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Geschichte der SPD

Von den Anfängen bis zur Gegenwart

AutorBernd Faulenbach
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
ReiheBeck'sche Reihe 2753
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783406637186
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die deutsche sozialdemokratische Partei ist die älteste deutsche Partei und eine der ältesten Parteien Europas. 2013 kann sie auf eine 150-jährige Geschichte zurückblicken. Sie ist zweifellos ein prägender Faktor der deutschen Geschichte und hat Einfluss über den deutschen Rahmen hinaus ausgeübt - nicht zuletzt als Vorbild für andere Parteien der europäischen Arbeiterbewegung. Bernd Faulenbach, einer der besten Kenner der SPD-Geschichte, schildert in diesem Band den Weg der Partei von den Anfängen bis zur Gegenwart - und er stellt auch kritische Fragen nach ihren politischen, sozialen und kulturellen Perspektiven in der Gegenwart.

Bernd Faulenbach ist Professor an der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzender der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand.

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Leseprobe

I. Dimensionen der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie


Ihre Wurzeln reichen bis in die Zeit der Revolution von 1848 zurück, und organisatorische Kontinuität lässt sich von 1863 an konstatieren: Damit ist die deutsche sozialdemokratische Partei die älteste deutsche Partei und eine der ältesten Parteien Europas. 2013 kann sie auf eine mindestens 150-jährige Geschichte zurückblicken. Sie ist zweifellos ein wichtiger Faktor der deutschen Geschichte, der – zumindest zeitweilig – Einfluss über den deutschen Rahmen hinaus ausgeübt hat: Sie war Vorbild für andere Parteien der europäischen Arbeiterbewegung. Die von ihr geprägte Politik hatte Relevanz über Deutschland hinaus.

Und doch werden gegenwärtig kritische Fragen zur Sozialdemokratie gestellt. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte sie mit 23 % ein verheerend schlechtes Wahlergebnis. Auch im europäischen Zusammenhang wird von einer Krise der Sozialdemokratie gesprochen – in der Tat regiert sie derzeit nur in wenigen europäischen Ländern. Ist die große Zeit der Sozialdemokratie vorüber?

Schon in den 1980er Jahren sah Ralf Dahrendorf das «sozialdemokratische Jahrhundert» zu Ende gehen, vor allem deshalb, weil sie ihre wichtigsten Ziele erreicht habe, jedenfalls in Westeuropa, wo nur noch weniges auszubauen, im Übrigen aber das Erreichte zu verteidigen sei. Dies war vor der beschleunigten Globalisierung, in einer Zeit, als der Neoliberalismus sich anschickte, zur dominanten Ideologie des Westens zu werden. Die Folgen des damit einhergehenden Marktradikalismus werden heute sichtbar. Die Bedeutung der Regulierung des Kapitalismus und sozialstaatlicher Sicherung wird wieder verstärkt beachtet. Jetzt wird von einer «Sozialdemokratisierung» der anderen Parteien gesprochen. Dies lässt eine Aktualisierung sozialdemokratischer Vorstellungen erkennen, die allerdings nicht unbedingt zu einem erneuten Aufstieg der Sozialdemokratie führen muss.

Ungeachtet der Aufgeregtheiten gegenwärtiger Diskussionen stellt sich die Frage nach dem historischen Ort, der historischen Rolle und der Kontextualität der Sozialdemokratie sowie die damit zusammenhängende Frage ihrer Identität, die offensichtlich dem Wandel unterworfen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Sozialdemokratie sich als Teil der europäischen Emanzipationsbewegung entwickelte und doch zugleich mit der deutschen Geschichte und ihren Problemen eng verwoben war, so dass sich eine Reihe von Fragenkomplexen ergibt.

 

1. Die deutsche Sozialdemokratie entwickelte sich vor dem Hintergrund ökonomisch-gesellschaftlicher Prozesse, die man mit Stichworten wie Industrialisierung, Hochindustrialisierung, Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft, mit Klassenbildung, Urbanisierung, sozialer Differenzierung und Individualisierung, mit kulturellem Wandel, Expansion des Bildungssystems und Entstehung einer Wissensgesellschaft umschreiben mag. Es waren Konflikte zwischen Kapital und Arbeit, die lange Zeit die Sozialdemokratie und die mit ihr verbundenen Gewerkschaften vorrangig beschäftigt haben. Zu fragen ist, welche Politik die Sozialdemokratie betrieb zur Bewältigung der sozialen Frage, die von den Arbeitern als existentielle Unsicherheit, Ausbeutung und Abhängigkeit, doch auch als staatliche Repression erlebt wurde. Man kann weiter fragen, was zu den verschiedenen Zeiten als «soziale Frage» begriffen worden ist, auch welche Relevanz diese Frage heute noch hat – angesichts anderer Fragen wie der des Klimas, der Ökologie, doch auch der Migration und des Terrorismus.

2. Die Sozialdemokratische Partei ist stets mindestens ebenso eine politische wie eine soziale Bewegung gewesen. Damit aber sah sie sich mit den großen nationalen und anderen wichtigen politischen Fragen konfrontiert. Welche Rolle spielte die Partei, die sich internationalistisch gab, in der «verspäteten Nation», im Hinblick auf den schwierigen Prozess der Nationalstaatsbildung, der durch Bismarcks Politik entschieden wurde, gegenüber dem Ersten Weltkrieg, dann gegenüber dem Versailler Vertrag und der Frage des erneuten Aufstiegs, später gegenüber der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg und der unerwarteten Wiedervereinigung 1989/90?

Verwoben damit war ihr Verhältnis zum Obrigkeitsstaat, ihre Bedeutung für die Durchsetzung der demokratischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg und bei der Erarbeitung des Grundgesetzes und beim Aufbau der Bundesrepublik und später bei der Realisierung der Demokratie im vereinigten Deutschland. Keine Frage, dass sich die Geschichte der Demokratie in Deutschland nicht ohne Sozialdemokratie schreiben lässt.

Zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts gehören die beiden Weltkriege, insbesondere die «deutsche Katastrophe» der NS-Zeit, des Zweiten Weltkrieges und des Judenmordes in seiner Einzigartigkeit. Man hat vom besonderen «deutschen Weg», der in Krieg und Holocaust kulminierte, gesprochen. Inwieweit repräsentiert die Sozialdemokratie, die sich Hitler und dem «Dritten Reich» entgegengestellt hat, so etwas wie die virtuelle Gegengeschichte zum «deutschen Sonderweg»? Und wenn die deutsche Geschichte seit dem 19. Jahrhundert durch tiefe Brüche gekennzeichnet ist, inwieweit verkörperte sie Kontinuität, das Durchhaltende im Wandel?

In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, wie die Sozialdemokratie sich gegenüber dem «Osten», dem zaristischen Russland und dann der Sowjetunion auf der einen Seite und dem «Westen» (was immer man darunter verstand) und der «Westernisierung» auf der anderen Seite verhielt.

3. Zu betrachten ist auch die innere Entwicklung dieser politisch-sozialen Bewegung: die soziale Zusammensetzung, die Willensbildung, die Rolle von Führung und Funktionären, die Bedeutung der Zentrale und der regionalen Gliederungen, die Flügelbildung, die Programmatik und die konkrete Politik, die von ihr in Regierungen und anderen Mandaten und Ämtern geleistet wurde. Ein besonderes Thema sind dabei die Rezeption des Marxismus und seine Modifizierung und Relativierung, auch die weltanschauliche Grundlage und der Geschichtsglaube. Die Sozialdemokratie ist bis heute – ungleich stärker als die anderen Parteien – eine programmbewusste Partei; die programmatische Entwicklung ist deshalb von besonderem Interesse. Dies gilt aber auch für die politische Kultur, für die Umfelder, die der Partei nahestehenden Organisationen (im Kaiserreich und in der Zeit der Weimarer Republik die Arbeiterkulturorganisationen) und die ganze Zeit über für das Verhältnis zu den Gewerkschaften, die seit dem Zweiten Weltkrieg in einer die Richtungsgewerkschaften überwindenden Einheitsgewerkschaft organisiert sind.

Zu dieser Geschichte gehören auch die Abspaltung der kommunistischen Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg und das von Anfang an höchst problematische Verhältnis von Sozialdemokratie und KPD, auch die 1946 – mit Mitteln des Zwangs und der Täuschung wesentlich mit herbeigeführte – Verschmelzung von SPD und KPD zur SED in der Sowjetisch Besetzten Zone, die das Verhältnis von SPD und SED, die innerhalb weniger Jahre zur kommunistischen Kaderpartei transformiert wurde, über Jahrzehnte bestimmte. Selbstverständlich ist auch von Interesse, welche Parteien und Gruppen in der SPD aufgegangen sind. Die SPD war keine Sammlungspartei, doch fanden Linksliberale, später auch das Gros der GVP den Weg in die SPD.

4. Die meiste Zeit war die SPD in ihrer Geschichte – jedenfalls auf gesamtstaatlicher Ebene – Oppositionspartei, bis auf einige Jahre in der Weimarer Republik (1918–1922 mit Unterbrechungen sowie 1928–1930), in der alten Bundesrepublik in den Jahren 1966–1982 und im vereinigten Deutschland 1998–2009. Die Schwierigkeit, an die Macht zu kommen und sich hier zu behaupten, ist deshalb besonders zu beachten. Die Lage der Partei in der Gesellschaft und im Parteiensystem muss dabei mitgedacht werden, auch das Verhältnis der Sozialdemokratie zu den anderen Parteien und zum jeweiligen Regierungshandeln. Auch das Bild, das die anderen Parteien und die Öffentlichkeit von der Sozialdemokratie hatten, ist von Relevanz bis hin zu antisozialdemokratischen Strategien. Schließlich sind auch das Verhältnis zu den Schwesterparteien im benachbarten Ausland und ihre Rolle in der Sozialistischen Internationale bei dieser internationalistischen Partei zu beleuchten. Die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie ist mit der Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung verflochten.

Überblickt man von heute aus die bisherige Geschichte der deutschen Sozialdemokratie als Ganze, so lassen sich zwei etwa gleich große Teile unterscheiden, die durch die NS-Zeit getrennt werden, in der die SPD im Reich verboten war und nur in der Emigration weiter bestand – der Parteivorstand hielt sich in Prag und dann in London auf. Die Bedeutung der Zäsur ist näher zu bestimmen.

Am Ende gilt es, die Frage nach der sozialdemokratischen Identität heute und nach der Bedeutung der 150-jährigen Geschichte zu beantworten. Historiographisch steht die Arbeiterbewegung gegenwärtig nicht im Zentrum des Interesses, wie dies in den 60er und 70er Jahren der Fall war, was mit der Zeit ihrer größten Erfolge in der Nachkriegszeit zusammenfällt. Bei aller Unterschiedlichkeit zur damaligen Zeit erscheint es jedoch...

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