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Rita Schober - Vita. Eine Nachlese

Ediert, kommentiert und mit Texten aus Archiven und dem Nachlass erweitert von Dorothee Röseberg

VerlagNarr Francke Attempto
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl366 Seiten
ISBN9783823301134
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis62,40 EUR
Sie stehen noch in vielen Bücherschränken: die deutschen Ausgaben der Rougon-Macquart von Émile Zola mit den Nachworten von Rita Schober. Aus Anlass des 100. Geburtstages der international bekannten Romanistin und Zolaforscherin erscheint erstmals ihre Vita. Wer war diese Frau, die fünf Staatsbürgerschaften hatte, die großen politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts erleben musste und in der DDR als eine der ersten Frauen Professorin wurde? Wie erinnert sie selbst nach 1989 ihr Leben? Dieses Selbstzeugnis wird mit bislang unveröffentlichten Dokumenten aus ihrem Nachlass und aus Archiven konfrontiert und kommentiert. Dabei geht es um die Frage: Wie schreibt man sein Leben nach tiefgreifenden gesellschaftlichen Brüchen?

Prof. Dr. Dorothee Röseberg war von 1994-1997 Professorin für Kultur- und Landeskunde der romanischen Länder an der TU Chemnitz und von 1997 bis 2017 Inhaberin des Lehrstuhls für romanistische Landes- und Kulturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Frankreich an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Heute ist sie Vizepräsidentin der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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Leseprobe

Vorwort


Die Bilder, die von Rita Schober in der Romanistik, in der Öffentlichkeit der DDR und darüber hinaus in wissenschaftlichen Kreisen auch im Ausland verbreitet waren bzw. sind, werden mit diesem Buch auf die Probe gestellt. Wer war die Frau, von der man als die „schöne Rita“, als „rote Rita“, als „die am besten angezogene Professorin“ oder als die „Grande Dame der Romanistik“ sprach? Sie war geschätzt, bewundert und gefürchtet zugleich. Manchen, die Rita Schober in der Universität kennenlernten, galt sie als gestrenge und unnahbare Kollegin, Professorin, Genossin, Direktorin, Dekanin, von der man wusste, dass sie persönliche Beziehungen zur SED-Führungsspitze unterhielt. Bekannt ist sie über nationale Grenzen hinaus als eine der wichtigsten Romanistinnen der DDR, als marxistische Literaturwissenschaftlerin, als Zola-Forscherin und als hoch dekorierte Wissenschaftlerin der DDR.

Ihre Lebensgeschichte ist ein Zeugnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Man kann sie auch als Geschichte einer der bekanntesten Romanistinnen des vergangenen Jahrhunderts lesen und als Geschichte einer bemerkenswerten Frau.

Mit diesem Buch steht in Teil I ihr Selbstblick auf diese Geschichte im Mittelpunkt. Da ihre Vita unvollendet geblieben ist, wird in Teil II dieser Selbstblick durch ausgewählte Dokumente gestützt, ergänzt, konfrontativ überformt und aus einer biographiewissenschaftlichen Perspektive kommentiert. In Teil III sind Schriftstücke zu finden, die Rita Schobers Leben in den von ihr erfahrenen unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen dokumentieren. Sie hatte sechs Staatsbürgerschaften und war eine Zeitlang staatenlos.

Rita Tomaschek wurde am 13. Juni 1918 in der Österreich-Ungarischen Monarchie in Rumburg geboren. Sie absolvierte ihre Schulzeit, ihr Studium und ihr Doktorat in ihrer Heimat, im Sudentenland, das nach dem Ersten Weltkrieg erst zur Tschechoslowakei, dann zum Deutschen Reich gehörte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges siedelte die Kriegswitwe Rita Hetzer nach Deutschland in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) aus. Sie kam, zusammen mit ihrem späteren Mann, dem in Dachau inhaftierten und 1945 entlassenen Robert Schober, mit einem Antifa-Aussiedlungstransport 1946 nach Halle (Saale). Sie wurde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) als wissenschaftliche Assistentin angestellt. Von 1940 bis 1945 hatte sie der NSDAP angehört, 1946 trat sie der SED bei. Mit der Berufung Victor Klemperers 1948 erhielt das romanische Seminar in Halle einen Lehrstuhlinhaber und Rita Schober, die in der französischen Sprachwissenschaft in Prag bei Erhard Preißig promoviert und in einem Luftschutzkeller bei Fliegeralarm ihre letzte Prüfung absolviert hatte, einen Literaturprofessor als Betreuer ihrer Habilitationsschrift zu Zola, die sie 1954 verteidigte. 1951 wurde sie nach Berlin berufen, arbeitete im Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen, um schließlich die Nachfolge Victor Klemperers am Berliner Romanischen Seminar zu übernehmen. Sie war eine der ersten Frauen mit Ordinariat an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als solche prägte sie das wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Leben der Humboldt-Universität (HU), die Lehre sowie die Nachwuchsausbildung der Romanistik, auch über das Jahr 1978 hinaus, als sie emeritiert wurde. International und national wirkte sie in zahlreichen Gremien, darunter in der UNESCO und erhielt hohe staatliche Auszeichnungen, so den Vaterländischen Verdienstorden in Gold und die Palmes académiques des Französischen Staates in der Klasse des Chevalier. Ein Vertrag regelte außerdem bis 1989 ihren steten Einfluss auf die Entwicklungen am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität. Dann erlebte Rita Schober den dritten gesellschaftlichen Umbruch in ihrem Werdegang, das Ende der DDR und den Übergang in das Leben einer berenteten Wissenschaftlerin der DDR in der Bundesrepublik Deutschland. Sie war weiterhin aktiv, reflektierte die wissenschaftlichen und politischen Grundlagen ihres bisherigen Tuns, sie publizierte, erhielt Einladungen zu Vorträgen und Gastsemestern. Rita Schober starb im Dezember 2012 in Berlin, fast ein Jahr nach dem Tod ihres einzigen Sohnes.

Wolfgang Asholt ist es zu verdanken, dass Rita Schober kurz nach der Jahrtausendwende das Niederschreiben ihrer Vita in Angriff genommen hat. Man mag vermuten, dass es ihr am Herzen gelegen hat, von sich ein letztes Mal ein Bild für die Öffentlichkeit zu entwerfen. Diese Vermutung ist ebenso zutreffend wie die Spuren ihrer Widerstände gegen ein solches Vorhaben erkennbar sind. Im Resultat liegt ein Fragment vor, das viele Fragen aufwirft. Neben der Unvollständigkeit der vorliegenden Texte fällt dem eingeweihten Leser deren Heterogenität auf. Hat man stellenweise den Eindruck ein Geschichtsbuch, z.T. in belehrendem Ton geschrieben, oder einen Reiseführer mit vielen sachbezogenen Daten und Fakten zu lesen, so wird man zugleich Zeuge von Privatem und persönlichen Befindlichkeiten. Dieses Pendeln zwischen Sachbuch, autobiographischer Selbstdarstellung und Selbstbefragung macht den ambivalenten Charakter dieser Vita aus und der Adressat des Geschriebenen scheint zu wechseln. Dieser ambivalente Charakter verweist einerseits auf den Willen zur „Aufklärung“ und Selbstaufklärung am Ende des Lebens und macht die Grenzen derselben deutlich. Und wie so oft, ist das Gesagte auch in diesem Fall ein Zeugnis des Verdrängten und des Schweigens, des Nicht-Gesagten, des Nicht-Sagen Könnens. Hat dieses Schweigen mit dem Zusammenfallen einer „moralischen Schmerzgrenze (…) mit einer persönlichen Schamgrenze“ zu tun, wie 1999 Hans-Ulrich Gumbrecht die Situation so mancher Intellektueller in der DDR im letzten Viertel ihres Lebens zutreffend beschreibt?1

Rita Schober war eine dem Rationalen, dem Logos verpflichtete Wissenschaftlerin, deren Vorlieben in der Schulzeit auf Latein und Mathematik gerichtet waren. Studieren wollte sie Mathematik und Chemie, obgleich sie von Kind an Freude am Auswendiglernen literarischer Texte hatte. Ihre Liebe galt schon früh der Sprache und sie war, bis ins hohe Alter hinein empfänglich für ästhetische Genüsse.

Die Textsorte Vita stellte sie offenkundig vor bislang ungekannte Herausforderungen. Sie hat kein Tagebuch geschrieben, aber ihre Korrespondenz, auch die von ihr selbst geschriebenen Briefe, Arbeitspapiere und Notizen sorgfältig archiviert. Die Vita-Texte oszillieren zwischen dem Bemühen um eine positivistisch anmutende Faktentreue, die auch ihren wissenschaftlichen Arbeiten eigen war und den Versuchen, das eigene Leben in verschiedenen Facetten zu überschauen und zu durchdenken. Dabei stehen Systematisierungsversuche, die ihr Leben in gesellschaftliche Gegebenheiten und Prozesse einordnen und ihm Sinnhaftigkeit geben sollen, neben textuellen Versatzstücken, die sich einer solchen Systematisierung entziehen bzw. verweigern. Die Texte, die fast alle im letzten Lebensjahrzehnt verfasst sind, lassen sich als Selbstdokumentation einer erfolgreichen wissenschaftlichen Karriere lesen, die unter den Bedingungen des Nationalsozialismus und der DDR eng mit politischen Stellungnahmen verbunden war. Wie diese enge Verbindung von Wissenschaft, Lehre und Politik thematisiert bzw. ausgespart wird, entscheidet wesentlich mit über die persönliche Sinngebung des eigenen Lebens nach dem Ende der beiden Diktaturen. Die Suche nach überdauernden Wert- und Sinngrundlagen durchzieht explizit und implizit die Vita-Texte. Sie tragen zum einen jenen Bekenntnischarakter, der vom Wissen um die gesellschaftlich opportun gewordene Infragestellung von politischen Standpunkten und Werten zeugt, die nach 1989 vielen erzählten DDR-Biographien eigen und deshalb oft mit Rechtfertigungsdiskursen versehen ist. Spricht aus diesem Bekenntnischarakter zugleich Nachdenklichkeit und mitunter Trotz, so vermitteln manche Texte auch eine tiefe Trauer, Einsamkeit und die Suche nach Trost. Letzteren hat Rita Schober in den späten Lebensjahren auch im Katholizismus gesucht, der Religion, mit der sie in der Kindheit und im Jungendalter aufgewachsen war. Die Texte vermitteln diese Hinwendung zur Religion nur fragmentarisch und lassen Spielraum für Interpretationen. Dass sich ihr Wunsch nach einem traditionellen römisch-katholischen Begräbnis nicht erfüllt hat, gehört zu den tragischen Momenten ihres Lebens und verweist zugleich darauf, dass Rita Schober eine vielschichtige Persönlichkeit war. Der Gesang des Cavadossi aus der Oper Tosca von Puccini in der Trauerhalle während der weltlichen Begräbnisfeier spiegelt etwas von solcher Tragik, so wie sich das Volkslied S is Feieromd zum Ausgang und auf dem Weg zur Grabstelle mit der tiefen Verbundenheit zu ihrer sudetendeutschen Heimat und einem Rückblick auf ein arbeitsintensives Leben verbindet.

Der fragmentarische und so manche Widersprüche erhellende Charakter der Vita-Texte veranlasste mich als Herausgeberin, den Texten, die von Rita Schober als Vita gekennzeichnet sind, weitere Texte und einige Dokumente hinzuzufügen, die gesondert in einem zweiten bzw. dritten Teil des vorliegenden Bandes versammelt sind. Die meisten der Texte in Teil II haben mit den Texten der Vita des Teil I gemeinsam, dass sie Reflexionen enthalten, die Rita Schober nach 1989 in Briefen, Interviews und privaten Notizen hinterlassen hat. Diese Texte sind thematisch geordnet. Die thematische Struktur ist das Ergebnis einer intensiven Beschäftigung mit dem Nachlass Rita Schobers, der für den vorliegenden Band erstmalig erschlossen wurde. Er war noch nicht archivalisch bearbeitet. Die Themen schienen vor allem aus den von Rita Schober selbst sorgfältig archivierten Dokumenten aufzuscheinen. Intensive Recherchen in verschiedenen Archiven und Interviews mit Wegbegleitern Rita Schobers...

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