Persönliche Einleitung: Eine Klarstellung und eine Begegnung
Dieses Buch ist keine Auftragsarbeit, wie sie über so manchen Wirtschaftsführer existiert, dem oft schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt wird. Das vorliegende Werk beruht vielmehr auf persönlichen Erfahrungen und meiner langen publizistischen Auseinandersetzung mit der Schweizer Finanzbranche. Dabei stellte ich fest, dass es vergleichsweise wenig Literatur gibt, die über die Tagesaktualität hinausreicht und, ohne einem billigen Alarmismus zu huldigen, den wichtigen Fragen, Entwicklungen und den prägenden Gestalten in diesem Gewerbe nachgeht. Abgesehen von einigen löblichen, aber spärlichen Beispielen (siehe das Literaturverzeichnis im Anhang) hat in der Schweiz eine Aufarbeitung der Bankengeschichte bisher nur rudimentär stattgefunden. Ebenso verhält es sich mit den Biografien bedeutender Personen aus der Schweizer Finanzwelt. Solche Werke sind dünn gesät; sozusagen als Monument ragen hier bloss die Lebenserinnerungen von Hans J. Bär heraus.1 Auch die Memoiren von Rainer E. Gut sind lesenswert.2 Leider haftet ihnen der Makel an, dass ein Mitarbeiter der Credit Suisse sie verfasst hat. Darüber hinaus existieren verschiedene, eher dem hastigen Journalismus verpflichtete Werke, etwa über Josef Ackermann, Marcel Ospel und auch über Rainer E. Gut. Diese Bücher gehen allerdings wenig bis gar nicht auf die epochalen Veränderungen und langfristigen Entwicklungen in der Bankenlandschaft ein.
Dieses Vakuum in der Analyse und Reflexion der Schweizer Bankengeschichte ist durchaus begründbar. Es hat damit zu tun, dass das Schweizer Finanzgewerbe seit seinen Ursprüngen im 14. Jahrhundert und abgesehen von den späteren Exzessen nie genügend Projektionsfläche für eine ausführliche Berichterstattung lieferte. Vielmehr war es stets ein Geschäft des Vertrauens, der Redlichkeit und insbesondere der Diskretion. Entsprechend fühlten sich auch die Protagonisten nie bemüssigt, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Im Gegensatz zu manchen ihrer angelsächsischen Berufskollegen lebten die grossen Schweizer Bankiers getreu der Maxime des römischen Dichters Ovid: Bene vixit, bene qui latuit – Glücklich lebte, wer sich gut verborgen hielt. Oder anders gesagt: Sie folgten auch im Privaten der beruflich propagierten Zurückhaltung und Bescheidenheit, und sie stellten sich bis zu ihrem Tod kompromisslos in den Dienst ihrer Bank – und nicht in den der Imagepflege in der Öffentlichkeit. Das mag auch der Grund sein, dass es bis heute keine Biografie über Robert Holzach gibt. Sicherlich hätte auch dieser Ausnahme-Bankier genügend Argumente gefunden, um jemanden von einem solchen Vorhaben abzubringen.
Selbst wenn der Wunsch nach Privatsphäre und Diskretion respektiert werden soll, so lässt sich doch einwenden, dass wir heute in einer anderen Zeit leben. Weil uns die Medien inklusive Internet pausenlos mit Informationen überfluten, wähnen wir uns in einer Kultur der Transparenz, obwohl die vielen Daten uns den Blick auf die grossen Zusammenhänge im Gegenteil erst so richtig verstellen. Und noch etwas: Trotz der vermeintlich totalen Digitalisierung kommen uns zahlreiche bisweilen höchst wertvolle Zeugnisse abhanden. Einerseits, weil manche Leute nicht mehr leben, die über die entsprechenden Geschehnisse berichten könnten, und andererseits, weil wichtige Dokumente oder Aufzeichnungen keinen Eingang in die elektronischen Archive gefunden haben. Das zeigte sich bei meinen Recherchen: Die Zeit von Ende der 1970er- bis Mitte der 1980er-Jahre ist ganz besonders davon betroffen. Sie scheint noch zu wenig historisch zu sein, als dass sie flächendeckend digitalisiert worden wäre.
Dieser Befund trifft auch auf Robert Holzachs Vermächtnis zu. Der Bankier hat in der erwähnten Zeitspanne die wichtigsten Etappen in seiner Karriere zurückgelegt. Obschon er der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) fast ein halbes Jahrhundert lang aufs Engste verbunden war und das Institut in denjenigen Jahren leitete, als es mit Abstand am erfolgreichsten war, existieren eher wenige öffentlich zugängliche Quellen, die dies dokumentieren. Ebenso verhält es sich mit den übrigen Tätigkeiten Holzachs, die weit über die Bankbranche hinausreichen und diesen Mann zu einer äusserst vielseitigen Figur machen. Denn Holzach betätigte sich auch als Kulturförderer, indem er diverse Künstler unterstützte, mehrere Stiftungen (mit-)initiierte* [* James-Joyce-Stiftung (gegründet 1985), Thurgauische Kulturstiftung Ottoberg (1989), Thurgauische Bodman-Stiftung (1996).] und als Bauherr zahlreiche Liegenschaften errichten liess oder erneuerte; mit dem Zürcher Augustinerquartier sanierte er gar ein ganzes Stadtviertel. Als nimmermüder Schreiber hat er sein Denken und Verstehen in verschiedenen Publikationen dargelegt. Von alldem ist aber nur noch ein verschwindend kleiner Teil im öffentlichen Bewusstsein präsent.
Das ist bedauerlich, zumal der Bankensektor weltweit und der schweizerische im Besonderen seit einigen Jahren in einer tiefen Sinnkrise stecken. Die Protagonisten ringen um eine Glaubwürdigkeit, die ihnen und ihrer Branche abhanden gekommen ist, aber unerlässlich wäre, um neue Legitimation zu erlangen. Das hat viel mit dem Holzachschen Wertekodex zu tun, den man in den vergangenen 25 Jahren zunehmend ausblendete und stattdessen bloss noch einem dem Zeitgeist verpflichteten Banking nachging. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Holzach bereits in den 1980er-Jahren vor den späteren Exzessen gewarnt hat. So stellte er 1987, wenige Monate vor dem ersten Börsenkrach nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Black Monday, fest:
«Die Reaktionen der neuen Märkte auf aussergewöhnliche Belastungen sind noch unbekannt. Es sind deshalb brutale Ernüchterungen für allzu eifrige Finanzalchimisten zu erwarten.»3
Er erkannte auch klar, wie sich das Berufsbild des Bankiers wandelte. Ebenfalls 1987 sagte Holzach:
«Eine gewisse Irritation kann aus dem Umstand entstehen, dass in den USA die Harvard-Absolventen in nie gekannten Mengen sich dem Finanzzentrum Wall Street zuwenden, um ihre elitäre Berufung als ‹Fast-Track-Kids› unter Beweis zu stellen. Ohne irgendwelche berufsethische Verpflichtung wollen sie möglichst innert Monaten ein Millionen-Plansoll im persönlichen Dollareinkommen erreichen oder übertreffen. Wen wundert’s, dass die Zahl der Finanzskandale in etwa gleichem Rhythmus zunimmt?»4
Insofern war er nicht nur ein besonnenes Vorbild für die Bankbranche, sondern gleichsam ein Visionär, dem man leider zu wenig Gehör geschenkt hat. Selbst die Frage, ob ein Finanzinstitut mit Steuergeldern gerettet werden soll, wie dies im Oktober 2008 mit der UBS geschah, thematisierte er bereits 1984 in einer Rede:
«Wollen wir die Prinzipien aufrechterhalten, die am massgeblichsten zur Förderung des allgemeinen Wohlstandes beigetragen haben – eben die Prinzipien einer freien Marktwirtschaft –, dann geht es nicht an, nur die Chancen einer liberalen Wirtschaftsordnung in Anspruch zu nehmen und die damit verbundenen Risiken dem Staat und damit letztlich dem Steuerzahler zu überlassen».5
Dass gerade «seine» Bank – oder zumindest das, was von ihr übrig geblieben war – vom Staat gerettet werden musste, hat Holzach rund sechs Monate vor seinem Tod aufgewühlt. Es war ein Schock für ihn, dass eine kleine Gruppe ignoranter und extrem kurzfristig denkender Manager ausgerechnet diejenige Institution fast in den Ruin trieb, der er sein ganzes Leben so konsequent gewidmet und die er zum Erfolg geführt hatte.
Ich kann mit gutem Gewissen über Holzach schreiben, da ich niemandem verpflichtet bin. Die sukzessive Annäherung an ihn erfolgte in meiner Tätigkeit als Journalist für die Finanz und Wirtschaft unter den Fittichen der damaligen Ressortleiterin Anne-Marie Nega-Ledermann, später bei der Weltwoche vor und unter der Leitung von Verleger Roger Köppel und schliesslich für die Handelszeitung in der Ära von Chefredaktor Beat Balzli. Prägend war auch die Arbeit an meinem Buch Swiss Banking – wie weiter?,6 in dem ich mich ausgiebig mit den Werten und Tugenden im Bankwesen befasst habe. Persönlich bin ich Robert Holzach nur ein einziges Mal begegnet. Das war im Frühjahr 1995, als ich zwischen zwei Arbeitsstellen einige Monate im SBG-Konferenzgebäude Grünenhof in Zürich aushalf.
Gemeinsam mit Kurt Walder, der mir den temporären Job bei der SBG vermittelt hatte und der über lange Jahre für dieses Konferenzgebäude verantwortlich war, stand ich vor dem Eingang zum «Grünenhof», als der Bankier, damals noch Ehrenpräsident der SBG, mit zwei weiteren Personen auf uns zukam. Beiläufig sah ich, wie Walder eine Art Achtungstellung einnahm. Natürlich hätte Holzach an uns vorbeigehen können, da uns bestenfalls die Funktion von Türstehern zufiel. Doch er grüsste uns, worauf Walder, der die Umgangsformen innerhalb der Bank immer gerne etwas ausreizte, unvermutet sagte: «Mon Colonel, willkommen im ‹Grünenhof›. Alles ist bereit, wie Sie es gewünscht haben.» Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte eine geradezu andächtige Stille. Holzachs klare blaue Augen blickten mich an; sie drückten eine seltene Mischung aus Autorität und Respekt aus. Zunächst blieb er stumm, vielleicht um seinem Status innerhalb der Bank Nachdruck zu verleihen und wohl auch, um die Distanz zu wahren, die er im Umgang mit seinen Untergebenen stets gepflegt hat. Die Begegnung erinnerte kurz an den Truppenbesuch eines Kommandanten, der sich über die Lage an der Front ins Bild setzt. Holzach nickte und sagte dann zu Kurt Walder: «Das ist gut so.» Er bedankte sich und wünschte uns einen schönen Tag. Walder öffnete die...