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E-Book

Schülerverhalten ändern

Bewährte Methoden der schulischen Erziehungshilfe

AutorHerbert Goetze
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl236 Seiten
ISBN9783170228610
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Pedagogues are increasingly confronted by pupils behaving problematically. This book provides teachers with reliable but often unfamiliar methods to help education at school. In the main section of the book these methods are presented practically. These consist of: classical methods of behaviour modification, cognitive behavioural modification, rational-emotive therapy, resilience training, reality therapy, conversational therapy, interventions through teacher-pupil conferences, play therapy and the life-space-crisis-intervention. Their implementation in everyday lessons is the focus of this presentation. Every method is put into a theoretical context, described extensively and checked for relevance and usability in school. Finally, empirical proof on the method's effectiveness is added.

Prof. Dr. Goetze taught special education at the university of Potsdam and currently teaches at the Indiana University Northwest.

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Leseprobe

2 Verhaltensstörungen und ihr Umfeld
Wie man sich die Entstehung von
Verhaltensstörungen erklären kann


In der Einleitung waren Probleme erörtert worden, die im Zusammenhang mit der Anwendung pädagogisch-therapeutischer Methoden in der schulischen Erziehungshilfe stehen. In diesem Kapitel soll nun geklärt werden, um welche Zielgruppenprobleme es geht, an wen sich also die später dargestellten Methoden richten. Wir haben danach zu fragen:

  • Welche Begriffe sind für die Zielgruppe optimalerweise zu verwenden?
  • Wie sind Verhaltens- bzw. emotionale Störungen zu definieren?
  • Welche theoretischen Perspektiven erklären die Entstehung dieser Störungen?

2.1 Definitionsprobleme


An erster Stelle ist in diesem Kapitel die Frage zu klären, was unter einer Verhaltens- bzw. einer emotionalen Störung zu verstehen ist. Dazu ist zuvor die Begrifflichkeit – Verhaltens- bzw. emotionale Störung – zu klären, die für diesen Text maßgeblich sein soll. Es gibt nämlich die unterschiedlichsten Bezeichnungen, die in der Fachwelt verwendet werden, wie z.B.:

  • Verhaltens- bzw. emotionale Störung,
  • Verhaltensauffälligkeit,
  • emotionale Fehlanpassung,
  • psychiatrische Auffälligkeit,
  • psychosoziale Störung,
  • Erziehungshilfebedarf.

Keiner dieser Begriffe kann für sich in Anspruch nehmen, den Gegenstand optimal zu bezeichnen. In diesem Band wird für die Bezeichnung „Verhaltens- und emotionale Störung“ auch die Kurzform „Verhaltensstörung“ verwendet, weil damit dem internationalen Sprachgebrauch gefolgt und Sprachökonomie berücksichtigt wird. Die Bezeichnung deckt zudem logisch-inhaltlich ein weites Spektrum an Störungen ab, die entweder auf ungenügendes soziales und personales Lernen zurückgehen oder inhärente Psychopathologien mit eher psychiatrischer Natur betreffen.

Wenn damit eine Entscheidung für die Begrifflichkeit gefallen ist, stellt sich als Nächstes die Frage nach der Begriffsbestimmung, eine Frage, die in der Fachliteratur viele Antworten findet. Warum „Verhaltens- bzw. emotionale Störung“ so unterschiedlich definiert werden kann, liegt an der wenig objektivierbaren Natur dieses Gegenstandes: In jeden Definitionsversuch gehen nämlich unterschiedliche Erziehungsphilosophien, Menschenbilder, wissenschaftliche Paradigmen und letztlich auch Subjektivismen ein. Je nach Arbeitsfeld der Fachleute muss die Antwort also unterschiedlich ausfallen. So wird ein Psychoanalytiker bei einer Verhaltensstörung an eine inadäquate Ich-Entwicklung denken, ein Verhaltenstherapeut verfehltes Lernen für ausschlaggebend und ein Psychiater abnormale Persönlichkeitsentwicklungen für entscheidend halten. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum es eine alles umfassende Definition für „Verhaltens- bzw. emotionale Störung“ nicht geben kann.

International haben sich zwei Definitionen durchgesetzt, für die der pragmatische Zugriff und die weitgehende Operationalisierbarkeit der verwendeten Begriffe sprechen.

Ein länger zurückliegender Definitionsversuch stammt von Bower (1981). Es handelt sich hier um eine Merkmalsdefinition, nach der man dann von einer Verhaltensstörung spricht, wenn

  1. eine Störung des Lernens vorliegt, die nicht auf intellektuelle, sensorische oder gesundheitliche Faktoren zurückgeführt werden kann,
  2. eine Unfähigkeit vorliegt, befriedigende soziale Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten,
  3. unangepasste Verhaltensweisen oder unangemessene Gefühle auftreten, auch wenn die Umstände dazu keinen Anlass geben,
  4. eine generalisierte negative Dauerstimmung oder Depression den Alltag kennzeichnen,
  5. tendenziell psychosomatische oder Angstsymptome entwickelt werden, die zusammen mit persönlichen und schulischen Problemen auftreten.

Diese Definition kann für sich in Anspruch nehmen, die wichtigsten, empirisch ermittelten Merkmale einer Verhaltensstörung widerzuspiegeln. Von Nachteil ist allerdings, dass die Symptome additiv nebeneinandergesetzt erscheinen und unverbunden sind; man weiß also nicht, wie viele der genannten Merkmale in welcher Ausprägung zusammenkommen müssen, damit das Definitionskriterium einer Verhaltensstörung erfüllt ist. So entscheidende Kriterien wie das Entwicklungsalter, Nachbarschaft und soziales Milieu oder die Normenproblematik werden ebenfalls nicht thematisiert.

Eine andere Definition, die diese Probleme zu überwinden sucht, geht auf eine US-amerikanische Vorlage des Council for Children with Behavioral Disorders zurück und ist z.B. für das Bundesland Brandenburg maßgeblich geworden (Goetze 2001, 17):

Der Begriff der emotionalen Störung oder Verhaltensauffälligkeit bezeichnet eine soziale Behinderung, die durch abweichende Verhaltens- oder sozial-emotionale Reaktionen bei Kindern und Jugendlichen gekennzeichnet ist. Die Normabweichungen in entwicklungsbezogener und gesellschaftlicher (kultureller, ethnischer) Hinsicht lassen die weitere Bildung und Erziehung des Schülers bzw. der Schülerin als gefährdet erscheinen. Symptomatisch sind im Allgemeinen sozial-emotionale und schulleistungsbezogene Störungen.

Eine emotionale Störung oder Verhaltensauffälligkeit tritt über einen längeren Zeitraum (mehrere Monate) in mehreren (mindestens zwei) Lebensbereichen auf, wovon einer die Schule ist, und ist also mehr als eine zeitlich begrenzte Reaktion auf besondere Stressereignisse; eine emotionale Störung bzw. Verhaltensauffälligkeit ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass sie mit den Möglichkeiten der allgemeinen Schule nicht ausreichend abgebaut werden kann. Eine emotionale Störung oder Verhaltensauffälligkeit kann in der Regel durch ein abgestuftes Fördersystem so weit abgebaut werden, dass Betroffene möglichst unter Regelbedingungen unterrichtet und zu einem qualifizierten Schulabschluss geführt werden.

Wie man dieser Definition entnehmen kann, geht es einerseits um Abweichungen von gesellschaftlichen Normen, andererseits um länger andauernde personale Symptome, die nicht auf identifizierbare Stressereignisse zurückgeführt werden können; schließlich soll eine Verhaltensstörung in zwei unterschiedlichen Settings auftreten, wovon eines die Schule ist. Es ist auch festgelegt, dass die Regelschule mit den ihr eigenen Ressourcen augenscheinlich das pädagogische Problem zu lösen nicht in der Lage ist – man denke nur an Kinder mit extrem ausgeprägten psychiatrisch zu behandelnden Symptomen, die oft nicht einmal zeitweise integrativ beschult werden können. Als weiteres Kriterium tritt hinzu, dass Verhaltensstörungen auch in Verbindung mit anderen Behinderungen oder Störungen auftreten können. Eingeschlossen sind ausdrücklich psychiatrische Auffälligkeiten wie affektive Störungen.

Diese Definition kann für sich in Anspruch nehmen, die wesentlichen Aspekte abzudecken. Entscheidend ist die letzte Aussage, dass sämtliche sonderpädagogischen Bemühungen darauf auszurichten sind, einen qualifizierten Schulabschluss zu ermöglichen; denn zu leicht kann dieser zentrale Aspekt aus dem Blickwinkel geraten, wenn die Anwendung pädagogisch-therapeutischer Maßnahmen, wie sie im Hauptteil dieses Buches dargestellt werden, allein der psychosozialen Rehabilitation dienen, ohne dass der junge Mensch auch für seine berufliche Zukunft fit gemacht wird.

2.2 Theoretische Zugänge


Nachdem eine längere Begriffsbestimmung für eine Verhaltens- bzw. emotionale Störung diskutiert worden ist, sollen nun knapp einige theoretische Perspektiven erörtert werden, denen die im Hauptteil dieses Buches diskutierten Methoden zugrunde liegen.

In der Fachliteratur wird ein breites, auch zahlenmäßig umfängliches Spektrum an theoretischen Konzepten diskutiert. Um die Leserschaft dieses Bandes knapp zu orientieren und nicht mit einer Überfülle an Informationen zu konfrontieren, werden die drei bedeutsamsten theoretischen Perspektiven nach Newcomer (2003) vorgestellt, die dann auch zum Verständnis der Interventionen notwendig sind:

  • Verhaltensstörung als Pathologie der Person,
  • Verhaltensstörung als sozio-kulturelle Abweichung,
  • Verhaltensstörung als Ergebnis der Entfremdung von sich selbst.

2.2.1 Verhaltensstörung als Pathologie der Person


Unter dem Etikett der Pathologie werden Verhaltensstörungen als Erkrankung verstanden, die sich nach außen hin als Verhaltenssymptome äußern. Verhaltensweisen tragen dann gewissermaßen Signalcharakter und geben zu erkennen, dass innerhalb des Organismus nach außen nicht sichtbare Störungen vorhanden sind. Wenn die Verhaltensstörung als Krankheit begriffen wird, dann wird die betroffene Person nicht für ihre Störung und damit für ihr Verhalten verantwortlich zu machen sein, sie wird von Antrieben gesteuert, die außerhalb der Reichweite ihrer Kontrolle liegen, die entweder – physiologisch – durch neuronale Bedingungen oder – psychoanalytisch – durch ihr Triebschicksal verursacht sind. Es muss also ungünstige Bedingungen gegeben haben, die im weiteren Verlauf zu pathologischen Erscheinungen geführt oder sie zumindest ausgelöst haben.

Eine Verhaltensstörung wird also als Symptom gesehen, hinter dem sich Ursachen verbergen, die von außen nicht ohne...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Titel1
Inhaltsverzeichnis6
1 Einleitung12
1.1 Grundlegende Überlegungen zu Methoden in der schulischen Erziehungshilfe12
1.2 Methoden in der schulischen Erziehungshilfe im Spannungsfeld12
1.3 Konsequenzen für die Ausführungen in diesem Band14
1.4 Charakterisierung der Methoden15
1.5 Das Inhaltsangebot dieses Buches16
1.6 Ziele dieses Buches18
Literatur19
2 Verhaltensstörungen und ihr Umfeld20
2.1 Definitionsprobleme20
2.2 Theoretische Zugänge22
2.2.1 Verhaltensstörung als Pathologie der Person23
2.2.2 Verhaltensstörung als sozio-kulturelle Abweichung24
2.2.3 Verhaltensstörung als Ergebnis der Entfremdung von sich selbst28
2.2.4 Perspektivenvergleich30
2.3 Resümee33
Literatur33
3 Verhaltensmodifikation34
3.1 Einleitung34
3.2 Konzept34
3.2.1 Die Funktionale Verhaltensanalyse38
3.3 Interventionen40
3.3.1 Verhaltensdiagnostik40
3.3.2 Erhöhung erwünschten Verhaltens – positive Verstärkung44
3.3.3 Weitere Möglichkeiten, Verhalten zu ändern58
3.4 Schulische Umsetzungen60
3.5 Empirische Fundierungen65
3.6 Kritische Würdigung66
Literatur68
4 Kognitive Verhaltensmodifikation69
4.1 Einleitung69
4.2 Konzept70
4.3 Interventionen72
4.3.1 Selbstkontrolltraining72
4.3.2 Selbstinstruktionstraining77
4.4 Schulische Umsetzungen80
4.4.1 Selbstgespräche führen80
4.4.2 Selbstaufzeichnungen durchführen81
4.4.3 Sich selbst bewerten82
4.4.4 Die notwendigen Denkschritte lernen82
4.4.5 Resümee84
4.5 Empirische Fundierungen85
4.6 Kritische Würdigung86
Literatur88
5 Rational-emotive (Verhaltens-)Therapie und Erziehung90
5.1 Einleitung90
5.2 Konzept91
5.2.1 Die rational-emotive Grundgleichung93
5.2.2 Typische zwanghafte Grundhaltungen und irrationale Einstellungen94
5.3 Interventionen96
5.4 Schulische Umsetzungen98
5.4.1 Überblick über ein REE-Curriculum99
5.4.2 Hinweis auf Beispielplanungen101
5.5 Empirische Fundierungen102
5.6 Kritische Würdigung103
Literatur104
6 Steigerung von Resilienz106
6.1 Einleitung106
6.2 Konzept106
6.3 Interventionen112
6.4 Schulische Umsetzungen113
6.4.1 Das Trainingsprogramm „Enhancing Resilience in Children“114
6.4.2 Training zur Erhöhung kognitiver Ressourcen nach Grünke (2002) und Julius und Goetze (1998)115
6.5 Empirische Fundierungen118
6.6 Kritische Würdigung119
Literatur121
7 Realitätstherapie122
7.1 Einleitung122
7.2 Konzept122
7.3 Interventionen123
7.4 Schulische Umsetzungen126
7.4.1 Die Klassenversammlung („classroom meeting“)127
7.4.2 Konfliktgespräche128
7.4.3 Fragenkatalog zum realitätstherapeutischen Ansatz129
7.4.4 Demonstration einer Umsetzung130
7.5 Empirische Fundierungen131
7.6 Kritische Würdigung133
Literatur134
8 Die Lehrer-Schüler-Konferenz nach Thomas Gordon135
8.1 Einleitung135
8.2 Konzept135
8.2.1 Die Humanistische Psychologie als Basis135
8.2.2 Übertragung auf ein personenzentriertes Lernen136
8.2.3 Der Ansatz der Lehrer-Schüler-Konferenz137
8.3 Interventionen138
8.3.1 Schüler-Problembesitz138
8.3.2 Lehrer-Problembesitz139
8.3.3 Schüler-Lehrer-Problembesitz141
8.4 Schulische Umsetzungen145
8.4.1 Schüler-Problembesitz145
8.4.2 Lehrer-Problembesitz148
8.4.3 Der Lösungsansatz „ohne Verlierer“150
8.4.4 Resümee154
8.5 Empirische Fundierungen155
8.6 Kritische Würdigung158
Literatur159
9 Spieltherapie160
9.1 Einleitung160
9.2 Konzept160
9.2.1 Spielmerkmale160
9.2.2 Das Spiel von Kindern mit Verhaltensstörungen162
9.2.3 Begriff der Spieltherapie164
9.2.4 Grundlagen des personenzentrierten Ansatzes165
9.3 Interventionen167
9.3.1 Rahmenbedingungen167
9.3.2 Therapeutische Kommunikationen168
9.3.3 Grenzsetzungen169
9.3.4 Medien und Materialien170
9.4 Schulische Umsetzungen170
9.4.1 Spielgruppenprojekte im schulischen Rahmen171
9.4.2 Die Arbeit mit Sandkästen im Klassenraum173
9.4.3 Spieltherapeutisch orientierte Schülertutorenprogramme174
9.5 Empirische Fundierungen176
9.6 Kritische Würdigung179
Literatur180
10 Life-Space-Crisis-Intervention182
10.1 Einleitung182
10.2 Konzept183
10.3 Interventionen186
10.4 Schulische Umsetzungen195
10.5 Empirische Fundierungen197
10.6 Kritische Würdigung199
Literatur201
11 Entspannung und Meditation203
11.1 Einleitung203
11.2 Konzept204
11.3 Interventionen207
11.3.1 Progressive Muskelentspannung207
11.3.2 Biofeedbacktraining208
11.3.3 Autogenes Training208
11.3.4 Geleitetes Bilderleben (Traumreisen, „guided imagery“)208
11.3.5 Meditation und Yoga209
11.4 Schulische Umsetzungen210
11.5 Empirische Fundierungen212
11.6 Kritische Würdigung215
Literatur216
12 Der Umgang mit beruflich bedingtem Stress in der schulischen Erziehungshilfe218
Literatur223
Sachwortregister230
Personenregister234

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