Teil 1 Man wird nicht als Revolutionär geboren
Warum dieses Buch – Jugend in Frankfurt/Main – Zorn und Prügel – Autoschlosserlehre – Erfahrungen mit Studenten und sonstigen Linken – Rote Hilfe Ffm – Die Hinrichtung Ulrich Schmückers.
Angefangen irgendwo im Februar 1977
Vorweg einiges:
Warum die folgenden Seiten, warum zu diesem Zeitpunkt, warum nicht früher oder besser: warum überhaupt?
Ich will vorab aus Tausenden von Gründen hier einige in den Vordergrund stellen:
1. Mein – zum Glück – noch immer vorhandenes politisches Selbstverständnis und meine – natürlich auch politische – Sensibilität.
2. Entwicklungen, die sich auf Grund meiner alleinigen politischen Entscheidung – aus der Sparte der Stadt-, Land-, See-, Berg-, Luft- oder Wüstenguerilla auszuscheiden – angebahnt haben und die weiter eskalieren werden, wenn dies hier erst mal veröffentlicht ist. Das macht mich zwar alles nicht sonderlich bange – was da auf mich zukommen wird, war mir im voraus klar –, aber es stimmt mich trotzdem traurig, weil ja selbst das was mit revolutionärem Kampf zu tun haben soll. (Der Guerilla-Kampf geht weiter; nur revolutionär ist der schon lange nicht mehr.)
3. Katharina Blum weiblich I.H.
4. Katharina Blum männlich K.T.
5. Ein schlicht fragender Satz im Pflasterstrand Nr. 6 vom 16. bis 9. 3. 77 «Warum Jochen (Klein-Klein) an der OPEC-Geschichte in Wien beteiligt war, wissen wir nicht …» dem ich noch einige Antworten schuldig bin.
«Schweigen ist die größte Pflicht eines Revolutionärs»; wenn man ihn hat. Reden, zur rechten Zeit aber auch!!!
Ich werde versuchen, dies auf den folgenden Seiten näher zu erklären und halte es überdies für angebracht, einiges zu meiner Person und meiner politischen Entwicklung zu sagen.
Noch eine Bemerkung im voraus: Denkt beim Lesen immer daran, daß ich kein Schriftsteller war und bin und auch keiner sein will.
Das eine oder andere werde ich nur sehr verkürzt darstellen können, vieles werde ich überhaupt nicht schreiben können, wie zum Beispiel Gerichtsverwertbares. Nicht wegen meiner Person, sondern vor allem einiger Regierungen wegen, die eine nicht unerhebliche Rolle im internationalen Terrorismus spielen. Es wäre zwar ungeheuer wichtig, auch in diesem Zusammenhang etwas zu sagen, denn diese Regierungen sind inzwischen so etwas wie der Sauerstoff der westdeutschen Guerilla, ohne den sie gar nicht mehr existieren könnten. Aber ich habe mich – auch in Übereinstimmung mit meinen legalen Kontakten – dazu entschlossen, darüber weder zu schreiben noch öffentlich darüber zu sprechen. Außerdem langt es mir auch vollauf, die Guerilla und die Bullen am Hals zu haben. Fünf oder sechs verschiedene Geheimdienste dazu ginge über das Maß des mir Erträglichen hinaus.
Zum Schreiben überhaupt noch was: Das ist in der momentanen Situation ungeheuer anstrengend und aufreibend für mich. Auf der einen Seite das inzwischen nicht mehr zu bremsende Bedürfnis und die auch politische Notwendigkeit der legalen linken Szene und vor allem den mir bekannten Genossen und Genossinnen einmal mitzuteilen, wie Guerilla-«Politik» hinter den Kulissen betrieben wird. (In meinem Kopf geht es zeitweise zu wie in einem Bienenkorb; da will alles auf einmal raus.) Und auf der anderen Seite a) die Bullen, die mich logischerweise noch immer gern einfangen möchten, und b) dann die Damen und Herren der nationalen wie internationalen Guerilla. Die wollen mich natürlich nicht verhaften und in ein Volksgefängnis stecken: Die wollen mich nur ein bißchen umbringen. Erst vor kurzem versuchten sie, mich mit einem ebenso dummen wie dreckigen Trick nach … zu lotsen, von wo aus ich wohl nicht mehr weggekommen wäre, und als ich dies durchschaute, sie mir unmißverständlich klarmachten, wo’s nun langgeht mit mir.
Also, um mit dem alten Konrad A. zu sprechen: Die Lage ist sehr ernst, aber nicht hoffnungslos.
Es entbehrt schon nicht einer gewissen Tragik, daß ich mich heute mehr vor den Leuten der Guerilla in acht nehmen muß als vor den Bullen.
Ich werde also höllisch auf mich aufpassen müssen, und obwohl ich keine Knarre mit mir rumschleppe (das kann ich ruhig schreiben, denn das wissen die), werde ich meine Haut so teuer wie nur möglich verkaufen, sollten sie an die drangehen.
Es versteht sich von selbst, daß ich in dieser widrigen Situation nicht so forsch in die Tastatur hacke, wie ich das etwa in meiner Wohnung in Ffm. zu tun pflegte.
Noch was:
Ich habe jetzt – es sei gelobt, getrommelt und gepfiffen – endlich wieder Kontakte zu der legalen linken Szene in Westdeutschland, aber mich hat keiner dazu animiert oder angestiftet, etwas über meine beschissenen letzten fünfzehn Monate zu schreiben. Die Genossen und Genossinnen wissen noch nicht einmal, daß ich das gerade tue; die kommen erst in fünf Wochen wieder bei mir vorbei, und ich hoffe, bis dahin habe ich einiges zu Papier gebracht, das ich ihnen dann mitgeben werde. Vor allem hoffe ich, daß mich die Guerilla-Leute nicht beim Schreiben erwischen; ich schreibe nämlich in ihrer Hütte.
Das erste Treffen: Es war herrlich. Ich kann euch gar nicht beschreiben, wie gut das war. Nach 15 Monaten das erste Mal wieder eine normale und vernünftige politische Unterhaltung geführt zu haben, über meine Probleme zu reden, und man hörte wieder zu. Man hörte auch zu, wenn ich zu irgendwelchen Ereignissen meine Betroffenheit äußerte und blockte nicht ab und sagte: bist du nicht ganz klar im Kopf?
Ich kam mir vor wie ein Verhungerter, der 15 Monate nichts zu fressen bekam und erst jetzt so langsam wieder lernt zu essen, und ich konnte gar nicht genug bekommen, d.h. die Genossen(innen) kamen kaum zu Wort. Das fanden diese auch nicht weiter so schlimm, denn was ich ihnen alles so erzählte, verschlug ihnen eh erst mal die Sprache.
Bevor ich vorausgreife, fange ich mal an:
Wie ich meinen Brief, oder wie immer man das bezeichnen mag, verstehen wissen will, ganz kurz; es wird sich später, so glaube ich, von ganz allein herauskristallisieren:
Ich will auf Grund meiner Erfahrungen im nationalen und internationalen Guerilla-Theater die GENOSSEN erstmals oder nochmals zum Nachdenken bringen, die da auch mitmischen wollen.
Die ich kenne, die ich gut kenne, weniger gut kenne oder die ich überhaupt nicht kenne. Die aber immer noch oder auch erst jetzt «drauf» sind, zur bewaffneten Guerilla überzuwechseln. Die dabei aber sicherlich ganz andere Vorstellungen davon haben – und natürlich von denen was ganz anderes erzählt bekommen –, als es hinter den Kulissen des Guerilla-Theaters aussieht und vor allem, wie es da zugeht.
Den Sinn oder Unsinn von westdeutscher Guerilla-Politik lasse ich erst mal beiseite.
Es gibt in W-Deutschland einen sehr guten und alten Freund von mir (der, wenn er das alles gelesen hat, wohl die Welt nicht mehr versteht), der da immer glaubt, nur bei der Guerilla werde er seine politische Identität und anderes wiederfinden.
Lies denn den ganzen Rotz bitteschön mal zu Ende, und wenn du das dann immer noch glaubst und derselben Ansicht bist, okay, dann geh. Und sage, der Jochen ist ein Verräter geworden.
Nur eins von mir mit auf deinen Weg: die eigene politische Identität nämlich oder gar Verständnis für deine mannigfaltigen Probleme wirst du dort noch weniger finden als in der Stadt, in der du momentan lebst und in deren politischen Zusammenhängen du arbeitest.
Dort, in der Guerilla, mußt du es «bringen», oder du «bringst» es nicht. Erst die «Sache» und dann, wenn überhaupt, das Individuum; diese Reihenfolge hat dir eigentlich noch nie geschmeckt, und ich hoffe, dem ist auch heute noch so.
Jetzt gibt es bestimmt nicht wenige Genossen, die sich sagen: was soll denn das, 1. da jemanden persönlich anlabern und 2. auch noch so moralisch.
Gut, erstens habe ich mit diesem Genossen (der, den ich meine, wird bestimmt wissen, wen ich anspreche, wenn er’s gelesen hat) eine lange gemeinsame politische Geschichte, und deshalb liegt mir ungeheuer viel daran, daß der nicht den gleichen bzw. ähnlichen Weg gehen muß wie ich, bei dem er dann zum selben Ergebnis käme; so gut kenne ich ihn nämlich (und ich habe mir sagen lassen, daß die Guerilla aller Couleur z.Z. rekrutiert wie der Teufel), und zweitens ist Moral, so glaube ich doch, ein Teil unserer, der legalen linken Politik. (Warum schämen sich eigentlich immer so viele bei diesem Wort; schon zu meiner legalen Zeit in Ffm. war das so. Versucht es mal rauszubekommen.) Ich bin auch und gerade über das moralische Gewissen ein Linker geworden, und große Teile der Linken ja wohl auch. Ich darf da mal leise an die Ostermarsch-Bewegung erinnern. Okay?
Ich höre sie, die Stimmen, bis hierher (obwohl’s weit weg ist), vor allem die aus Frankfurt/Main – oder täusche ich mich da –, die da sagen: Jochen, gerade wir haben seit Jahren versucht klarzumachen, was das ist, die Politik der Guerilla; unter anderen auch dir.
Das ist natürlich richtig. Aber erstens habe ich das damals so nicht gesehen und wahrscheinlich so auch nicht hinnehmen und verstehen wollen.
Zweitens bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß eine ganze Menge falschgelaufen sein muß in den Argumentationen zu diesem Problem.
Wie sonst ist es zu erklären, daß trotz aller Anstrengungen eine große Anzahl von Genossen aus der linken Szene bei den verschiedenen Guerilla-Truppen gelandet ist?
Sich hinzustellen und zu sagen: das...