In jeder Beziehung spielen unsere grundlegenden existenziellen Bedürfnisse und der grundlegende Konflikt zwischen unserem Bedürfnis, zusammenzuarbeiten, und unserem Bedürfnis, unsere Unabhängigkeit und Integrität zu wahren, eine bedeutende Rolle. Wir wissen heutzutage, dass der Mensch als sozial kompetentes Wesen geboren wird, d. h. mit einer Bereitschaft, soziale Bindungen einzugehen, aber auch mit dem unabänderlichen Bedürfnis, diese Bindungen einzugehen, um sich positiv entwickeln zu können (Sommer 1996). Dieses Bedürfnis ist ein Bedürfnis des Einzelnen, sich in den Beziehungen, die er eingeht, wertvoll zu fühlen, was besonders für die privaten Beziehungen gilt, in denen die emotionalen Bande stark sind. Aber dieses Bedürfnis ist ebenfalls für berufliche Beziehungen von großer Bedeutung, da viele von uns sehr viel Kraft und Energie in sie stecken. Wir erwerben oft auch einen großen Teil unserer Identität im Berufsleben und reagieren empfindlich in Situationen, in denen unserem Bedürfnis nach Wertschätzung nicht Rechnung getragen wird.
Die Bedeutung von Anerkennung
Das Bedürfnis nach Wertschätzung ist oft entscheidend für die Reaktionen des Pädagogen in der Begegnung mit den Eltern. In dem Augenblick, in dem die Eltern die Botschaft der Fachperson annehmen, ist es verhältnismäßig einfach, im Dialog weiterzukommen.
Schwierig wird es dagegen in den Fällen, in denen man an die Eltern nicht herankommen kann. Hier wäre es natürlich, so zu reagieren, wie man es sich während des eigenen Heranwachsens und danach angeeignet hat; wie man gelernt hat mit Frustrationen fertig zu werden, die entstehen, wenn man sich in einer Beziehung minderwertig oder wertlos fühlt.
Ein Minderwertigkeitsgefühl entsteht oft in Zusammenhang mit Zurückweisung. Während des Heranwachsens und im Laufe des Lebens gibt es viele Situationen, in denen sich der Einzelne zurückgewiesen fühlt oder zurückgewiesen wird, weil es ganz einfach nicht möglich ist, eine Beziehung zu haben, in der die Bedürfnisse beider oder aller Personen jederzeit erfüllt werden können. Das ist im Übrigen auch nicht wünschenswert, denn selbst wenn wir oft nach Harmonie streben, so sind Unterschiedlichkeit und Konflikte die Triebkräfte, die Dynamik und Entwicklung in unsere verschiedenen Gemeinschaften bringen.
Aber schauen wir uns trotzdem kurz an, wie das Muster gebildet wird, mit Zurückweisung und Minderwertigkeitsgefühl fertig zu werden. So sieht es typischerweise aus: Erlebt ein Kind Zurückweisung, spürt das gesunde, kompetente Kind einen Schmerz. Das ist ganz natürlich und ungefährlich und gehört zur Entwicklung von Persönlichkeit, Selbstgefühl, Selbstverständnis und Empathie dazu (siehe Kap. 7). Es ist also nicht die Zurückweisung an sich, die das Ganze für uns später im Leben schwierig gestaltet, sondern die Art und Weise, wie die Umgebung auf uns reagiert, wenn wir als Kinder unseren Schmerz infolge einer Zurückweisung ausdrücken. (Natürlich spielen auch die Häufigkeit und die Intensität der Zurückweisungen eine Rolle.)
Im Normalfall reagieren Kinder auf Zurückweisung mit Weinen und das Kind ist darauf angewiesen, dass die Umgebung diese Reaktion anerkennt und das Weinen des Kindes ernst nimmt. Das heißt nicht, dass das Kind dann das bekommen soll, was zum Gefühl der Zurückweisung geführt hat, sondern dass seine daraus resultierende Traurigkeit anerkannt und angenommen wird.
Viele Menschen, natürlich auch Lehrer und Erzieher, haben nicht erlebt, dass auch die Gefühle anerkannt wurden, die ein unerfülltes Bedürfnis, sich wertvoll zu fühlen, hervorbringt. Das bedeutet, dass sie zu einem früheren Zeitpunkt im Leben dazu genötigt waren, sich Strategien anzueignen (auch Überlebensstrategien genannt, Juul & Jensen 2002), die sie von dem Schmerz, mit dem ein Kind bei Zurückweisung nicht allein fertig werden kann, ablenken konnten. Diese Strategien sind von Person zu Person verschieden, aber der gemeinsame Zweck ist es, den Schmerz zu vermeiden, den man bei Zurückweisung spürt oder wenn man sich minderwertig oder wertlos fühlt. Hinzu kommt, dass meistens eine solche Intensität in diesen frühen Erlebnissen steckt, dass man auch als längst Erwachsener noch so reagiert, als ginge es um eine Frage von Leben und Tod (oder Überleben), in allen Beziehungen als wertvoll bestätigt zu werden. Das heißt, dass unsere Reaktionen auf mangelnde Wertschätzung oder erlebte Zurückweisung im Verhältnis zu dem, wie wir sonst »funktionieren«, häufig kindisch erscheinen. Wir werden im Folgenden einige dieser Strategien betrachten und im Besonderen darauf eingehen, wie sie in beruflichen Beziehungen zum Ausdruck kommen.
Sich selbst verlieren
Tina ist Klassenlehrerin einer ersten Klasse. Den meisten Eltern der Klasse liegt sehr viel am Wohlergehen und am Lernerfolg ihres eigenen Kindes. Tina liegen das Wohlergehen, die Entwicklung und der Lernerfolg der gesamten Klasse am Herzen. Sie arbeitet seit ein paar Jahren als Lehrerin, nun ist sie zum ersten Mal Klassenlehrerin. Tina hat im Laufe ihres Heranwachsens gelernt, anderen gefallen zu wollen. Sie bekam meistens dann Anerkennung, wenn sie die Seiten von sich gezeigt hat, die in das Bild ihrer Eltern vom braven und süßen Mädchen gepasst haben. Längst hat sie selbst die Auffassung ihrer Eltern übernommen und fühlt sich am wohlsten, wenn sie die erwachsene Ausgabe von »süß und brav« verkörpert, deren Aufgabe es ist, ihre Arbeit perfekt zu machen (das Wohlbefinden und die Entwicklung aller Kinder zu sichern) – und das zur Zufriedenheit aller! Tinas Strategie, den Schmerz durch Zurückweisung zu vermeiden, wenn sie diese Kriterien nicht erfüllen kann, ist es, einfach noch härter zu arbeiten, um auf diese Art und Weise Situationen, in denen sie sich in einer Beziehung wertlos fühlt, gänzlich ...