„Unter strafrechtlichen Sanktionen werden alle staatlichen Maßnahmen im Rahmen eines strafrechtlichen Verfahrens verstanden, welche sich als Schuldausgleichende und/oder kriminalpräventiv ausgerichtete Rechtseinbuße gegen denjenigen richten, der eine rechtswidrige Tat (§ 11 I Nr. 5 StGB) begangen hat.“[30] Demnach sind Strafen, aus dem menschlich- rechtlichen Blickwinkel betrachtet nicht nur Sanktionen, die der Gesetzgeber als Strafe bezeichnet, sondern auch solche, die ihnen gleichkommen.[31] Für Hart ist Strafe konstituiert durch:
- “…pain or other consequences normally considered unpleasant,
- inflicted for an offence against legal rules,
- upon actual or supposed offenders on the ground of the offence committed,
- intentionally administered by human beings (other than the offender),
- Constituted as authorities within that legal system.”[32]
Das sagt aus, dass Strafe durch Schmerz (Übel) und andere unangenehme Konsequenzen gekennzeichnet ist, welche aufgrund einer Handlung gegen Rechtsvorschriften zugefügt wird. Die tatsächlichen oder angenommenen „Übeltäter“ werden somit sanktioniert. Diese Sanktion wird absichtlich durch andere Menschen ausgeübt. Nach Hart gilt Strafe als eine Autorität innerhalb eines zugelassenen Systems (Zwang).[33]
Strafe stellt ein fundamental menschliches Bedürfnis dar.[34] Unser Rechtsempfinden spiegelt sich im heutigen Strafgesetzbuch wieder. Das heißt, unser Recht ist straf- und nicht schutzorientiert. Regelungen zum Umgang mit Opfern finden wir nicht vor. Das Strafrecht widmet sich nicht speziell Sachverhalten, wie Wiedergutmachung, oder „Täter-Opfer- Ausgleich“.[35]
Sanktionen verdeutlichen in der Gesellschaft die verletzte Norm und bestätigen sie. Diese Normen setzen primär und überwachen sekundär die elementaren Bestandteile der sozialen Kontrolle. Ohne diesen mächtigen Schlusspunkt der Sanktion würde nach Rössner jede Verhaltensnorm durch Missachtung von hinten aufgerollt.[36]
Strafzwecke lassen sich klassischerweise in absolute und relative Strafzwecke unterteilen. Diese Unterscheidung beruht auf Protagoras, der bereits 400 v. Chr. schrieb:
„Niemand bestraft einen Rechtsverbrecher aufgrund abstrakter Überlegungen oder einfach deshalb, weil der Täter das Recht gebrochen hat, es sei denn einer nehme unbedacht Rache wie ein wildes Tier. Jener der mit Vernunft straft, rächt sich nicht für das geschehene Unrecht, denn er kann es nicht ungeschehen machen. Vielmehr schaut er in die Zukunft und versucht, den Täter und andere mit der Strafe davon abzuhalten, das Recht wieder zu brechen.“[37]
Dabei werden hinsichtlich der Zeitperspektive Unterschiede gemacht.
Absolute Strafzwecke beziehen sich auf die Vergangenheit („quia peccatur“) relative Strafzwecke dagegen auf die Zukunft („ne peccetur“).[38]
Abbildung 1: Zweck der Strafe[39]
Die absoluten Strafzwecke stellen keine Kriterien für die Gestaltung des Vollzugs dar, haben also keine unmittelbare Gestaltungswirkung. § 2 des StVollzG beinhaltet die ausdrückliche Beschränkung der allgemeinen Strafzwecke für den Vollzugsbereich.[40]
Die über den § 2 StVollzG hinausgehenden Strafzwecke scheiden als handlungs- und entscheidungsleitende Gesichtspunkte für Vollzugsentscheidungen aus.[41] Das Gesetz liefert uns keine ausdrückliche Erklärung zu Strafzwecken, allerdings liegen Festlegungen zu den Strafzumessungserwägungen vor. Dabei greift man auf die Grundlagenformel des § 46 StGB zurück, der die Grundsätze der Strafzumessung, also die Schuld des Täters voraussetzt.[42] Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind dabei zu berücksichtigen.[43]
Hinsichtlich der Einteilung der Strafzwecke können wir auch das Modell der verschiedenen Spuren hinzuziehen. Es differenziert zwischen ein- und zweispurigen Möglichkeiten (z. B. Strafe nach Schuldzumessung, Strafe aus Gründen der Gefährlichkeit oder für Schutz der Gesellschaft) und geht auf die Frage zurück, weswegen wir strafen. Das deutsche Recht verfolgt seit Bestehen des Gewohnheitsverbrechergesetzes von 1933 ein zweispuriges Modell, welches zwischen Strafen und Maßregeln unterscheidet. Dabei handelt es sich um ein festverbundenes Modell von repressiven und präventiven Einzelstücken.
Eine mögliche dritte Spur stellt das Konzept der Wiedergutmachung dar, welche in § 46 StGB als „Strafersatz“ angesprochen wird.[44]
Die Strafrechtstheorie nach Kant basiert auf der Annahme, dass Strafe nie Mittel zum Zweck ist, weder für den Täter noch für andere Mitglieder der Gesellschaft. Strafe soll Vergeltung für begangenes Unrecht darstellen. Art und Schwere der Sanktion hängen von dem Prinzip der Gleichheit von Art und Schwere des Unrechts ab.[45]
Unter den absoluten Strafzwecken lassen sich Rache, Vergeltung und Sühne einordnen. Der Ausdruck „absolut“ wird verwendet, um deutlich zu machen, dass diese Strafzwecke eine Reaktion auf ein Unrecht als Absolutum fordern.
Diese Strafzwecke werden also als von der Wirklichkeit „Losgelöstes“, als in sich Begründetes und Ruhendes beschrieben. Absolute Strafzwecke haben den Anspruch, dass ein Verbrechen gesühnt wird, schlicht weil es stattgefunden hat, und nicht aus dem Grund, weil es dem Opfer dadurch besser gehen würde, oder weil der Täter dadurch etwas lernen würde.
Als absolute Strafzwecke stellen schlussfolgernd keine Verbindungen zur Kriminalprävention oder Kriminalitätsbelastung her. Das heißt, es muss eine Reaktion auf delinquentes Verhalten erfolgen, unabhängig ob und wie diese Reaktion wirkt.[46] Absolute Straftheorien und die zugehörigen Strafzwecke der Vergeltung und Sühne orientieren sich an der zurückliegenden Tat. In dieser Vergangenheit wird der Grund gesucht, also den Beweggrund und das Maß der Strafe. Die Zukunft, die Folgen der Strafe und ihre möglichen general- und spezialpräventiven Wirkungen interessierten dabei nicht.[47]
Mit dem Vergeltungsgedanken assoziieren wir die Ansätze nach Kant (1724-1804) und Hegel (1170-1831). Ihre strafrechtsdogmatische Rückbindung liefern das Schuldprinzip und den Gedanken der Tatproportionalität.
Die Strafe darf also:
„ …niemals bloß als Mittel, ein anderes Gutes zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muss jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden [...] Er muss vorher strafbar befunden seyn, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einige Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ…. „[48]
Wenn es möglich ist, dass das dem Straftäter zugefügte Strafleid als Mittel zur Erreichung irgendeines Nützlichkeitszwecks eingesetzt werden kann, dann bleibt die Möglichkeit bestehen, dass die Strafe gegen den Verbrecher nur darum verhängt wird, „weil er verbrochen hat“. Die Strafe ist absolut, wenn sie allein um der Gerechtigkeit willen verhängt wird und nicht um der Nützlichkeit willen, um bestimmte Ziele zu erreichen, wie z. B. Sicherung, Besserung oder Abschreckung.[49]
Strafe allein aus Vergeltung ist frei von Zweckerwägungen und bildet lediglich ein Übel zum Ausgleich der schuldhaft begangenen Rechtsverletzung. Vergeltung und Sühne gelten als metaphysische, erfahrungswissenschaftlich nicht überprüfbare Strafzwecke.[50]
Die absoluten Theorien haben metaphysischen Charakter, sie sind nicht empirisch überprüfbar. Basisproblem hierbei ist, dass die absoluten Straftheorien einem urmenschlichen Bedürfnis entsprechen, gleichermaßen aber mit dem Ziel der Kriminalitätsreduktion im Widerspruch stehen. In einer Entscheidung des Bundesgerichtes heißt es demnach:
„…dass der Aufschub der Strafe die Wahrscheinlichkeit erneuter krimineller Handlungen zu senken im Stande ist, so ergibt sich daraus ein fundamentales Wertungsproblem: Entweder wir orientieren uns auf die Zukunft hin und versuchen zukünftige Kriminalität zu verhindern. Dann müssen wir unser Strafbedürfnis zurückstellen. Oder aber wir orientieren uns an der Vergangenheit und Gegenwart und lassen entsprechend unser Strafbedürfnis zum Zuge kommen. Dann aber müssen wir akzeptieren, dass wir dadurch möglicherweise die Entstehung zukünftiger Kriminalität zumindest nicht reduzieren,...