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Prävention von Gefühls- und Verhaltensstörungen2
Die Wechselwirkung von Risiko- und Schutzfaktoren auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, bildet eine bedeutende Grundlage für die Prävention von Gefühls- und Verhaltensstörungen. Auch Petermann (2003) stellt die Minimierung von Risikofaktoren und das Erzeugen von Schutzfaktoren als zentrale Ziele von Prävention heraus. Dies verweist auf zwei grundlegende Dimensionen eines präventiven Förderauftrags: Das Wohl des Kindes und die Entlastung der Gemeinschaft (Aos et al. 2004). Daher wird im folgenden Kapitel zunächst eine Klassifikation präventiver Maßnahmen dargestellt. Im Anschluss werden zentrale Anforderungen für wirksame Präventionsmaßnahmen und die empirische Befundlage zur Prävention aufgeführt. Das Kapitel schließt mit grundlegenden Aspekten zur evidenzbasierten Förderung.
2.1 Klassifikation präventiver Maßnahmen
Für den Einsatz von Prävention zur Vermeidung bzw. Milderung psychischer Störungen und/oder psychosozialer Belastungen formulieren Heinrichs et al. (2013) fünf zentrale Gründe:
• Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen weisen eine hohe Prävalenzrate aus.
• Psychosoziale Belastungsfaktoren in der Kindheit haben lebenslange Folgewirkungen. Insbesondere die Komorbiditätsraten zwischen Lernen und Verhalten, aber auch unterschiedlichen Störungsformen, sind sehr hoch.
• Betroffene Familien nehmen kaum professionelle Hilfe für die psychischen Störungen des Kindes in Anspruch.
• Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen erzeugen hohe volkswirtschaftliche Kosten. Die Quote der Kinder und Jugendlichen aus Förderschulen, die keinen Hauptschulabschluss erreichen und daher in kostenintensiven Maßnahmen zur Berufsvorbereitung versorgt werden müssen, liegt nach Klemm (2009) bei 77,2 %.
• Die Wirksamkeit von Kinderpsychotherapie ist eingeschränkt, wenn sie zu spät in Anspruch genommen wird.
Betrachtet man nun zunächst einmal den Begriff Prävention, so leitet sich dieses von dem lateinischen Wort praevenire ab und bedeutet übersetzt so viel wie »zuvorkommen, verhüten, vorbeugen«. Man bezeichnet vorbeugende Maßnahmen, die unerwünschte Ereignisse oder unerwünschte Entwicklungen vermeiden, als präventive Maßnahmen. Beelmann und Raabe (2007) definieren Prävention im pädagogisch-psychologischen Kontext wie folgt:
»Unter psychologischer Prävention [. . .] kann der systematische, das heißt der theoretisch und empirisch begründete Versuch verstanden werden, mit psychologischen Mitteln Kompetenzen zu stärken, Risiken abzuschwächen oder bereits anbahnende Negativentwicklung zu unterbrechen, um das Auftreten dauerhafter psychischer Probleme und Störungen zu verhindern und damit zu einer gesunden Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beizutragen« (ebd., S. 131).
In Anlehnung an Beelmann und Rabe (2007) definieren wir die pädagogische Prävention als systematisches, theoretisch und empirisch begründetes pädagogisches Handeln, das zum Ziel hat, mit Hilfe erzieherischer Mittel und erzieherischen Einwirkens in schulischen und außerschulischen pädagogischen Settings Kinder und Jugendliche so zu stärken, dass Risiken und Folgen einer belastenden sozial-emotionalen Entwicklung vermieden, gemildert oder bewältigbar werden.
Ausgehend von einer Klassifikation nach Gordon (1989) zur Vorbeugung von Behinderungen spricht man im pädagogischen Kontext von universellen, selektiven und indizierten Präventionsmaßnahmen (Brezinka 2003). Universelle Prävention fokussiert dabei auf eine Gesamtpopulation, bei der weder Risikomerkmale identifiziert wurden, noch Indizien, die auf eine Störungsform hinweisen, vorliegen. Selektive Prävention zielt auf Gruppen, die bereits ein erhöhtes biologisches, psychisches und/oder soziales Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen aufweisen (z. B. Kinder aus Problemvierteln, Kinder psychisch kranker Eltern; Brezinka 2003; Petermann 2003). Von indizierter Prävention spricht man, wenn die Maßnahmen bei Personen ansetzen, die ein sehr hohes Risiko für die Entwicklung von Gefühls- und Verhaltensstörungen haben und bereits erste Symptome spezifischer Störungsformen aufweisen (Brezinka 2003). Ziel dieser tertiären Präventionsebene ist dann vor allem, eine Ausweitung der vorhandenen Probleme zu verhindern und möglichen komorbiden Störungen vorzubeugen (Heinrichs et al. 2013). Die Begriffe ›indizierte‹ und ›tertiäre‹ Prävention werden hierbei synonym verwendet – ›indiziert‹ häufiger in pädagogischen Kontexten und ›tertiär‹ eher in außerschulischen Kontexten, wie z. B. im Arbeitsfeld der Polizei.
Präventionsmaßnahmen können unterschiedlich angelegt sein. Diese Anlage gliedert entsprechende Maßnahmen in drei Ebenen:
• sozial-, bildungs-, familien- und gesundheitspolitische Maßnahmen,
• polizeiliche und juristische Maßnahmen und
• psychologisch-pädagogische Maßnahmen (Beelmann/Raabe 2007, S. 139).
Sowohl für die Schule im Allgemeinen als auch die Förderschule im Speziellen sind als pädagogische Einrichtungen vor allem psychologische und pädagogische Maßnahmen von Bedeutung, die eingangs definiert wurden. Psychologische und pädagogische Maßnahmen können wiederum unterschiedliche Ansätze verfolgen (Beelmann/Raabe 2007; Heinrichs et al. 2013):
• kindzentrierte Ansätze, die interpersonelle Risiko- und Schutzfaktoren des Kindes zu beeinflussen versuchen,
• umfeldzentrierte Ansätze wie z. B. Eltern- und/oder Lehrertrainings, die versuchen, das Erziehungsverhalten zu beeinflussen und
• multimodale Ansätze, die sowohl die Fertigkeiten des Kindes selbst als auch das Umfeld in den Blick nehmen.
Bezogen auf die Effekte dieser drei Ansätze lässt sich festhalten, dass diese je nach intendiertem Ziel unterschiedliche Ausprägungen in der Wirksamkeit zeigen. Zur Förderung des sozialen Problemlösens haben umweltzentrierte Ansätze quasi keine praktische Relevanz und zeigen so gut wie keine empirisch nachgewiesene Wirkung (Beelmann/Raabe 2007, S. 182 f.). Demgegenüber hat das Training der Kinder selbst für diesen Bereich eine messbare Wirkung. Hierbei weisen multimodale Ansätze die größten Effekte nach. Auch im Bereich der Reduktion von Verhaltensproblemen zeigen die kindzentrierten Ansätze gegenüber den allein umweltbezogenen Trainings eine höhere Wirkung und die multimodalen Ansätze schließlich den größten Wirkungsgrad (Beelmann/Raabe 2007, S. 182 f.).
Im Folgenden sollen zuerst die zentralen Gelingensbedingungen für die Prävention von Gefühls- und Verhaltensstörungen in der Schule dargestellt werden. Anschließend wird ein Überblick über evidenzbasierte sowohl universelle und selektive als auch indizierte Präventionsmaßnahmen im schulischen Kontext gegeben. Abschließend wird die Diskussion von Wirksamkeitsfaktoren und Faktoren für eine gelingende Implementation in die Schulpraxis dargestellt.
2.2 Anforderungen an effektive Prävention (Anforderungen, Kriterien, Implementation)
Positive Ergebnisse von Präventionsprogrammen in der Schule sind nach aktuellen Meta-Analysen zu erwarten, sofern die Maßnahme theoretisch gut fundiert und entwicklungsorientiert angelegt ist (Beelmann 2003; 2006; Durlak et al. 2011; Lösel/Beelmann 2003; Wilson/Lipsey 2007). Darüber hinaus haben sich Faktoren wie die Dauer (längerfristig) und eine kognitiv-behaviorale Ausrichtung als wichtige Faktoren für die Wirksamkeit von Maßnahmen herausgestellt (Wilson et al. 2003). Im Hinblick auf die Inhalte und die Durchführung einer Präventionsmaßnahme hat es sich als effektiver herausgestellt, wenn die Lehrkräfte an der Durchführung des Programms beteiligt waren, das Programm ein verbundenes und koordiniertes Aktivitäten-Set bereithält, aktive Lern- und Handlungsformen fördert, mindestens in Teilen auf die Förderung personaler und sozialer Fertigkeiten fokussiert ist und konkret auf die Förderung spezifischer...