Einleitung
zu diesem Band
„Was von Anfang an war, was wir gehört haben,
was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut
und was unsere Hände angefasst haben,
das verkünden wir: das Wort des Lebens.“
1. Johannes-Brief 1,1
Im vorliegenden Zweiten Band über „Friedensarbeiter, Antifaschisten und Märtyrer des kurkölnischen Sauerlandes“ stehen Christen im Mittelpunkt, die ihr Lebens-Zeugnis gegen die Todesreligion des Nationalsozialismus gestellt haben und in Mordwerkstätten der deutschen Faschisten umgekommen sind: der Salweyer Pfarrvikar Otto Günnewich (1902-1942); die ehemalige Finnentroper Modeverkäuferin Sr. Angela Maria Autsch (19001944), bekannt als „Nonne von Auschwitz“; Bäckermeister Josef Quinke (1905-1942) aus Fretter; der Herrntroper Bauernsohn Carl Lindemann (1917-1944); der aus Sundern stammende Landwirtschaftslehrer Dr. Josef Kleinsorge (1878-1945); der Rechtskatholik Ferdinand von Lüninck (1888-1944), dessen Abkehr vom Nationalsozialismus10 Gisbert Strotdrees in einem ‚Gastbeitrag‘ beleuchtet; Franziskanerpater Kilian Kirchhoff (1892-1944) aus Rönkhausen; schließlich der Dortmunder Friedrich Karl Petersen (1904-1944), der als Verfolgter eine Seelsorgestelle in Eslohe-Reiste nicht mehr antreten konnte.
Außerdem wird in einem weiteren Porträt an den couragierten Zentrumspolitiker und Arnsberger Propstdechanten Joseph Bömer (1881-1942) erinnert. Hinzugefügt ist der Sammlung ein dokumentarischer Lesesaal mit Texten zu den sauerländischen Friedensboten Peter Grebe (Selbstzeugnis), Josef Rüther (verfasst von Sigrid Blömeke) und Franz Stock11 (verfasst von Dieter Riesenberger). Hierbei handelt es sich um „Nachträge“ zum Ersten Band12, der u.a. auch schon Kapitel zu dem im KZ Groß-Rosen umgekommenen katholischen Journalisten Franz Geuecke (18871942) aus Schmallenberg-Bracht und zum hingerichteten Bauern Josef Hufnagel13 (1903-1944) aus Attendorn-Dünschede enthält.
1. Lebenszeugen wider den Todeskult
Die verbreitete Bezeichnung „Blutzeugen“ findet im Titel dieses Buches keine Verwendung, obwohl in den meisten Kapiteln des Bandes ‚wirkliche‘ Märtyrer vorgestellt werden. Die Überschrift soll schon vorab vermitteln, dass es nicht etwa um Leidensverherrlichung geht, sondern um Zeugnisse von Menschen, die das „Wort des Lebens“ (1. Johannes-Brief 1,1) vernommen haben. Die völkischen Anbeter von „Blut und Rasse“ beanspruchten für sich aufgrund eines biologistischen Vitalismus, „lebensbejahend“ zu sein. In der katholischen Kirchlichkeit der Landschaft seien demgegenüber „naturfeindliche und volksfeindliche Kräfte“ am Werk, so die – neuerdings euphemistisch als „konservativ“ eingestufte – Nazi-Dichterin und Rassistin Josefa Berens-Totenohl 1938 in ihrem Text „Der sauerländische Mensch“.14 Doch der vermeintliche „Lebenskult“ der Nationalsozialisten war lediglich die Hülle eines abgründigen Todeskultes: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“ Menschen, die nach den Maßstäben der faschistischen „Rassenhygiene“ als „nicht erbgesund“ galten, wurden kurzerhand ermordet. Die Mütter sollten viele Kinder gebären, um dem Kriegerheer der „arischen Herrenrasse“, das Tod in alle Welt brachte, unentwegt neue Soldaten zuzuführen. Die Vernichtung der sogenannten „Nichtarier“ (besonders der Juden, Sinti und Roma) vollzog sich im Rahmen einer Mordindustrie mit hunderttausenden willigen Helfern und Helfershelfern sowie einer ganzen Völkerschar aus Zuschauern. Am Ende hatten die Nazis den Boden der von ihnen als ‚heilig‘ erachteten ‚Mutter Erde‘ mit über 70 Millionen Leichen bedeckt. Die Führer des III. Reiches beschworen zuletzt mit großem Pathos den Untergang und entzogen sich in vielen Fällen durch Selbsttötung der Verantwortung.
Alles kommt darauf an, ‚Götterdämmerung‘, Zerstörungslust und Todesverherrlichung in den Ideologien der Rechten zu entlarven. Auch deshalb ist es so bedeutsam, das Gedächtnis der christlichen Märtyrer bzw. Bekenner unter die Überschriften „Lebenszeugen“15 und „Liebhaber der Menschen“ zu stellen. Hierbei darf jedoch nie unterschlagen werden, dass das Zeugnis vom „Wort des Lebens“ all jene, die sich den Apparaturen der Todeskulte verweigern, eben in tödliche Konflikte16 hineinführen kann ...
2. Martyrium und „politische Heiligkeit“
Auch im Sauerland gab es neben den NSDAP-Parteimitgliedern, die ihre römisch-katholische Konfessionszugehörigkeit beibehielten, solche Nationalsozialisten, die unter der Losung „Nieder mit dem Juden- und Christentum“ jede authentische Kirchlichkeit in der Nachfolge Jesu zu vernichten gedachten. In der Landschaft kam es – wie anderswo – ebenfalls zur Zerstörung von Kreuzen und Bildstöcken.17 Es wurde allerdings niemand etwa nur deshalb verfolgt, weil er den Glauben an die „Dreifaltigkeit Gottes“ oder die dogmatische Lehre von den „zwei Naturen Jesu Christi“ im Sinne des orthodoxen (‚rechtgläubigen‘) Bekenntnisses bewahrte. Gleichwohl konnten bereits ausgesprochene Kirchentreue, Glaubensbekundungen im öffentlichen Raum, die Verteidigung kirchlicher Rechte sowie insbesondere eine Beteiligung an verbotenen konfessionellen Verbandsaktivitäten vom Regime als Oppositionshaltung bzw. Widerstand bewertet werden. Die Zugehörigkeit zu einem kirchlichen Milieu, das sich zumindest auf einigen Lebensfeldern dem totalen Verfügungsanspruch des NS-Staates entzog, hatte oftmals eine politische Bedeutsamkeit, noch bevor es zu Anklagen wegen „Staatsfeindlichkeit“, „Wehrkraftzersetzung“ oder „Feindbegünstigung“ kam.18
Die Illusion, man könne die Bereiche „Glaubensbekenntnis“ und „Politik“ fein säuberlich trennen, führte schon während des Dritten Reiches zu absurden Schlussfolgerungen. So wurde z.B. der Märtyrer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), der aufgrund seines Glaubens-„Gehörsams“ dem Hitlerismus jeglichen Gehorsam versagte, nach seiner Verhaftung nicht in die allgemeine Gedenkbzw. Fürbittliste der Bekennenden Kirche für die Gefangenen aufgenommen. Der Pallottiner Franz Reinisch (1903-1942), dessen „Menschennetz“ bis ins kleine sauerländische Dorf Fretter reichte (→III.6), weigerte sich aus Glaubensgründen, dem Massenmörder Adolf Hitler den vorgeschriebenen Treueeid zu leisten. Sein Martyrium blieb bei Anhängern staatskirchlicher Ideologien auch dann noch unverstanden, als man längst um die unaussprechlichen Verbrechen wusste, die in Erfüllung des unheiligen Eides ausgeführt worden waren.
Doch genau besehen gab es nach 1945 in Deutschland beim Gedächtnis der christlichen Zeugen fast immer ein – ausdrückliches oder unausgesprochenes – Wissen um die mitmenschlichen und politischen Dimensionen von „Heiligkeit“. Manche Christen waren zu Tode gekommen, weil sie sich gegen die Ermordung sogenannter „Behinderter“, den blutigen Rassenwahn oder Kriegsverbrechen gestellt und auf diese Weise zentrale ‚Glaubensinhalte‘ wie die Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen und die Einheit des Menschengeschlechtes19 auf der Erde bezeugt hatten. Die Folterer, Richter und Henker ließen sich leiten vom Hass auf einen Glauben, in dem Gottes- und Nächstenliebe nicht auseinandergerissen werden können. Im deutschen „Martyrologium“20 des 20. Jahrhunderts, das im Anschluss an das Apostolische Rundschreiben „Tertio millennio adveniente“21 vom 10. November 1994 unter Federführung von Helmut Moll erarbeitet worden ist, findet man die Bedeutung des „Politischen“ im christlichen Lebens-Zeugnis auf Schritt und Tritt bestätigt.22
Theologische Einsichten, die besonders bei der Würdigung der Glaubenszeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus schon seit langem angewandt und anerkannt werden, sind im Raum der Weltkirche in anderes Zusammenhängen allerdings noch bis vor wenigen Jahren bestritten worden. Einflussreiche Gegner der lateinamerikanischen Kirche der Armen behaupteten z.B., der auf dem ganzen Erdkreis verehrte Märtyrerbischof Óscar Arnulfo Romero (1917-1980) sei aus ‚rein politischen‘ Gründen ermordet worden. Das Motiv „Hass gegen den Glauben“ spiele hingegen keine Rolle, zumal die Täter ja auch Katholiken gewesen seien.23
Erst unter Bischof Franziskus von Rom konnten solche aberwitzigen Konstruktionen zugunsten einer ‚Kirche der Reichen und der...