chinesischer Gesandter aus dem 3. Jahrhundert zufolge gab es im südlichen Gebiet der heutigen Halbinsel Indochina ein Reich, das die Chinesen Funan nannten. Dieses Reich wurde von verschiedenen europäischen Gelehrten des 19. und 20. Jahrhunderts als das erste Khmer-Reich identifiziert.
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„Krishna, den Berg Govardhana hochstemmend” – Statue aus dem 6. Jh.
Funan war das erste indisierte Königreich in Südostasien, das in der Zeit zwischen dem 1. und 7. Jahrhundert bestand. Das Territorium umfasste den unteren Teil des heutigen Kambodscha und den südlichen Teil des heutigen Vietnam. Funan hatte über mehrere Jahrhunderte die Oberherrschaft über viele Vasallenstaaten, darunter über Chenla, das sich im Jahr 550 von Funan befreite und es im Gegenzug im 7. Jahrhundert eroberte.
Chenla nun war das zweite indisierte Khmer-Reich, dessen Könige größtenteils Shivaiten waren oder Anhänger des Hari-Hara-Kult (Vereinigung von Shiva und Vishnu). In der Chenla-Periode vom 7. bis zum 8. Jahrhundert liegen die Anfänge der großen Khmer-Baukunst. Im ersten Drittel des 8. Jahrhunderts zerfiel Chenla in zwei Teile, Chenla des Festlandes und Chenla des Meeres. Das ganze 8. Jahrhundert war von Anarchie geprägt. Die Schwäche Chenlas ausnutzend haben in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts Fürsten aus Java Chenla annektiert.
Die Angkor-Zeit
Mit der Befreiung des Landes von der javanischen Annexion durch König Jayavarman II. zu Beginn des 9. Jahrhunderts begann eine neue Ära in der Geschichte Kambodschas: Das Angkor-Reich entstand. König Jayavarman II., der von 802 bis 850 herrschte, vereinigte das Land. Seine endgültige Hauptstadt gründete Jayavarman II. im nördlichen Teil des Landes, in der heutigen Provinz Siem Reap. In diesem Gebiet entstanden zur Zeit Jayavarman II. und in der Folgezeit zahlreiche monumentale Bauwerke von höchster architektonischer Leistung sowie ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem. Mit „Angkor” bezeichnen die Historiker alle Reiche, die 600 Jahre lang (vom 9. Jahrhundert an gerechnet) in der besagten Region, wo unter anderen auch der berühmte Tempel Angkor Wat steht, einander abgelöst haben. Das Wort Angkor ist ein umgangssprachlicher Ausdruck des Wortes Nokor, was so viel heißt wie „Stadt”. Das Wort Nokor ist ein Lehnwort aus dem Sanskrit/Pali. Die richtige Umschrift hierfür ist nágara (Sanskrit) bzw. nagara (Pali).
Bis zum 13. Jahrhundert gab es nur das Champa-Reich als direkt konkurrierende Macht in der Region. Ab dem 13. Jahrhundert entwickelten sich die Siamesen zu einer regionalen Macht im Westen Kambodschas. Unter dem Eroberungsdruck der Siamesen wurde die Hauptstadt Angkor am Anfang des 15. Jahrhunderts aufgegeben.
Die Nach-Angkor-Periode
Nach der Aufgabe Angkors wählten die Khmer-Könige verschiedene strategisch günstige Orte als Hauptstädte wie z. B. Phnom Penh, Longvek und Udong. Kennzeichnend für die Kultur der Nach-Angkor-Zeit ist die Tatsache, dass der Theravada-Buddhismus die gesamte kambodschanische Gesellschaft erfasste. Seine sich sehr schnell vollziehende Ausbreitung war auch dafür verantwortlich, dass ab dem 13. Jahrhundert keine monumentalen Tempelbauten mehr errichtet wurden. Geschwächt durch interne Auseinandersetzungen und wachsenden Druck seitens der Siamesen und der Annamiten verlor Kambodscha im 17. Jahrhundert endgültig seine Stellung als eine regionale Macht.
Die Kolonialzeit
Politisch erlebte Kambodscha im 18. und 19. Jahrhundert einen Tiefpunkt, wodurch es zum Streitobjekt zweier Regionalmächte – Siam und Annam – wurde. Im 19. Jahrhundert schließlich war der politische Einfluss Siams auf Kambodscha viel stärker als der Annams.
Auf der Suche nach einer Schutzmacht, die ein Gegengewicht zu den beiden Nachbarn bilden konnte, bat der kambodschanische König Ang Duong Mitte der 50er-Jahre des 19. Jahrhunderts Napoleon III. um Hilfe. Doch der siamesische König erfuhr davon und vereitelte die kambodschanischen Pläne. 1859 starb König Ang Duong und sein Sohn Norodom folgte ihm auf den Thron. Der Anfang seiner Herrschaftszeit fiel mit dem kolonialen Engagement Frankreichs in Südostasien zusammen. Während England seine Machtsphäre von Westasien aus auf Burma, die malaiische Inselwelt, Singapur und verstärkt auf Thailand ausdehnte und den Holländern Indonesien überließ, bemächtigte sich Frankreich Indochinas. Doch der Blick Frankreichs reichte noch weiter und nahm mit Südchina einen weiteren Teil des mächtigen asiatischen Reiches ins Visier. Damit kreuzten sich die Interessen der Franzosen und der Engländer.
Nachdem französische Truppen Ende der 1850er-Jahre unter dem Vorwand, verfolgte französische Missionare zu schützen, verschiedene Orte im heutigen Südvietnam eingenommen hatten, etablierte sich Frankreich als eine koloniale Macht in der Region. In der Folgezeit begann die koloniale Administration, ihre Aktivitäten auf Kambodscha auszudehnen. Delegationen wurden an den Königshof in Udong geschickt und Expeditionen ins Land entsandt, um dessen Beschaffenheit und Ressourcen zu erkunden. Vor allem wurde der Lauf des Mekongs studiert, denn der Fluss sollte Frankreich den Zugang zu den Ressourcen und Märkten Südchinas ermöglichen.
Aufgrund der Unterordnung Kambodschas Annam gegenüber und der Kolonialherrschaft Frankreichs über Cochinchina (ein Teil von Annam) leitete die koloniale Administration ihre Befugnisse zu den Eingriffen in die Angelegenheiten Kambodschas ab. Als Gegenleistung bot Frankreich dem kambodschanischen Königshof Schutz vor den Eroberungen der Annamiten und vor den Siamesen. Da Frankreich bereits den südlichen Teil Vietnams besetzt und die Macht des vietnamesischen Kaisers gebrochen hatte, blieb in Bezug auf Kambodscha lediglich noch die Aufgabe, die Oberherrschaft des siamesischen Königshofs über den Khmer-König zu beseitigen.
Nach einigen Verhandlungen kam es im August 1863 zur Unterzeichnung des Protektoratsvertrages zwischen dem Vertreter Frankreichs de la Grandière und König Norodom. Der Vertrag regelte im Wesentlichen Folgendes: Er versicherte Kambodscha den Schutz Frankreichs gegen äußere Angriffe. Französische Schiffe hatten freien Zugang zu kambodschanischen Gewässern und waren außer von der Opiumsteuer von allen anderen Steuern und Abgaben befreit. Im Gegenzug durften kambodschanische Schiffe frei die Häfen von Cochinchina anlaufen und dort Handel treiben. Französischen Bürgern wurde Siedlungs- und Bewegungsfreiheit in Kambodscha zugesichert und umgekehrt den Kambodschanern ähnliche Rechte in Frankreich. Kambodscha gab Frankreich Landkonzessionen für den Bau von Lagern für Kohle und Nahrungsmittel, die französische Schiffe benötigen, Land für die Errichtung von Kasernen für französische Soldaten und die Erlaubnis Holz für den Bau von Schiffen zu schlagen. Außenpolitisch akzeptierte...