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Schwundgeld

Michael Unterguggenberger und das Wörgler Währungsexperiment 1932/33

AutorWolfgang Broer
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783706558020
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
In den Jahren 1932/33 führte der Wörgler Bürgermeister Michael Unterguggenberger in seiner Gemeinde das sogenannte 'Schwundgeld' ein, eine Parallelwährung neben dem amtlichen Schilling. Er initiierte dadurch inmitten der Weltwirtschaftskrise ein Währungsexperiment, welches seit damals nicht nur in Österreich, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt große Beachtung und Nachahmung gefunden hat. Dieses Buch stellt das Wörgler Experiment erstmals umfassend in das damalige politische und soziale Koordinatensystem und führt ganz nah an die Menschen und Probleme dieser Zeit heran. Das Wörgler Experiment war natürlich zum einen Dorfgeschichte, gleichzeitig aber zum anderen auch ein Teil der Geschichte Tirols und Österreichs - und in gewisser Hinsicht Weltwirtschaftsgeschichte!

Der Autor: Wolfgang Broer, Dr., Historiker und Publizist, langjähriger Redakteur der Tageszeitung 'Kurier', Osteuropa-Korrespondent deutscher Zeitungen und Rundfunkanstalten, Chefredakteur des a3-Wirtschaftsverlags. Zahlreiche Bücher und Beiträge in Fachzeitschriften zu zeitgeschichtlichen, osteuropäischen und verschiedenen wirtschaftlichen Themen.

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Leseprobe

Der Beginn oder
Ein ganz natürliches Wunder


Der Anfang des Anfanges


Niemand in Wörgl, dieser kleinen Gemeinde im Unterinntal, konnte sich später genau erinnern, wie alles begann. Denn am Anfang des Anfangs ist alles nicht mehr als eine Idee im Kopf und ein ungeformter Wunsch im Herzen eines Mannes. Alles ist zunächst nur eine vage Möglichkeit und ein dünnes Gespinst von Gesprächen zwischen einigen wenigen.

Tatsache ist jedenfalls, was der kluge Beobachter Dr. Franz Klein damals im „Österreichischen Volkswirt“, dem besten und einflussreichsten Wirtschaftsmagazin der Ersten Republik so beschrieben hat: Die Tiroler Gemeinde Wörgl habe im Elendsjahr 1932 aus eigener Tasche vergleichsweise viel für öffentliche Arbeiten ausgeben und zugleich ihren Haushalt in Ordnung bringen können.29 Die Zahl der Arbeitslosen geht während der Zeit des Währungsexperimentes in Wörgl, von Juli 1932 bis September 1933, um 25 Prozent zurück. Das hätte, auf Österreich umgelegt, eine Verringerung der Arbeitslosen um ca. 100.000 bewirkt.30 Was aber geschieht in der Alpenrepublik? Die Anzahl der Arbeitslosen in Österreich (wobei die Statistik nicht alle erfasste) steigt von 1932 mit 468.000 arbeitslos gemeldeten Personen auf 557.000 im Jahre 1933.31 Wahrhaftig, so der Beobachter Klein 1933, das ist „genug, um von einem (Wörgler) Wunder zu sprechen. Es ging dabei aber gar nicht übernatürlich zu“32.

Die ganz und gar natürlichen Vorgänge beginnen eigentlich schon am 12. Dezember 1931, in der letzten Gemeinderatssitzung des Jahres. Da übernimmt Unterguggenberger, ein Sozialdemokrat und „Anwalt der kleinen Leute“, das Amt des Bürgermeisters. Er wird Nachfolger von Josef Gollner, eines Kaufmannes in Wörgl, der 1928 für die „Bürgerliche Wirtschaftsvereinigung“ kandidiert hatte und gewählt wurde. Gollner tritt nun in das zweite Glied und wird Vizebürgermeister.

Wegen seines chronischen Lungenleidens und auch um sich ganz den Aufgaben eines Bürgermeisters in schwerer Zeit widmen zu können, lässt sich Unterguggenberger als „Bundesbahnrevident und Maschinenmeister“ in den Ruhestand versetzen. Damit er sein wirtschaftliches Auskommen hat, wird ihm vom Gemeinderat für den erlittenen „Verdienstentgang“ eine zusätzliche Entschädigung von 150 Schilling monatlich zuerkannt. Das ist relativ viel Geld in dieser Zeit.

Dieser Wechsel an der politischen Spitze der Gemeinde Ende 1931 erfolgt aufgrund einer Parteienvereinbarung, die Wörgl regierbar halten und die Verwaltung des Ortes mit seinen etwas über 4.000 Einwohnern sicherstellen soll. Denn der Gemeinderat setzt sich aus zwölf Vertretern des „Bürgerblocks“ und ebenso vielen Sozialdemokraten zusammen.

Es besteht also ein Patt zwischen den Fraktionen – und das seit den Gemeinderatswahlen von 1928.33 Der „Bürgerblock“ von 1928 besteht aus insgesamt sechs bürgerlichen Parteien, die am 10. November 1928 ihre Wahlvorschläge gekoppelt hatten.34

Abb. 1: Per Losentscheid zum Bürgermeister bestimmt: Michael Unterguggenberger

Schließlich hatten sich die sozialdemokratische Partei und die Gruppen des Bürgerblocks mühsam zusammengerauft und entschieden, dass der Bürgermeister per Los bestimmt werden sollte. 1928 entschied das Los zugunsten Gollners und Unterguggenberger wurde Vizebürgermeister.35

Doch im Dezember 1932 will es das Schicksal anders – „infolge gleicher Stimmenanzahl wurde hinsichtlich des Bürgermeisters das Los gezogen.“ Als jüngster Gemeinderat wird der Sozialdemokrat und Bahnbedienstete Josef Strobl zum Ziehen des Loses bestimmt – und er hat eine „glückliche Hand“. Er bestimmt dadurch seinen Fraktionsvorsitzenden Michael Unterguggenberger zum Bürgermeister.36 In die Hand des anwesenden Vertreters der Bezirkshauptmannschaft Kufstein, Regierungsrat Jaksic, gelobt Unterguggenberger „an Eides statt, die Gesetze und die aufgrund des Gesetzes erlassenen Verordnungen der Staats- und Landesregierung zu befolgen, uneigennützig und unparteiisch seines Amtes zu walten und das wahre Wohle der Gemeinde nach bestem Wollen und Können zu fördern.“37

In seinen letzten Lebensjahren wird Unterguggenberger von sich selbst etwas ironisch als „Zufallsbürgermeister“ sprechen und gleichzeitig etwas verbittert feststellen, dass er „nicht eine Stimme der Bürgerlichen“ erhalten hat.38 Seltsam übrigens darüber nachzudenken: Hätte das Los anders entschieden, das Schicksal hätte es nicht erlaubt, dass eine Idee Wirklichkeit annehmen hätte können, die noch Jahrzehnte später auf Interesse stößt und bis heute eine, wenn auch oft modifizierte Nachahmung in der ganzen Welt findet. Andererseits: „Etwas fällt uns zu, aber wirklich nur zufällig, wie wir das so leichthin sagen? Ist das, was uns zufällt, nicht eher vorbestimmt, insgeheim erwünscht oder gar verdient?“39

Unterguggenberger ist also gewählt. Aber wie verfällt der neue Wörgler Bürgermeister auf die Idee, mit Hilfe von Geld, das monatlich an Wert verlieren sollte, die Wirtschaft zumindest in seinem engeren Umkreis wieder in Schwung zu bringen?

Gesichert ist nur, dass sich Unterguggenberger schon während des Ersten Weltkrieges mit den Schriften des deutschen Wirtschaftstheoretikers Silvio Gesell auseinander setzt. Ihm fällt in dieser Zeit ein Heft der Zeitschrift „Der Physiokrat“ in die Hände. Sie wurde von Silvio Gesell herausgegeben.40

Silvio Gesell hatte 1911 seine Abhandlung „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ erstmals veröffentlicht. Sie wurde 1916 neu aufgelegt. Es scheint gesichert, dass sie Unterguggenberger gekannt und zumindest in Auszügen gelesen hat. Kern dieser „Freiwirtschaftslehre“ Gesells bildete die paradoxe Behauptung: „Die Währung kann nur dann fest sein, wenn die Geldnoten in ihrem Wert schwinden.“ Gesell definiert das Geld als bloß „güteraustauschende Kraft“, das aber – seiner Meinung nach – von seinem Besitzer auch missbräuchlich verwendet werden könne, um nämlich „Zins zu erpressen“, statt es für die Stimulierung zur Nachfrage nach Gütern zu verwenden. Genau die Nachfrage aber sei es, so Gesell, welche die Wirtschaft in Schwung und damit gesund hält. Daher muss seiner Meinung nach das Geld mit „Schwund“, also Wertverlust, belastet werden, damit es nicht gehortet wird, sondern ständig im Blutkreislauf der Wirtschaft zirkuliert.

Ein Wära für Wörgl?


Gesichert ist auch, dass Unterguggenberger mit zwei Gesinnungsfreunden während der Pfingstfeiertage 1931 das kleine 500-Seelen-Dorf Schwanenkirchen im Bayerischen Wald besucht, wo ein Experiment mit sogenannten „Wära“-Tauschscheinen nach den Vorstellungen Gesells von dem Bergwerksingenieur Max Hebecker begonnen worden war (Details dazu im nächsten Kapitel). Die Aktion verläuft anfangs recht erfolgreich, das Schwundgeld wird aber schließlich vom damaligen deutschen Finanzminister Dietrich verboten. Dennoch – der Traum, den Hebecker geträumt und in die Tat umgesetzt hatte, der (wenn auch nur begrenzte) Erfolg von Schwanenkirchen war für Unterguggenberger ein Vorbild für seine ein Jahr später in Wörgl anlaufende Aktion. Er hatte aus Zeitungsberichten41 von dem Experiment in Schwanenkirchen erfahren und war auch mit Max Herbeck brieflich in Verbindung getreten.42 In diesem Schreiben vom 31. März 1931 interessiert sich Unterguggenberger besonders dafür, wie es denn möglich war, das Bergwerk mit Hilfe des Wära-Tauschscheins wieder in Betrieb zu setzen, und er fügt an: „ Ich möchte gerne hoffen, dass sich die Rettung eines Betriebes durch Wära auch bei uns in Tirol durchführen lassen möge.“43

Hebecker leitet diesen Brief an Hans Timm vom Wära-Handelsblatt weiter, der nun seinerseits ein Schreiben an den damaligen Vizebürgermeister von Wörgl richtet und ihm vorschlägt: „Wörgl in Tirol könnte den währungsmäßigen Anschluss an ein größeres Wirtschaftsgebiet durch die Einführung der Wära vollziehen.“

In Deutschland nehmen diese Alternativ-Währung am Höhepunkt ihrer Entwicklung über 2.000 Unternehmen in ganz Deutschland an, der genossenschaftlich organisierte Tauschring „Wära“ vergibt auch großzügig Kredite. Die Geschäftsstelle der Tauschgesellschaft gibt die Wära auf Anforderung und nach Bedarf gegen Reichsmark an örtlichen Wechselstellen aus. Genau darauf bezieht sich eine Textstelle im Brief Timms an den Wörgler Gemeindepolitiker Unterguggenberger: „Sie würden dann (in Wörgl) selbstverständlich Ihre eigenen Wechselstellen haben … Wenn Sie genügend Sicherheiten bieten können, würden Sie bis zu dreitausend Wära zinsfrei bekommen, weitere Darlehen von der Tauschgesellschaft gegen 3 Prozent … Von den Darlehen muss immer ein Teil kurzfristig sein, damit die...

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