Vorwort
Als im Jahr 2001 die erste Ausgabe des »Schwarzbuch Markenfirmen« erschien, konnten wir nicht ahnen, wie groß das Interesse an unseren Recherchen sein würde: Fast 200.000 verkaufte Exemplare im deutschen Sprachraum und insgesamt fünfzehn Übersetzungen (neben Bulgarisch, Chinesisch, Griechisch, Holländisch, Italienisch, Japanisch, Koreanisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Schwedisch, Türkisch und Ungarisch wurde das Buch zweimal auf Spanisch übersetzt – in Lateinamerika und Spanien, wo es jeweils monatelang auf den Bestsellerlisten war) zeugen davon, dass immer mehr Menschen die Macht der Marken und Multis nicht einfach so hinnehmen, sondern sich über die Hintergründe globaler Ausbeutung und Profitgier auf Kosten von Mensch, Umwelt und Demokratie informieren möchten. Viele gehen noch weiter und haben unsere Recherchen zum Anlass genommen, ihr Leben zumindest in Teilbereichen zu ändern: bewusster zu konsumieren und aktiv an der gerechten Gestaltung unserer Gesellschaft und am Schutz der Lebensgrundlagen unseres Planeten mitzuwirken.
Das »Schwarzbuch Markenfirmen«, damals von Medien als »Bibel der Globalisierungskritik« bezeichnet, gehört mittlerweile auch in vielen Schulen zum fixen Lehrplan, was uns besonders freut: Denn wenn wir eine ganze Generation der mit Milliardenaufwand betriebenen Gehirnwäsche aus Konsumrausch und Markenwahn der Konzerne und ihrer Lobbys überlassen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die »Geiz ist geil«-Ideologie, brutales Konkurrenzdenken und Profitgier anstelle von Solidarität, Respekt und Mitgefühl gesellschaftsfähig werden.
In der Welt der Konzerne gelten diese Werte nämlich nichts. Um ihre Milliardengewinne zu steigern, profitieren fast alle großen und bekannten Marken von schlimmsten Formen der Ausbeutung bis hin zu Kinderarbeit und Sklaverei, von Waffenhandel, Tierquälerei und Umweltzerstörung. Sie gefährden Lebensräume und ganze Volkswirtschaften – und die Zukunft unseres Planeten. Gleichzeitig investieren sie Milliarden in Werbung, Imagepflege und Kampagnen, die ihre »soziale Unternehmensverantwortung« unter Beweis stellen sollen. Die deutsche Wochenzeitschrift Spiegel schrieb damals: »Das Buch attackiert die Konzerne an ihrer empfindlichsten Stelle: ihrem Ruf.« Die Firmen wussten, dass unsere Vorwürfe stimmen – schließlich hat uns kein einziges Unternehmen verklagt. Bis heute nicht.
Heute, fast fünfzehn Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe, wird es Zeit für eine vollständig neu geschriebene Fassung des »Schwarzbuch Markenfirmen«. Vieles hat sich seit damals geändert – und vieles, allzu vieles, ist leider gleich geblieben: Während wir zu Beginn des Jahrtausends wegen unserer Kritik von vielen Medien noch scheel angesehen wurden, ist spätestens seit der Finanzkrise 2009 die Kritik am globalisierten Raubtierkapitalismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wenn wir zunächst selbst noch an die »Marktmacht der KonsumentInnen«1 geglaubt haben, so müssen wir heute feststellen, dass es nicht ausreicht, »fair« und ökologisch einzukaufen, sondern dass es für eine Änderung der Verhältnisse politisches Engagement, demokratische Teilhabe und letztlich auch Widerstand gegen die Macht der Multis und ihre politischen Erfüllungsgehilfen in den Regierungen braucht.
Aber ist es nicht so, dass einige Markenfirmen aus den Vorwürfen gelernt haben und nun weniger skrupellos agieren? Ist nicht soziale Unternehmensverantwortung, die vielzitierte »Corporate Social Responsibility«, in aller Munde?
Im Großen und Ganzen kann man sagen: Die Konzerne haben ihre Strategien schlicht und einfach an die neuen Markterfordernisse angepasst – und dazu gehört unter anderem auch ein gestiegenes Bewusstsein für globale Zusammenhänge. Auf manche Vorwürfe trifft man heute seltener – allen voran auf Kinderarbeit im unmittelbaren Produktionsumfeld bekannter Unternehmen. Die rangiert nämlich in der »Beliebtheitsskala« von Konsumentinnen und Konsumenten ganz unten, und negative Schlagzeilen bringen schlechtes Image. Deshalb haben die meisten Multis heute mehr Kontrollen und Vorschriften für Lieferanten eingeführt – ohne diesen aber mehr zu bezahlen. Denn die Profite sollen ja gleich bleiben. Daher müssen lokale Produktionsstätten eben andere Möglichkeiten finden, um Multis billig beliefern zu können – womit sich die Formen der Ausbeutung lediglich verlagert haben. Manchmal einfach nur von einem Land ins andere, wo es noch keine so strengen Kontrollen gibt. Die Deregulierung der Weltwirtschaft, die Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen sowie die Errichtung von Freihandelszonen ohne demokratische Kontrolle werden weiterhin ungebremst vorangetrieben.
Zur Beruhigung kritischer Konsumentinnen und Konsumenten führen einige Konzerne heute sogar eigene Gütesiegel, die angeblich fairen Handel belegen sollen. Wie wir in diesem Buch zeigen, lassen aber auch da soziale und ökologische Standards oft zu wünschen übrig. Und auch wenn einzelne Regionen heute ökonomisch besser dastehen als vor einigen Jahren, sind die Reichen dieser Welt um ein Vielfaches reicher geworden, während Armut, Hunger und Elend immer unerträglichere Ausmaße annehmen. Besonders stark betroffen sind Frauen: Oft ernähren sie die Familie fast allein, erhalten aber meist viel weniger Lohn als Männer. Siebzig Prozent der Armen auf der Welt sind weiblich. Alle Frauen gemeinsam beziehen nur ein Zehntel aller Einkommen und besitzen nur ein Hundertstel aller Vermögen.
Und noch etwas ist uns bei den Recherchen aufgefallen: Die Ausbeutung von Menschen durch Konzerne ist näher gerückt. Sie bahnt sich – nachdem sie sich in den letzten Jahrzehnten vorwiegend nach Asien, Afrika und Lateinamerika verlagert hat – wieder ihren Weg zurück in die Industrieländer. In den letzten Jahren wurden auch in Europa oder den USA immer mehr Fälle schwerwiegender Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen bekannt.
Die rasant steigende weltweite Vernetzung von Menschen hat auch eine Beschleunigung globaler Informationsflüsse zur Folge, die dafür sorgt, dass wir heute wesentlich schneller von globalisierter Ausbeutung in Bangladesch, Sibirien oder El Salvador erfahren. Dennoch gibt es viele Missstände, die nur durch aufwändige Recherchen an die Öffentlichkeit gebracht werden. So musste sich Hans Weiss monatelang als korrupter Berater von Pharmakonzernen ausgeben, um nachweisen zu können, wie indische Brustkrebs-Patientinnen von der Medizin als »menschliche Versuchskaninchen« missbraucht werden sollten.
Was wir mit diesem Buch aber auch zeigen wollen: dass der Machtmissbrauch und die Machenschaften der Konzerne keine Einzelfälle sind, sondern System haben. Die neoliberale Globalisierung ist kein Naturgesetz, sondern wurde von Konzernlobbys und Regierungen in Gesetze gegossen, um die Profitinteressen Einzelner zu bedienen – zum Schaden aller. Deutlich wird das vor allem auch an der Tatsache, dass die von uns porträtierten Konzerne in manchen europäischen Ländern – etwa in Deutschland und Österreich – fast keine Gewinnsteuern bezahlen, obwohl sie auch hier hochprofitabel sind (siehe dazu Kapitel »Steuern zahlen – nein danke!«).
Die Auswahl der Konzerne, die wir am Ende dieses Buches porträtiert haben, bedeutet keineswegs, dass die in unserer Liste nicht genannten Unternehmen fairere oder respektvollere Handelsbeziehungen pflegen. Die fünfzig »Bösen«, die wir beschreiben, stellen beispielhaft einen Mix aus marktdominanten Firmen unterschiedlicher Konsumbereiche dar. Gemeinsam repräsentieren sie einen Umsatz von rund 2,9 Billionen Euro – das ist um einiges mehr als das gesamte Bruttoinlandsprodukt von Deutschland.
Einzelne hier porträtierte Marken zu meiden, löst noch keine Probleme. Nur gemeinsame, organisierte Aktionen und gesetzliche Regeln können die Multis zu Veränderungen zwingen. In vielen Fällen – etwa bei lebenswichtigen Medikamenten oder elektronischen Geräten – haben wir nicht einmal die Wahl von fair gehandelten Alternativen. Auch wir Autoren konsumieren mehr oder weniger regelmäßig Produkte oder Dienstleistungen vieler der von uns porträtierten Unternehmen. Natürlich haben wir für unsere Recherchen auch Computer, Mobiltelefone und Google benutzt und betreiben auf facebook.com/markenfirmen eine eigene Seite, auf der wir regelmäßig über aktuelle Entwicklungen informieren. Denn es geht nicht primär ums »gute Gewissen« (das bekanntlich ein allzu sanftes Ruhekissen ist), sondern darum, durch Information und gesellschaftliches Engagement zu einer Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen zum Schutz von Umwelt, Demokratie und Menschenrechten beizutragen. In einem eigenen Kapitel beschreibt Klaus Werner-Lobo, was jeder und jede Einzelne von uns konkret tun kann, um skrupellosen Konzernen zu Leibe zu rücken und gemeinsam mit anderen politische Veränderungen herbeizuführen.
Obwohl wir oft danach gefragt werden, wäre es unmöglich oder zumindest unseriös, ein »Weißbuch Markenfirmen« zu verfassen: Multinationale Konzerne profitieren von globaler Ungleichheit – das ist die Grundlage ihrer Existenz. Das Gegenmodell dazu heißt: kleinere, regional und ökologisch wirtschaftende Unternehmen, deren Geschäftsgrundlage nicht maximale Profite, sondern auch gute Beziehungen zu Beschäftigten, Umwelt, Nachbarschaft sowie Kundinnen und Kunden sind. Auf politischer Ebene hat das Gegenmodell zur Dominanz von Kapital und Konzernen einen altbekannten Namen: Demokratie. Für die gilt es zu kämpfen, denn: Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.
Zu guter Letzt bedanken wir uns bei Bernhard Drumel, Christian Felber, Corinna Milborn und Thomas Seifert für ihre Buchbeiträge und ihr kritisches Feedback. Klaus Werner-Lobo bedankt sich bei...