Es sind erschütternde Zahlen, die von UNICEF im September 2014 veröffentlicht wurden: Eine Milliarde Kinder auf der ganzen Welt wird regelmäßig Opfer körperlicher Gewalt und zwar verborgen in aller Öffentlichkeit: Hidden in Plain Sight nennt das internationale Hilfswerk deshalb auch die Ergebnisse seiner in 190 Ländern durchgeführten Untersuchung. Und dabei geht es nicht um den sprichwörtlichen Klaps auf den Po, sondern um schwere körperliche Gewaltanwendungen, oftmals in der eigenen Familie, in der Kindern und Jugendlichen eigentlich ein Schutzraum im wahrsten Sinne des Wortes gewiss sein sollte. Nicht selten werden die Opfer selbst zu Tätern und geben eigene Erfahrungen weiter, sei es an Mitschüler(innen) oder später, im Erwachsenenalter, an eigene Kinder. Dieser Teufelskreis kann sich nicht nur in der Konfrontation mit anderen manifestieren (Prügeleien, (Cyber-)Mobbing, Amok, Mord…), sondern auch als Ausdruck tiefster Verzweiflung gegen sich selbst gerichtet werden (Selbstverletzungen, emotionale Isolation, Suizid…). In der Kinder- und Jugendliteratur ist das Thema Gewalt bereits seit einiger Zeit in verschiedenen Ausprägungen präsent, auch die Forschungslage ist entsprechend umfangreich. Die Beiträge im vorliegenden Band gehen unterschiedliche Wege, was sowohl die Mehrdimensionalität der aktuellen literarischen Texte und Medien unterstreicht, zugleich aber auch das breite Spektrum an Interdependenzen betont, die dem Thema Gewalt inhärent sind. Den Anfang beschreitet Thorsten Strübe mit einer ausführlichen Untersuchung einiger Romane von Zoran Drvenkar, in denen Gewalt immer wieder – explizit und implizit – eine Rolle spielt. Vor allem in dessen autobiographischen Jugendromanen erleben die Figuren eine alltägliche, fast schon nebensächliche Gewalt, die ihren Prozess der Ich-Findung begleitet und beeinflusst. Ricarda Freudenberg widmet sich einer Autorin, in deren Romanen die Figuren oft keinen anderen (gewaltfreien) Ausweg sehen, um einem Leben zu entkommen, das weit Schlimmeres für sie bereithält. Diese Werke von Antonia Michaelis, die sich oft auf der Grenze zum phantastischen oder surrealen Erzählen bewegen, halten dabei nur selten ein Happy End bereit, statt dessen wird dem Leser/der Leserin das gedankliche Fortschreiben des Romanendes selbst überlassen. Das Thema Selbstmord nimmt Romy Brüggemann in den Blick und überträgt ihre Überlegungen zum Theaterstück norway.today sowie zum autobiographischen Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf auf den Literatur-, aber auch den (Praktischen) Philosophieunterricht, indem sie vor allem die Reflexionsebene in den Blick nimmt, auf der man Schülerinnen und Schüler beim Umgang mit diesen emotional aufgeladenen Texten sensibel begleiten sollte. Am Beispiel der Verfilmung des Sendak-Klassikers Wo die wilden Kerle wohnen untersucht Tobias Kurwinkel Mechanismen und Darstellungsformen von Gewalt im Kinder- und Jugendfilm, wobei sich überraschende Parallelen zu Hitchcocks Thrillern offenbaren. Katrin Manz und Tanja Lindauer widmen sich in ihren jeweiligen Beiträgen der aktuellen Jugendliteratur zum Thema Suizid, wobei sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Im SPEKTRUM berichtet Steffen Gailberger über ein literarisches Schreibprojekt in der Grundschule, das durch Wendebilderbücher initiiert wurde. Günter Langes Beitrag reflektiert verschiedene autobiographische Texte und Äußerungen von Christine Nöstlinger. Gina Weinkauf berichtet über ihre Tätigkeit als Vorsitzende der Jury der Deutschen Jugendliteraturpreises und zieht eine kritische Bilanz.
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