Aufwärmen: Der Sachverhalt
Am Anfang steht ein Sachverhalt, der mit der Aufgabenstellung endet. Der Sachverhalt wird Ihnen entweder von einem Klausursteller angefertigt oder das Leben hat ihn geschrieben.
Der Alltag stellt Sie als Rechtssuchenden oft zunächst vor die Frage, welcher Sachverhalt überhaupt beurteilt werden muss. Und damit ist Ihnen die Frage gestellt: Was ist eigentlich genau passiert? Sie und alle anderen Rechtsanwender stehen vor dem Problem, erst einmal klären zu müssen, was sich überhaupt abgespielt hat. Und was im Streitfall noch viel wichtiger ist: Was davon lässt sich beweisen, damit sich eine Richterin oder ein Richter von Ihrem Anspruch überzeugen lässt?
Wurde der Sachverhalt von einem Klausursteller erfunden, machen Sie sich klar, dass er ein eindeutiges Ziel verfolgen muss, nämlich einen lösbaren Fall zu einer Rechtsproblematik vorzustellen – meist aus einem bestimmten Teilgebiet (mit Ausnahme der juristischen Staatsexamen).
Die allermeisten Angaben im Sachverhalt haben deshalb eine Relevanz für die Falllösung. Sie sollten sich also fragen, welche Inhalte zu welchem Rechtsproblem passen. Überlegen Sie mindestens zweimal, bevor Sie Angaben im Sachverhalt als nicht lösungsrelevant weglassen.
Machen Sie sich das rechtliche Thema des Sachverhalts klar und vermeiden Sie Prüfungen anderer, nicht gefragter Rechtsinhalte.
Umgekehrt können Sie aus der Sachverhaltsstellung mit etwas Übung schon erkennen, worauf die Lösung zusteuert. Lassen Sie sich aber nicht davon verunsichern, falls Ihnen das nicht sofort ins Auge springt. Gerade die systematische Falllösung führt auch zielgerichtet zu einer vertretbaren Lösung!
Lesen Sie den Sachverhalt mindestens zweimal in Ruhe durch! Checken Sie die Fakten am Ende noch einmal. In der Klausur sind Sie zwar in einer Stresssituation, aber diese Zeit muss sein. Es nützt Ihnen nichts, wenn Sie vor lauter Schnelligkeit Fakten verdrehen, etwas übersehen, falsch zuordnen oder sich gar einen eigenen Sachverhalt basteln. Als Korrektor ist man immer wieder sprachlos, was Prüflinge erfinden können.
Sie machen sich also eine Vorstellung vom Sachverhalt und seinem rechtlichen Ziel. Machen Sie sich bewusst, dass der Mensch zu subjektiven Ergänzungen neigt, und achten Sie darauf, dass Sie den Sachverhalt als wahr und richtig unterstellen.
Machen Sie nicht den Fehler, den Sachverhalt zu verändern! Aussagen von Personen sind wahr, solange nichts von der Unwahrheit geschrieben steht. Machen Sie aus dem Gutachten keinen Prozess! Beweisfragen spielen in aller Regel nur im Zusammenhang mit gesetzlichen Beweislastregeln oder gesetzlichen Vermutungen des BGB eine Rolle.
Taktik: Das Gutachten
In aller Regel wird von Ihnen ein sprachlich voll ausformuliertes Gutachten zu allen Rechtsaspekten des aufgeworfenen Themas verlangt.
Sie wären sehr schlecht beraten, wenn Sie einfach beginnen, das Gutachten zu schreiben. Fertigen Sie sich auf jeden Fall vorab eine Lösungsskizze! Damit gliedern Sie nicht nur den Fall, sondern auch Ihre Gedanken. Viele Einstiege, gerade im Sachenrecht, wiederholen sich oft. Das eigentliche Problem kommt später. Nutzen Sie die Standardeinstiege, um sich selbst Sicherheit zu geben.
Die Skizzen in diesem Buch sind ausführlicher, als Sie Ihre in der Praxis fertigen werden, obwohl sie sprachlich in einem Steno-Stil gehalten sind. Das liegt am Ziel des Buches, alles Vorgehen weitestgehend zu erläutern. Mir haben in meiner Lernphase Lösungsskizzen, deren Einzelbegriffe und Abfolgen mehr Fragen als Antworten aufgeworfen haben, nicht geholfen.
Die Arbeitstechnik des Gutachtens ist der Gutachtenstil, der Ihnen im Anschluss erläutert wird. In allen Rechtsfächern wird dieser Stil verlangt, auch wenn Sie VWL, BWL, wirtschaftliche oder andere Fächer studieren oder aus sonstigen Gründen zum Recht verdonnert sind.
Aber generell denken sich Juristen etwas. Und das heißt für Sie: Der Gutachtenstil führt zu einer Struktur, die oft wie eine Schablone angelegt und nachgezeichnet werden kann. Das müsste tröstlich für Sie sein, weil es bedeutet, dass Ihnen generell eine schematische Anleitung zur Verfügung steht. Nutzen Sie dieses Schema!
Ziel Ihres Gutachtens ist es, dass Sie eine juristisch unwissende Person – ohne Kenntnis des Sachverhalts – in einem zusammenhängenden Text von der Ausgangsfrage bis zum Ergebnis logisch führen.
Das ausformulierte Gutachten fordert von Ihnen vollständige Sätze und schlüssige, sinnvolle Aussagen. Auch wenn es in einer Klausur nicht um den Pulitzer-Preis geht – was Sie anfertigen, sollte für die Korrektoren gut und sinnig lesbar sein.
Startschuss: Wer will was von wem woraus?
Mit dieser Einstiegsfrage starten Sie jede Falllösung. Gute Juristen nutzen diese Frage auch im Alltag noch, auch wenn sie sie vielleicht nicht mehr aufschreiben.
Weil Rechte eine Grundlage brauchen, die Anspruchsgrundlage, steht die Suche nach der Anspruchsgrundlage am Ende dieser Frage. Aber immer schön der Reihe nach.
Wer will
Sie haben hier die Frage nach der Person, die einen Anspruch gelten machen möchte. Wenn mehrere Personen an einem Sachverhalt beteiligt sind, ist der richtige Anspruchsteller herauszufinden.
Lesen Sie die Aufgabe beziehungsweise die Fallfrage genau. Bezeichnen Sie die Personen bewusst! Immer wieder werden die Personen vertauscht.
Was
Hier beantworten Sie die Frage nach dem konkreten Ergebnis, das der Anspruchsteller anstrebt. Es geht um die Rechtsfolge. Rechtsfolgen können vielfältig sein, wie ein konkretes Vertragsversprechen, aber auch Schadensersatz und sonstige Rechte.
Oft werden Sie eine exakte Frage nach einem Was haben. Manchmal (vor allem in juristischen Examen) wird aber einfach nur danach gefragt, wie die Rechtslage sei. Dann müssen Sie für alle Beteiligten die Interessenlage untersuchen und selbst entscheiden, wer sinnvollerweise welchen Anspruch geltend machen könnte.
Von wem
Hier müssen Sie nach dem Anspruchsgegner suchen. Das ist die Person, gegen die der Anspruchsteller (Wer will) den Anspruch beziehungsweise die Rechtsfolge (was) geltend macht. Auch hier gilt, sobald mehr als zwei Personen beteiligt sind, kann es schwieriger werden. Arbeiten Sie genau!
Woraus
Sie sind beim wichtigsten und schwierigsten Abschnitt der W-Frage angekommen. Es wird die Anspruchsgrundlage gesucht. Die Anspruchsgrundlage ist ein Paragraf, der die gewünschte Rechtsfolge liefern kann.
Das Woraus ist die Antwort auf das Was!
Für die Antwort auf das Was müssen Sie wissen, was eine Anspruchsgrundlage ist und wie man sie findet. »Eine Anspruchsgrundlage hat mindestens eine Voraussetzung, deren Erfüllung zu einer Rechtsfolge im Sinn des § 194 Abs. 1 BGB führt, also derart, dass eine Person von einer anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen kann.« Der letzte Halbsatz ist wichtig, weil nicht jegliche rechtliche Folge einen Paragrafen zu einer Anspruchsgrundlage macht. So definiert zwar § 276 Abs. 2 BGB eine rechtliche Folge (»wenn Sorgfalt nicht eingehalten, dann Fahrlässigkeit gegeben«); das ist aber keine Anspruchsgrundlage, weil keine Person »Fahrlässigkeit« von einer anderen Person verlangen kann.
Sie müssen also eine Norm (= Paragraf) finden,...