II. Opern vor Hofmannsthal
1. Oper nach Wagner
Die Bedingungslosigkeit von Wagners Werk, sein willfähriger Zug ins Große, Gewaltige, seine neudeutsch-mittelalterliche Mythologie der Erlösungsbedürftigkeit, seine den Symbolen und ihrer wirkungsvoll inszenierten Evidenz geschuldete Motivtechnik, seine daraus abgeleitete neue kompositorische Syntax, seine irisierende, im Parsifal schließlich die stabilen Progressionen harmonischer Fortschreitung endgültig preisgebende Tonsprache wirkten im Europa des späten 19. Jahrhunderts wie eine Droge. Selbst dort, wo man sich ihr zu entziehen suchte, beanspruchte sie ebenso beharrlich wie unerbittlich Geltung, und sei es als negative Größe. Wagner hat diesen triumphalen Siegeszug seiner Kunst, ungeachtet der Widerstände und Anfeindungen, noch erlebt, selbstverständlich mit gönnerhafter Genugtuung, aber auch mit dem fortwährenden Befremden des alten Revolutionärs gegenüber dem Gefestigten, dem Endgültigen, dem Kanonischen. Diese Skepsis des zeitlebens Unbehausten verlängerte sich jedoch nicht in die Rezeption. Unter den Händen Cosimas wandelte sich das Festspielhaus zum Tempel kultischer Hagiographie, während die Villa Wahnfried numinose Züge einer immer stärker nationalistischen, völkischen und, wenigstens dies nicht ohne Zutun des Verehrten, antisemitischen Weihestätte annahm. Alles dies hat die Wagner-Rezeption geprägt, zumal sich zur Bedingungslosigkeit des Werkes auch die Bedingungslosigkeit seines Urhebers und des mit ihm verbundenen Kultes gesellte.
Das Faszinosum von Wagners Werk bestimmte nicht nur die Musik, sondern auch Literatur und Kunst, und diese ungeheuerliche Wirkung beschränkte sich mitnichten auf den deutschsprachigen Raum. Ungeachtet der tatsächlichen historischen Genese von Wagners Musikdramen, die der von ihm so verachteten Oper, wie in neueren Forschungen ausführlich dargelegt, unendlich viel verdankt, entfaltete die von ihm nachhaltig betriebene Selbstbeglaubigung einer creatio ex nihilo denkbar größte Wirkung. Die in Oper und Drama (1851) umständlich entwickelte Begründung, das Musikdrama beerbe gleichsam die Sinfonik und überwinde damit die Krise der Instrumentalmusik, ja der Musik überhaupt, war ebenso erfolgreich wie wirkungsvoll. Sie bestimmte in kaum zu überschätzender Weise die musikdramatische Produktion um 1900, und das mit allen Konsequenzen: Durch Wagner wurde die personelle Einheit von Librettist und Komponist proklamiert, die Aufgabe fester Formen und Ensembles zugunsten einer durchkomponierten Großform, ebenso die aus ‹Leitmotiven› entwickelte Syntax, die Konzentration auf mittelalterlich-mythologische Erlösungsstoffe, die Bevorzugung eines großen, mit allem Raffinement der Klangmischung und -schattierung gehandhabten Orchesterapparates, der Einsatz der ‹heroischen› Stimmen von Tenor und Sopran sowie, besonders wirkungsvoll, des heldischen Baritons. Die Zahl der Musikdramen Wagnerscher Prägung um 1900 ist unübersehbar, das Modell konnte, wie bei Franz Schreker oder Erich Wolfgang Korngold, Modifikationen erfahren, es konnte, wie bei Vincent d’Indy oder Francesco Zandonai, explizit in andere Kulturkreise übertragen werden – und es bleibt selbst dort merklich spürbar, wo, wie im Falle Giacomo Puccinis, ganz andere Wege eingeschlagen wurden. Noch Arnold Schönberg hielt (nur vordergründig paradox) sogar in Moses und Aaron an entscheidenden Prämissen Wagners fest. Und selbst Gustav Mahler, der, wie vor ihm Anton Bruckner, entschieden zur Sinfonik zurückkehrte und nun ihr das bekennerhafte Weltanschauungstum einschreiben wollte, blieb zeitlebens ein glühender Bewunderer und Dirigent Wagnerscher Werke.
Sogar in der Opposition der Verweigerung – in vornehmer Zurückhaltung bei Tschaikowsky, in stillschweigender Bewunderung bei Brahms oder ruppiger Zurückweisung bei Ravel – schwingt jene Unerbittlichkeit mit, die Wagners Werk seiner eigenen sowie der nachfolgenden Generation offenbar abverlangt hat. Strauss wurde musikalisch sozialisiert in einem patrizisch-bürgerlichen Elternhaus, in dem denkbar große Vorbehalte gegenüber Wagner herrschten – markant vertreten durch seinen Vater, der als Hornist in der Münchner Hofkapelle unfreiwillig, aber qua Amt verpflichtet war, an den Uraufführungen aller Werke ab dem Rheingold mitzuwirken. Dieser Zwiespalt prägte auch Strauss’ Mentor Hans von Bülow, der vom Wagnerschen Geltungsanspruch in der allerpersönlichsten Biographie erschüttert worden war. Strauss selbst bewunderte Wagners Werk, namentlich den Tristan, den er in Weimar sogar als Dirigent und Regisseur aufgeführt hatte, und besonders in seinen frühen Jahren pflegte er einen engen Kontakt zu Cosima Wagner. Doch in einer merkwürdigen Distanz reduzierte er Wagners Anspruch von der weltumspannenden Mythologie auf das Technische. Noch 1945 beschwor er in einem Brief an Willi Schuh «die Mozartsche Melodie […] und das Wagnersche Orchester» als zentrale Ausgangspunkte seines eigenen Schaffens; die Bedeutung Wagners für Strauss beschränkte sich damit auf die Errungenschaften der Orchestertechnik. Diese Haltung, die sich auch in seiner ausführlichen Bearbeitung der Instrumentationslehre von Berlioz niedergeschlagen hat, spiegelt neben der lebenslang anhaltenden Bewunderung für das ‹Technische› auch die Distanz zu den Inhalten, die für ihn keine Fortschreibung mehr erlaubten.
Strauss hat die Werke Wagners immer wieder dirigiert, auf Betreiben Cosimas anfangs auch in Bayreuth, dort 1933, nach langer Abwesenheit, sogar vor dem fatalen Einspringen für den sich aus politischen Gründen verweigernden Arturo Toscanini nicht zurückschreckend. Er hat sich fortwährend mit dem Werk Wagners beschäftigt, seine Dirigierpartituren sind durchgearbeitet (oft mit der Absicht, das Ekstatisch-Lärmende durch Reduktionen in der Dynamik zurückzudrängen), sein Exemplar der Schriftenausgabe weist umfangreiche Benutzungsspuren (v.a. durch Unterstreichungen und Hervorhebungen) auf. Und doch hat er das mythologische Weltanschauungstheater nicht fortschreiben wollen. Schon im Finale des Guntram wird an entscheidender Stelle eine Abkehr von Wagner deutlich, eine Abkehr, die nicht auf Zurückweisungen beruht, sondern auf dem Versuch, den Habitus des Kunstreligiösen abzustreifen. Strauss hat sich, wie viele andere Komponisten von Rang seiner Generation, zu Wagner bekannt – und trotzdem, hierin ganz isoliert, eine unüberbrückbare Distanz zu ihm gesucht. In dieser Mischung aus Aneignung und Abgrenzung konnte er eine weite Perspektive eröffnen und seinem Schaffen noch über ein weiteres halbes Jahrhundert Kohärenz verleihen, getragen von der Gewißheit, daß damit ein genuiner Weg des 20. Jahrhunderts beschritten sei. Seine Reduktion des Wagnerschen auf das Technische der Tonsprache, die Abkehr von seinen Mythen, die nicht dinghafte, sondern psychologisierende Motivverwendung schon in den ersten Bühnenwerken bezeichnen deswegen nachhaltige Brüche mit dem 19. Jahrhundert. Hierin verhielt sich Strauss wohl entschiedener als etwa Thomas Mann, mit dem ihn ansonsten gleichwohl mehr verbindet, als beide, belastet von der gefahrvollen politischen Instinktlosigkeit des Komponisten 1933, wahrhaben wollten.
2. Revision der Künstleroper: Guntram
| Guntram. In drei Aufzügen. Op. 25. TrV 168 |
Personen: | Der alte Herzog – Baß |
| Freihild, seine Tochter – Sopran |
| Herzog Robert, ihr Gemahl – Bariton |
| Eine alte Frau | | Arme Leute | – Alt |
| Zwei jüngere Männer | – Zwei Bässe |
| Drei Vasallen – Drei Bässe |
| Vier Minnesänger – Zwei Tenöre, zwei Bässe |
| [Ein Knabe – stumme Rolle] |
| Vasallen des Herzogs, Minnesänger, vier Mönche, Knechte und Reisige |
Orchester: | 3 Fl. (3. auch Picc.), 3 Ob. (3. auch Engl. H.), 3 Klar. (3. auch Baßklar.), 3 Fag., Kontrafag., 4 Hör., 3 Trp., Baßtrp., 3 Pos., Baßtb., Pk. (2 Spieler), Schlz., Laute (nur erste Fassung), 2 Harfen, Streicher (16 erste VI., 16... |