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Auf schmalem Grat

Erinnerungen an eine bürgerliche Jugend in Deutschland 1926-1947

AutorFranz Hermann Franken
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl388 Seiten
ISBN9783105607114
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Was Franz Hermann Franken unprätentiös, farbig, präzise beschreibt, ist seine Kindheit und Jugend, die 1926 beginnt und 1947 abrupt endet - die Geschichte eines Jungen, der im Schoß einer großbürgerlichen Familie erzogen wird, der im Rheinland und in Baden die tiefgreifenden Ereignisse der dreißiger Jahre durchlebt und bei Kriegsende mündig wird, indem er als Soldat dem Totengräber wortwörtlich von der Schippe springt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Franz Hermann Franken, geb. 1926, wuchs in Freiburg/Br. auf. Besuch des humanistischen Gymnasiums. 1943 wurde er Luftwaffenhelfer, 1944 kam er zur Wehrmacht. Im Mai 1945 geriet er in französische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach zwei Jahren zurückkehrte. Studium der Medizin. Nach seiner Ausbildung als Assistenzarzt habilitierte er sich und wurde 1968 Professor. 1970 übernahm er die Leitung einer Großstadtklinik. 1984 zog er sich aus dem aktiven Dienst zurück. International bekannt geworden ist Franken durch zahlreiche Fachpublikationen.

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Leseprobe

Erster Teil Kindheit


Die Eltern


Mein Vater, Hermann Franken, besaß eine umfangreiche Bibliothek, für die ich mich schon als Sextaner interessierte. Es waren besonders die Bücher über den Ersten Weltkrieg, die mich fesselten, Remarques «Im Westen nichts Neues», Renns «Krieg» und «Infanterist Perhobstler», dessen Autor ich vergessen habe. Ich verschlang sie heimlich, denn sie waren mir verboten, fand sie aufregend und erschreckend, aber gerade das reizte mich. Ich stellte mir vor, daß mein Vater das alles selbst erlebt hatte, und fragte mich, wie ein derart gezeichneter Mann noch Frauen lieben und gar eine Familie gründen konnte. Es war mir unbegreiflich, daß diese verschiedenen Welten von ein und derselben Person bewältigt wurden, daß der gleiche Mensch, der gekämpft und getötet hatte, jetzt Kinder aufzog und als Arzt wirkte.

Mein Vater war 1895 in Mönchengladbach im Rheinland geboren. Dort wirkte mein Großvater als praktischer Arzt in einem Arbeiterviertel. Er war mit einer Maria Spieß aus Düren verheiratet, die ihm fünf Kinder geboren hatte. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, gehörte mein Vater als aktiver Fahnenjunker dem 21. Pionierbataillon in Mainz an. Zum Unteroffizier befördert, zog er gleich zu Kriegsbeginn über Belgien nach Frankreich hinein und nahm an der historisch so bedeutsamen Marneschlacht und dem anschließenden Rückzug der deutschen Armee teil. Später kämpfte er auf der Lorettohöhe, der berüchtigten Höhe 304 bei Verdun, bei St. Quentin und an der Somme, Namen, die für ein Meer sinnlos vergossenen Blutes stehen. Mehrmals entging er dem Tod um Haaresbreite. Ab Mitte 1916 befehligte er als Leutnant einen Minenwerferzug, wurde kurz vor Kriegsende Kommandeur eines Infanteriebataillons und war in die letzten schweren Abwehrkämpfe im Westen verwickelt. In voller Ordnung marschierte er anschließend an der Spitze seines Bataillons nach Mainz zurück, worauf er sein Leben lang stolz war. Er war zum Ritterkreuz des Hohenzollernschen Hausordens mit Schwertern eingereicht, wegen «der politischen Umwälzungen» konnte ihm der Orden jedoch nicht mehr verliehen werden. Diese fehlende letzte Anerkennung blieb wie in leiser Makel an ihm hängen. Auch ein übergroßes photographisches Porträt Wilhelms II., auf das dieser in großen Lettern geschrieben hatte «für Tapferkeit vor dem Feinde», versehen mit einer schwungvollen Unterschrift, tröstete ihn nicht darüber hinweg.

Den Sprung ins bürgerliche Leben hatte mein Vater mit dem für ihn bezeichnenden Selbstbewußtsein getan. Kaum war er am 29. Januar 1919 als Reserveoffizier entlassen worden, begann er mit dem Medizinstudium in Würzburg. Bereits das Wintersemester 1918/19 und ein darauffolgendes Zwischensemester wurden ihm beim Studium angerechnet. In Bonn legte er das Physikum ab, wechselte dann nach Freiburg und später nach Köln, wo er 1922 das Staatsexamen machte. Seine Dissertation gehörte zu den zahlreichen Kasuistiken im Raritätenkabinett der Medizin: «Ein Fall eines isolierten angeborenen Daumenmangels ohne sonstige Mißbildungen»; er erhielt die Note «gut» dafür. Dem Staatsexamen schlossen sich Volontärarztzeiten am pathologischen Institut der Universität Bonn bei Mönckeberg, an der Königlich chirurgischen Universitätsfrauenklinik bei dem berühmten Garré und an der Bonner Universitätsfrauenklinik an. Hier war es der damalige Oberarzt und später bedeutendste Vertreter der deutschen Gynäkologenschule, Heinrich Martius, den mein Vater kennenlernte. Die beiden verstanden sich so gut, daß daraus eine lebenslange Freundschaft wurde. Es war aber nicht nur gegenseitige Sympathie, die die Beziehungen schuf, sondern auch das wissenschaftliche Interesse meines Vaters, der damals unter Martius’ Anleitung seine ersten Tierexperimente zu Fragen der Keimschädigung durch Röntgenstrahlen durchführte. Als Volontärarzt verdiente er indes kein Geld, und eine ordentliche Assistentenstelle erhielt er nicht, was ganz persönliche Gründe hatte.

Bei einer Einladung in Bonn hatte mein Vater eine Grete Melzenbach aus Cochem an der Mosel kennengelernt. Ihr Vater Franz Heinrich Melzenbach besaß in dem Moselstädtchen, zusammen mit seinem Bruder Töner, eine ansehnliche Weingroßhandlung. Er war mit Mathilde Eschbaum, einer Bonnerin, verheiratet. Angeblich hatte sein zartes, später nie mehr gehörtes Cellospiel entscheidend zu diesem Schritt beigetragen, denn Mathilde war musikliebend und verstand sich aufs Klavierspiel. Grete blieb das einzige Kind der Ehe. Sie war sieben Jahre jünger als mein Vater und hatte sich gerade an der philosophischen Fakultät der Universität Köln inskribiert. Nach einem Besuch von Goethes «Faust» (zweiter Teil, versteht sich) verlobten sich Hermann und Grete. Großvater Melzenbach, mit einem Schnupfen ringend, soll, als man ihm schonend davon berichtete, gejammert haben: «Zu meinem Schnupfen auch das noch.»

Die standesamtliche Trauung fand am 17. März 1923 statt, die kirchliche, wegen der turbulenten Zeiten, erst im Oktober 1923. Man konnte sie auch nicht in Cochem feiern, da der Großvater zu jener Zeit von der französischen Besatzungsmacht ausgewiesen war. Mein Vater hatte bei seiner Familiengründung nicht berücksichtigt, daß man in den Universitätskliniken grundsätzlich keine verheirateten Assistenten einstellte. Zum Verständnis muß man sich die damalige soziale Stellung des Arztes und die der Frauen vor Augen führen. Der Arzt galt als Idol, als Übermensch, der nur für seine Patienten da zu sein und wissenschaftlich zu arbeiten hatte. Die Klinikchefs, die solches von ihren Oberärzten und Assistenten forderten, lebten es auch vor. Frauen und gar noch Ehefrauen hatten bei diesem Kodex von Pflichterfüllung und Allgegenwärtigkeit wenig Platz. Verheiratet zu sein, blieb den Chefs und älteren Oberärzten vorbehalten. Für die Jüngeren galt es als Hemmschuh, als hinderlich für die Karriere. Dabei ist zu bedenken, daß Heirat damals gleichbedeutend mit der Sorge für unberechenbar viele Kindermünder war, denn die Pille gab es noch nicht. Die Ehefrauen standen gewöhnlich auch nicht im Beruf und erforderten Aufmerksamkeit und Zeit. Zur Eheschließung bedurfte es der Zustimmung des Klinikchefs, der dieses Privileg altverdienten Oberärzten zubilligte. Ein Schüler Sauerbruchs, Professor Weißschädel, erzählte mir nach dem Krieg, daß er sich als Mitdreißiger und inzwischen Oberarzt zu seinem Chef gewagt habe, um von ihm die Erlaubnis zur Heirat zu erbitten. Sauerbruch habe zunächst gemault, «Du kannsch mie doch nit eifach sitze lasse» (er sprach waschechtes Schwäbisch), genehmigte aber dann die Hochzeit widerwillig.

Volontärarzt Dr. Franken wäre gern Chirurg geworden und hatte die Chance, bei Garré eine Stelle zu erhalten. Der erfuhr aber auf recht unglückliche Weise, daß der Bewerber verlobt war, und winkte gleich ab. Er hatte eine Tante der Braut operiert, die ihm geschwätzig von der Verlobung ihrer Nichte mit meinem Vater vorschwärmte. Man heiratete nun erst recht offiziell und nicht heimlich, wie so mancher andere Assistent, und nach gut neun Monaten kam ein Töchterchen zur Welt, meine Schwester Margret. Aber was nun werden sollte, wußte man nicht. Da brach sich Großvater Franken das Bein und fiel längere Zeit für seine Praxis aus. Mein Vater sprang für ihn ein und gewann eine Frist, um sich weiter nach einer Stelle umzusehen.

In Düsseldorf kannte der Großvater den Lehrstuhlinhaber für Gynäkologie und Geburtshilfe an der dortigen Medizinischen Akademie, Professor Pankow; er fragte bei ihm. wegen einer Assistentenstelle für seinen Sohn an. Pankow lud daraufhin meinen Vater zu einem Vorstellungsgespräch ein, das eine positive Wendung nahm. Er hatte aber nicht damit gerechnet, daß ein Bewerber für eine Assistentenstelle verheiratet sein könnte, bis ihn mein Vater mit den Worten «Herr Professor, ich bin aber verheiratet und habe ein Kind» darauf aufmerksam machte. Hierauf kühlte Pankow merklich ab und erklärte, im Augenblick sei keine Stelle frei. Enttäuscht kehrte mein Vater nach Mönchengladbach zurück, er glaubte nicht daran, je nochmals etwas von Pankow zu hören. Zwei Wochen später läutete das Telephon in der Eickenerstraße und Dr. Franken jr. wurde verlangt. «Hier Pankow», schallte es aus dem Hörer, «Sie können am ersten bei mir anfangen.» Das war unglaublich, Pankow beschritt neue Wege, indem er einen verheirateten Assistenten einstellte; die Ehrlichkeit meines Vaters hatte ihn überzeugt. Pankow blieb immer das Idol meines Vaters, und daß Ehrlichkeit im Arztberuf an erster Stelle zu stehen hat, dieses Gebot galt später auch in meiner Klinik.

Assistent bei Pankow, das war ein Ereignis, dem ich es sicher mit zu verdanken habe, daß ich am 12. Oktober 1926 zu Düsseldorf geboren wurde. Aber das Leben an der Frauenklinik war hart. Meine Mutter lernte schnell kennen, was es bedeutete, Ehefrau eines Klinikassistenten zu sein. Pankow ernannte meinen Vater zum «Kreißsaalarzt», was Dienst rund um die Uhr bedeutete. Der Kreißsaalarzt hatte bei jeder Geburt anwesend zu sein, die Möglichkeit, die Entbindungen medikamentös in die «Dienstzeit» zu legen, wie das heute praktiziert wird, bestand nicht. Wochenlang kam mein Vater nicht nach Hause, einmal waren es in drei Monaten nur zwei Mal. Ich glaube, das ist mit dafür verantwortlich, daß meine Schwester Lia erst vier Jahre später, nach der Übersiedlung nach Freiburg, zur Welt kam. Pankow hatte einen Ruf auf den dortigen Lehrstuhl erhalten und meinem Vater dazu nur erklärt:...

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