4. FISCHIGE FREUNDE
Ab Mitte der 1980er-Jahre wollte der WWF mehr sein als nur ein Naturschutzbund, der sich für die großen, charismatischen Tiere der Erde einsetzt. Mit einem neuen, ökologischen Ansatz machte er sich auf den Weg, die ganze Schöpfung vor den Grundübeln der Moderne schützen. Welche das waren, beschrieb WWF-Gründer Max Nicholson auf einer Rede zum 20. Geburtstag der Organisation: »Die rücksichtslose, schädliche technische Entwicklung, die maßlose Verschwendung der leicht zugänglichen Energiereserven dieser Welt und schließlich die sinnlose Vermehrung wie unter wild gewordenen Karnickeln. Die traurige Wahrheit ist, dass irgendjemand diese drei großen Scheusale wird bekämpfen müssen, und wenn wir es nicht tun, wer dann?« 4
Im Mission Statement des WWF von Ende 1989 ist zum ersten Mal von einer »nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Ressourcen« die Rede – nur so könnten die Artenvielfalt und die natürliche Umwelt des Planeten angesichts der menschlichen Überbevölkerung gerettet werden. Der WWF hat sich unter der Präsidentschaft von Prinz Philip (1981-1996) zu einer globalen Umweltorganisation weiterentwickelt und kooperiert dabei sehr häufig mit Konzernen, die gleichfalls weltweit unterwegs sind. Bei dieser Paarung von Panda und Profit ist ein gemeinsames strategisches Projekt gezeugt worden: die Green Economy. Ein Projekt der Moderne, dass uns trotz Klimakrise und Regenwaldsterben Heil verspricht: mehr Wachstum und mehr Konsum bei gleichzeitigem Erhalt der natürlichen Ressourcen – auf dem Lande und im Wasser.
Wenn ich früher den sympathischen Panda auf einem Plakat, einer Suppentüte oder einer Bierdose entdeckte, regten sich zumeist positive Gefühle in mir, eine Folge des erfolgreichen Marketings: Der Panda gilt inzwischen als eine der vertrauenswürdigsten Marken der Welt. Erst durch einen Zufall stieß ich auf eine Geschichte, die mein persönliches Panda-Bild erschüttert hat. Im Bremer Steintor lief mir eine alte Bekannte aus Chile über den Weg, die ich seit Jahren aus den Augen verloren hatte, Luisa Ludwig. Sie war nach dem Militärputsch Pinochets im deutschen Exil, später ging sie zurück, um als Lehrerin an der deutschen Schule in Santiago zu arbeiten. Heute betreibt sie im Süden Chiles eine kleine Pension – in einem Örtchen mit dem melodischen Namen Puyuhuapi. Dort gibt es nichts außer Berge, Gletscher, Fjorde und einige Lachsfarmen, in denen es zu einem ökologischen Kollaps gekommen ist. Schätzungsweise 100 Millionen Lachse seien qualvoll in ihren riesigen Käfigen verendet, so Luisa. Auf den ersten Blick schienen sie Opfer des tödlichen Lachsvirus ISA zu sein, gegen das es kein Mittel gibt. In Wirklichkeit sei die Katastrophe vor allem durch die Profitgier der Lachsunternehmen hervorgerufen worden, vor allem der Firma Marine Harvest aus Norwegen. Neugierig geworden, sehe ich im Internet nach und bin wie elektrisiert: Haupteigner dieser Firma ist John Fredriksen, einer der berüchtigsten Finanzinvestoren dieses Planeten. In Deutschland ist er bekannt, weil er seit Jahren mit dem russischen Oligarchen Mordaschow einen brutalen Kampf um die Vorherrschaft im TUI-Konzern führt.
Ich öffne die Website von Marine Harvest und entdecke neben rosa Lachsen und dem Versprechen, dass der Konzern seine » soziale und ökologische Verantwortung« sehr ernst nehme, den Panda des WWF. Irgendwie obszön, auf alle Fälle interessant genug, um der Geschichte nachzugehen. Im Februar 2009 breche ich mit meinem Kollegen Arno Schumann zu einer Reise ans Ende der Welt auf, um die Lachskatastrophe zu ergründen und herauszufinden, wie der Panda auf den Lachs gekommen ist.
Von Santiago aus fahren wir 1000 Kilometer auf der neuen Privatautobahn in den kalten Süden. 1981 war ich zum ersten Mal hier und erinnere ein grünes Paradies mit dunklen Wäldern, von Schnee überzuckerten Vulkanen und tiefen, blauen Seen. Doch südlich von Valdivia gibt es nur noch Zelluloseplantagen statt Wald. Dünne, braun-grüne Kiefern und Eukalyptusbäume, die in langen Reihen stehen wie Soldaten. Dazwischen breite und verschlammte Schneisen, die von den Erntemaschinen aufgewühlt worden sind.
Alle paar Jahre werden die Industriebäume abgeerntet, in wenigen Sekunden kahlgeschoren und in eine der gigantischen Zellulosefabriken geschafft, deren rauchende Schlote man kilometerweit sehen kann. Zurück bleibt eine kahle, industriell genormte und biologisch tote Landschaft. Der Ausverkauf der Wälder war eine Idee der Chicago Boys, einer Gruppe von Ökonomen, die die Pinochet-Diktatur mit Ratschlägen beglückte, wie man den natürlichen Reichtum des Landes innerhalb kürzester Zeit zu Geld machen könnte.
Seltsamerweise tragen inzwischen viele dieser Baumfabriken das Ökosiegel Forest Stewardship Council (FSC), das vom WWF mitbegründet wurde. Es gilt als besonders gut und streng – nur »nachhaltig« produziertes Holz komme aus solchen Betrieben. Das verspricht zumindest der FSC-Verein mit Sitz in Bonn. Im Süden Chiles betreibt auch der Ölkonzern Shell, ein wichtiger Geldgeber des WWF, riesige Baumplantagen, ebenso wie in Argentinien und Paraguay. Auch Shell hat dafür das grüne Siegel für »nachhaltige Forstwirtschaft« erhalten. Das Siegel erleichtert den Handel, aber auch das Gewissen der Käufer.
Die ursprüngliche Idee der FSC-Gründer war, dass mit seiner Hilfe Naturwälder bewirtschaftet und bewahrt werden sollten. In der Realität stammt ein großer Teil des Holzes mit dem FSC-Stempel inzwischen aus solchen Baumplantagen, die im Grunde nicht viel mehr als grüne Wüsten sind. Denn es gibt in ihnen keinen Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Die paar Überlebenskünstler, die sich hier trotzdem ansiedeln, werden durch den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden getötet.
Diese industriellen »Wälder« stehen meistens dort, wo es vorher Naturwälder gab. Das FSC-Siegel missbraucht meines Erachtens so das schöne, alte Wort »nachhaltig«. Es stammt ursprünglich aus der deutschen Forstwirtschaft und bedeutet: Das, was man dem Wald entnimmt, muss nachwachsen können; das Ökosystem Wald muss die Chance haben, sich zu regenerieren.
Der König der Lachse
Als wir uns der Stadt Puerto Montt nähern, riecht es nach verfaultem Fisch. Aber nicht die Lachsfarmen stinken, es sind die Fischmehlfabriken, in denen das Futter für die stets hungrigen Mastlachse produziert wird. Innerhalb von 18 Monaten wachsen die Tiere um 5 Kilogramm. Das geht nur mit Kraftfutter aus Fischmehl und Fischöl.
Der Gestank verfolgt uns bis zum Fährhafen Pargua, von dem aus wir auf die Insel Chiloe übersetzen. Auch auf dieser traumhaft schönen Insel mit ihren Pfahlbauten am Meer und ihren Fabeln von Wassergeistern war ich bereits 1981. Damals entdeckte ich Chiles Seele bei den Fischern und Kartoffelbauern und bei den tapferen jungen Menschen, die im Kampf gegen Pinochets Diktatur ihr Leben riskierten. Die Insel war arm, aber schön. Heute ist sie hässlich und kahl, und die Menschen sind immer noch arm, trotz des Lachswunders.
In den Fjorden heben sich die riesigen stählernen Ringe der Lachskäfige auf dem Blau des Wassers ab, Lastwagen mit roten Containern verstopfen die Landstraßen. In ihnen werden Millionen mit dem tödlichen Virus verseuchte Lachse transportiert. Sie wurden notgeschlachtet und sind jetzt auf dem Weg zur Entsorgung. Sie enden in einer der Fischmehlfabriken, wo sie zu Futterpellets für die überlebenden Lachse verarbeitet werden – chilenisches Recycling. Die Lachsseuche ISA ist ein ökologisches Desaster. Die meisten Farmen wurden auf Anordnung der Behörden schon geschlossen und für mehrere Jahre unter Quarantäne gestellt.
Achao ist ein düsterer Ort; es regnet seit Stunden auf die grauen Dachziegel aus Alerce-Holz. Die Fischrestaurants sind leer, auf der Straße torkeln uns ein paar betrunkene Männer in Regenjacken mit dem Aufdruck Marine Harvest entgegen. Am Ufer sitzen zwei alte Frauen unter einem Holzdach und verkaufen selbstgestrickte Pullover und Socken. So ernähren sie ihre Familien; die Männer sind wegen der Lachsseuche fristlos entlassen worden. Als Abfindung haben sie zwei Monatslöhne bekommen, umgerechnet 400 Euro.
Maria, eine der Frauen klagt: »Die Industrie hat uns Wohlstand versprochen, aber die Lachse haben nur Unglück gebracht. Mein Mann und die drei Söhne sind jetzt ohne Arbeit. Sie können auch nicht mehr in ihren alten Beruf als Fischer zurück. Es gibt nichts mehr zu fischen: keine Muscheln, keine Seeigel, alles ist tot.« Wer schuld ist an der Katastrophe, will ich von der Frau wissen. Ihre Antwort: »Die Norweger. Sie haben viel Geld mit den Lachsen verdient. Nachdem sie unser Meer verseucht haben, machen sie sich aus dem Staub.«
Ein Drittel der globalen Lachsproduktion liegt in der Hand des Norwegers John Fredriksen. Der korpulente und rotgesichtige »König der Lachse« ist mit geschätzten 10 Milliarden Euro Privatvermögen einer der reichsten Menschen des Planeten, er hat als kleiner Heringshändler angefangen und gilt in der norwegischen Bourgeoisie immer noch als Aufsteiger mit ungehobelten Manieren. Sein Leitspruch ist schlicht: »Alles, was für die Aktionäre gut ist, ist auch gut für das Unternehmen.« Mit einem kleinen Stab von 18...